Der Hofgärtner Friedrich Neuner gründete das Mineralbad 1856, und vor der Übernahme durch die Stadt Stuttgart im Jahr 2006 war das Bad über fünf Generationen in privater Hand. Foto: StN

Die aktuellen Baustellendiskussionen trügen, sagt Kulturredakteur Nikolai B. Forstbauer.

Die aktuellen Baustellendiskussionen trügen: Nett ist Stuttgart in den vergangenen zehn Jahren geworden - ordentlich fassadenverhängt sind die Betonrechtecke, die zwar keine der Nachkriegsverkehrsstadtschneisen infrage stellen, dafür aber auch der letzten Lücke ihre Existenz rauben.

Der verstorbene Stuttgarter Maler K. R. H. Sonderborg hatte für gebaute dekorative Nettigkeiten den passenden Ausdruck: "Wohni, wohni". 2010 sollte auch das Mineralbad Berg endlich so richtig nett werden. Wer würde in Stuttgart auch schon den Begriff Gesamtkunstwerk und dessen Bedeutung verstehen? Nichts anderes aber ist das Mineralbad Berg als ein Gesamtkunstwerk, ein in dieser Stadt, wenn nicht in der Republik einzig gewordenes Ensemble.

2006 übernahm die Stadt Stuttgart das Bad

Der Hofgärtner Friedrich Neuner gründete das Mineralbad einst, 1856 war das, und vor der Übernahme durch die Stadt Stuttgart im Jahr 2006 war das Bad über fünf Generationen in privater Hand. Paul Blankenhorn vor allem ist das vom "Neuner" zum "Berg" mutierte Mineralbad in seiner heutigen Struktur zu verdanken. 1997 ist er gestorben, und doch reicht schon die Erinnerung an ihn, um beim Blick auf das Mineralbad Berg vor falschen Sepia-Farben und beifallheischender Melancholie zu warnen.

Paul Blankenhorn, das war der Mann im dunkelblauen Anzug, darunter das hellblaue Hemd mit stets geschlossenem oberstem Knopf und ein dünner Pullover mit V-Ausschnitt, war ein Herr auf Bad-Wache, leicht vornübergebeugt schreitend, die Hände hinter dem Körper. Blankenhorn aber war es auch, der Max Ackermann mit dem 1959 eingebauten Glasfenster für sein Bad beauftragte und der weit mehr Freude an den Rosenbeeten denn an der durch die Verkleinerung des Außenbeckens gewonnenen Rasenfläche hatte.

Außer den Beteiligten gibt es kein Publikum

Und so bewegen sich die Gäste nun, zur Fast-Halbzeit des Jahres, im Bad der Rosen. Sie haben noch nicht die Höhe des Spätsommers, kräftig aber, kräftig sind sie. Und so haben sie auch die erste Attacke dieses Jahres überlebt. Kein Investorenbagger aber hat an ihnen genagt, der Hagel und eine sich binnen weniger Minuten aufstauende Flut ließ die Bergianer um ihren Schatz außerhalb des Wassers bangen. Die Rosen im Berg haben eine eigene Magie, sie überträgt sich - auch auf den jungen Mann mit Pferdeschwanz und Piratentuch, der eben noch auf den Parkwegen des Bades die letzten Zeichen der braunen Flut beseitigt hat. Jetzt bewegt er sich mit der Schere durch die Rosen-Sträuche. Behutsam, liebevoll fast und mit einer Haltung, die ein der Gegenwart fremdes Wort spürbar macht - Demut. Freude, diese Schönheit mit sichern zu können.

Wenn sich in einem Western der Rauch verzieht, ist das Feld der Akteure deutlich gelichtet - die Helden bleiben alleine. Wenn in den frühen Morgenstunden die Sonne den Dampf über dem Außenbecken des Mineralbades Berg auflöst, muss niemand um sein Leben fürchten. Man war unter sich, bleibt unter sich. Außer den Beteiligten gibt es kein Publikum - und sollte die Sonne Massenszenen auf der Bühne Mineralbad Berg provozieren, weiß man um die kurze Dauer der Bürgerkurzweil. Die vielen, sie sollen ja kommen; bleiben aber werden die wenigen. Jene, die eine Zugehörigkeit mit knappem Kopfnicken ausreichend dokumentiert finden.

Die Rosen, das Wasser flankierend, verraten Spuren des Ringens

Die Rosen, das Wasser flankierend, verraten Spuren des Ringens

Was nun aber ist das Mineralbad Berg, dem das bange Warten auf die angedrohte Umwandlung in einen profitablen, Gesundheits(hotel)betrieb in den vergangenen zwei Jahren eine Zeit geschenkt hat, die ausreichte, um die alte Mannschaft des Paul-Blankenhorn-Neffen Ludwig mit den städtischen Mitarbeitern zu versöhnen. Mehr noch aber - eine Zeit, welche die städtischen Mitarbeiter zu Verbündeten gemacht hat, zu Menschen, die den Ort achten, auf den sie achten und die entsprechend geachtet werden.

Für Joe Bauer, Kolumnist unserer Zeitung, sind die Verhältnisse klar: Das Mineralbad Berg, so schreibt er in seinem Erfolgsbuch "Stuttgart - my Cleverly Hills", "wurde erfunden, um uns zu trösten". Tatsächlich lassen uns viele belebte Orte ungemein allein, während im Mineralbad Berg noch das solistische Eintauchen in den 21 Grad frischen Berger Urquell wärmt. Dieses Wasser aber verträgt kein Gemütlichkeitsumfeld, kein Becken mit abgesoftetem Überlaufrand.

Das Wasser weiß um die Bedeutung der Holkabinen

Dieses Wasser weiß auf eigene Art um das Echo einer nicht weniger einmaligen, von Kastanien bestandenen Terrasse und von Duschen, die Eleganz nicht durch eilends verwestes Design ausdrücken, sondern durch die gebotene Bewegungsfreiheit und den unmittelbaren Schock, heißes Wasser und Mineralwasserdusche einander direkt folgen zu lassen. Und das Wasser weiß um die Bedeutung der Holzkabinen, um den Wandelgang, der es verdient hätte, seinem Dornröschenschlaf wieder entrissen zu werden. Das Wasser weiß um das Ganze, weiß um seinen Ort, weiß um die Rosen, und so wäre das Wasser verloren, wenn es vermessen würde, um bequem zu sein.

Die Rosen, das Wasser flankierend, verraten Spuren des Ringens. Die Bäume haben sie geschützt, könnte man sagen. Vielleicht aber war es auch der Stolz. Und die Vorfreude auf die eigentlich große Zeit im Bad der Rosen. Wenn sich die Tage schon wieder neigen im Jahr, recken sich die Sträuche noch einmal, und die Blüten halten ihren Duft nicht mehr zurück.

Ja, wir werden getröstet im Bad der Rosen. Und das ist fürwahr große Kunst.