Die Mindestlohnkommission legt sich auf Lohnuntergrenzen von 13,90 Euro für 2026 und 14,60 Euro für 2027 fest. Die von einigen Branchen geforderten Ausnahmen werden abgelehnt.
Die Schwelle von 15 Euro bleibt unberührt: Die siebenköpfige, unabhängige Mindestlohnkommission hat am Freitagmorgen einstimmig eine stufenweise Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 13,90 Euro zum 1. Januar 2026 und 14,60 Euro zum 1. Januar 2027 beschlossen. Bis zum 30. Juni hätte sie, so der gesetzliche Auftrag, eine Entscheidung vorlegen müssen. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) will die Anpassung per Rechtsverordnung verbindlich machen. Ein Überblick.
Wie wird die Entscheidung begründet? „Die Erhöhungsschritte sind geeignet, den Mindestschutz für Arbeitnehmer weiterzuentwickeln und für die Betriebe in der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation tragbar zu sein“, betont die Kommissionsvorsitzende Christiane Schönefeld. „Der Kompromiss sorgt für den Ausgleich zwischen den Interessen der Beschäftigten und der Betriebe.“ Die Sozialpartner hätten bewiesen, „dass sie gestaltungsfähig sind und Verantwortung für das Gemeinwohl übernehmen“.
Mit Blick auf Forderungen speziell aus der Bundesregierung beklagt Steffen Kampeter, als BDA-Hauptgeschäftsführer Sprecher der Arbeitgeberseite, „enormen politischen und medialen Druck“. Es gehöre sich nicht, „von der Seitenlinie aus mit oder ohne Bierdose in der Hand zu sagen, das Tor hätte man da oder dahin schießen müssen“. Man lege Wert auf die verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Sozialpartner und der Kommission. „Was da von politischer Seite an Druck aufgebaut wurde, war die größte und schwerste Belastung der Verhandlungen.“ Wenn die Politik diesen gesetzlichen Auftrag „nicht langsam begreift, wird es schwierig werden, dass wir unsere Arbeit erfolgreich fortsetzen“.
Was bringen die Lohnsteigerungen? Von der Anhebung profitieren rund sechs Millionen Arbeitnehmer – mehr Frauen als Männer. Der Mindestlohn steigt 2026 zunächst um 8,42 Prozent und im Folgejahr um weitere 5,04 Prozent – insgesamt um 13,88 Prozent oder 1,78 Euro pro Arbeitsstunde. Das ist laut dem Arbeitsministerium die größte sozialpartnerschaftlich beschlossene Lohnerhöhung seit Einführung des Mindestlohns vor gut zehn Jahren. Vollzeitbeschäftigte im Mindestlohn erhalten von Januar an pro Monat rund 190 Euro brutto mehr. Im zweiten Jahr ergibt sich ein monatliches Plus von insgesamt 310 Euro gegenüber heute. Aufs Jahr gerechnet sind das in der zweiten Stufe rund 3700 Euro brutto mehr.
„Jeder Cent mehr Mindestlohn bedeutet 20 Millionen Euro mehr Kaufkraft“, sagte Stefan Körzell, als Vorstandsmitglied des DGB Sprecher der Gewerkschaftsseite. Über zwei Jahre gerechnet ergebe sich so ein gesamtwirtschaftliches Lohnplus von rund 5,7 Milliarden Euro. Dieses Geld fließe eins zu eins in den Konsum und stütze die Konjunktur nachhaltig. Dass die 15 Euro nicht erreicht wurden, bewertet er gelassen: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich eine Kröte schlucken musste“, sagt er. „Wir stehen zu diesem Kompromiss.“
Kampeter verweist auf einen „erheblichen Netto-Klau“ insbesondere in niedrigen Einkommensbereichen, weil auf das Mindestlohnplus noch Sozialabgaben und Steuern anfielen. Er empfinde es als „unanständiges politisches Spiel, dass auf der einen Seite die Politik durch Reformverweigerung das Nettogehalt reduziert und zugleich erwartet, dass wir dieses politische Nichthandeln durch überdurchschnittliche Mindestlohnanpassungen nach oben korrigieren“.
Warum gibt es keine Ausnahmen? Lautstark hatte Bauernpräsident Joachim Rukwied gefordert, Saisonarbeitskräfte vom Mindestlohn auszunehmen – diese sollten nur 80 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns erhalten. Die Kommission zeigte sich da standfest: „Das Gesetz gibt ganz klar her, dass es keinerlei Ausnahmeregelungen gibt – daher war das für uns auch nicht Gegenstand unserer Diskussion“, sagt Schönefeld. „Ausnahmen lehnen wir mit aller Entschiedenheit ab“, ergänzt Körzell. Die Untergrenze sei „ganz bewusst so gesetzt, dass sie überall gilt“. Zudem „wollen wir keine weitere Spaltung in unserer Gesellschaft“.
Wie wurde der Kompromiss möglich? Zentraler Maßstab war die Tarifentwicklung der vergangenen zwei Jahre: Die besonders hohen Tarifabschlüsse haben nun einen größeren Sprung beim Mindestlohn ermöglicht. Der Anpassungsschritt für 2027 sei zwar „erheblich im Vergleich zum derzeitigen Niveau“, bekennt Kampeter. Doch werde erwartet, dass die von der Regierung angekündigten Reformen, die für mehr Wachstum und unternehmerischen Ertrag sorgen sollen, bis dahin tatsächlich umgesetzt werden.
Zweiter und neuer Faktor war der Zielwert von 60 Prozent des Medianlohns der Vollzeitbeschäftigten. Median heißt: Es gibt genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen. Der DGB folgt der EU-weit vertretenen Ansicht, dass alle Löhne unterhalb der 60 Prozent Armutslöhne sind. Diese Schwelle werde 2027 nunmehr auch erreicht, sagt Körzell.
Die Neuerung in der Geschäftsordnung hatte die Kommission schon im Januar beschlossen. Hauptgrund: ein Eklat wie 2023, als die Vorsitzende Schönefeld mit den Arbeitgebern die Gewerkschaftsseite überstimmt hatte, soll sich nicht wiederholen.
Das zweistufige Verfahren verschafft der Kommission nun zusätzlichen Ermessensspielraum. Zugleich machte die Gewerkschaftsseite das Zugeständnis, nicht mehr mit Prognosewerten – in diesem Fall mit Annahmen der Tariflohnentwicklung für 2026 und 2027 – zu arbeiten; denn dies hätte womöglich doch noch einen Mindestlohn oberhalb der 15- Euro-Schallmauer ermöglicht.