Seit Längerem wächst der Druck auf die Bundesregierung, mehr Menschen aus Deutschland abzuschieben. Hinter den Kulissen wurde verhandelt - nun gibt es Konsequenzen.
Berlin - Deutschland hat neu ausgehandelte Abschiebungen in die Türkei begonnen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hatte zuerst berichtet.
Vorerst sollen demnach insgesamt 200 Türken in die Türkei gebracht werden. Die Rückführung solle nach und nach über Linienflüge dezentral abgewickelt werden und habe auf diese Weise nun begonnen. Die Bundesländer seien etwa bei der Beschaffung nötiger Papiere involviert.
Faeser: Effektiver in die Türkei abschieben
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte die konsequente Abschiebung irregulärer Migranten in die Türkei in einem Interview an. "Wir haben jetzt erreicht, dass Rückführungen in die Türkei schneller und effektiver erfolgen können und die Türkei Staatsbürger, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, schneller zurücknimmt", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Sie sprach von einem "großen Fortschritt" und einem "weiteren Baustein zur Begrenzung der irregulären Migration".
Abschiebungen in großem Stil?
Anders als bei bisherigen Migrationsabkommen etwa mit Usbekistan oder Kenia kann es bei den Rückführungen in die Türkei um Abschiebungen in großem Stil gehen. Im vergangenen Jahr waren immer mehr Asylbewerber aus der Türkei gekommen. Allerdings sind Abschiebungen in das Partnerland aufgrund seiner geopolitischen Rolle politisch sensibel.
14.500 Türken ausreisepflichtig
Aus deutschen Diplomatenkreisen hatte es in der Vergangenheit geheißen, die Türkei blockiere die Rücknahme von ausreisepflichtigen Türken in Deutschland unter Verweis auf rechtliche Bedenken. Knapp 1.300 türkische Staatsbürger wurden 2023 aus Deutschland abgeschoben, wie die Regierung auf eine Anfrage der AfD mitteilte. Ende April 2024 waren etwa 14.500 Türken in Deutschland ausreisepflichtig, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
16.000 Visa für Türkinnen und Türken
Ob die Einigung nun auch Zugeständnisse an Ankara beinhaltete, war zunächst unklar. Die Türkei pocht seit langem auf Visa-Erleichterungen für ihre Staatsbürger. In der Türkei hört man immer wieder den Vorwurf, Visa-Anträge würden grundlos abgelehnt. Ein anderer Vorwurf, der sich verbreitet hat, lautet, die langen deutschen Wartezeiten seien Kalkül.
Gleichzeitig wurden im Zeitraum 2018 bis 2023 nur für Menschen aus China mehr Visa erteilt, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres hat Deutschland fast 16.000 nationale Visa für türkische Antragsteller ausgestellt. 2019 waren es im gleichen Zeitraum weniger als die Hälfte.
Pro Asyl kritisiert Scholz
Auf der Liste der wichtigsten Herkunftsländer von Asylbewerbern belegt die Türkei aktuell den dritten Platz. In den ersten acht Monaten dieses Jahres stellten 21.590 türkische Staatsbürger in Deutschland einen Asylantrag. Dass jetzt mehr Türken kommen, hat nach Einschätzung von Asylexperten auch mit den Folgen des verheerenden Erdbebens von 2023 zu tun.
Unter anderem in den zurückliegenden Wahlkämpfen war der Druck auf die Ampel-Regierung hin zu mehr Abschiebungen gewachsen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte an, "in großem Stil" abschieben zu wollen. Die Flüchtlingsrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte den Kurs. Eine Rückführungsvereinbarung des Bundeskanzlers mit dem türkischen Präsidenten etwa wertete Pro Asyl als "unverantwortlich". Die Regierung in Ankara steht wegen der Menschenrechtslage und des harschen Vorgehens gegen politische Gegner in der Kritik. Laut Pro Asyl sind die meisten türkischen Asylbewerber in Deutschland Kurden.