Wer seine vermietete Eigentumswohnung künftig selbst zu beruflichen Zwecken nutzen will, kann wegen Eigenbedarf kündigen, hat jetzt der BGH entschieden. Foto: Mierendorf

Die Kündigung einer Mietwohnung wegen Eigenbedarf ist künftig auch dann möglich, wenn der Vermieter sie beruflich nutzen will.

Stuttgart - Bislang setzte die Eigenbedarfskündigung einen Wohnraumbedarf des Vermieters oder seiner Angehörigen voraus. Der Bundesgerichtshof bejaht eine Kündigung wegen Eigenbedarf künftig aber auch dann, wenn der Vermieter in einer Wohnung Büros oder sonstige Dienstleistungsstätten errichten will (BGH Aktenzeichen VIII ZR 330/11), erläutert Rechtsanwalt Dr. Daniel Kautenburger-Behr von Ebner Stolz Mönning Bachem. Der Mieterverein Stuttgart befürchtet nun, 'dass mit dem jüngsten Entscheid nicht nur der im BGH verankerte Kündigungsschutz des Mieters weitgehend ausgehöhlt, sondern auch dringend benötigter Wohnraum vernichtet wird'. Rolf Gaßmann, Vorsitzender des Mietervereins Stuttgart, fordert schon lange die Wiedereinführung des Zweckentfremdungsverbots für Stuttgart. Das Landesgesetz war im Jahr 2001 unter CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel aufgehoben worden.

Eingeführt worden war diese Regelung vor mehr als 30 Jahren in Baden-Württemberg, um in Regionen mit Wohnungsnot Vermieter dazu zu verpflichten, ihre Wohnungen zur Abmilderung der Wohnungsknappheit auf dem Wohnungsmarkt anzubieten. Danach konnte es einem Vermieter untersagt werden, Wohnraum durch Umwidmung zu einer anderen Nutzung zu vermieten. Der Vermieter konnte nach dieser Verordnung auch verpflichtet werden, leerstehenden Wohnraum wieder zu vermieten, so Rechtsanwalt Kautenburger-Behr. Gaßmann setzt bei seinem Vorstoß auf einen Passus in der Koalitionsvereinbarung der grün-roten Landesregierung, demzufolge die Wiedereinführung des Zweckentfremdungsverbots ermöglicht werden soll, wenn die entsprechende Kommune beim Land die Wiedereinführung beantragt. Während die SPD-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat schon mal vorsorglich einen entsprechenden Antrag gestellt hat, hofft der Vorsitzende des Stuttgarter Mietervereins darauf, dass sich auch die anderen Ratsfraktionen anschließen werden, 'wenn sie nicht für die weitere Verschärfung der Wohnungsnot in Stuttgart verantwortlich sein wollen'. Bei Haus & Grund in Stuttgart hält man den Vorstoß des Mietervereins für einen 'Griff in die Gesinnungsmottenkiste'. Für deren Geschäftsführer Ulrich Wecker spielt das Zweckentfremdungsverbot in der Praxis heute keine Rolle mehr. 'Das Ansinnen des Mietervereines und der SPD-Gemeinderatsfraktion ist reine Augenwischerei.'

Es fehlen rund 436.000 Sozialwohnungen

So würden heute weitaus mehr Büroräume aus dem Bestand in Wohnungen umgewandelt als umgekehrt, relativiert Wecker. Das liege einerseits daran, dass es im Innenbereich der Landeshauptstadt genügend Büroflächen gebe, andererseits erhalten Vermieter im Innenstadtbereich fast schon mehr Miete für eine Wohnung als für ein Büro. Hinzu käme, dass sich Wohnungen heute schon allein aufgrund der benötigten technischen Rahmenbedingungen nicht mehr so einfach wie früher in eine Gewerbefläche umwandeln ließen. Sollte das Zweckentfremdungsverbot wieder in Stuttgart eingeführt werden, befürchtet Haus & Grund, dass noch weniger Investoren in der Landeshauptstadt in Wohnungseigentum investieren werden. 'Letztendlich sollte es jedem Immobilieneigentümer überlassen sein, was er mit seiner Immobilie macht', so Wecker. Den BGH-Entscheid zur Eigenbedarfskündigung begrüßt Ulrich Wecker, sieht darin auf Stuttgart bezogen aber eher ein Randthema, das auch weniger Mietshäuser betrifft als sogenannte Einliegerwohnungsobjekte. Manche Häuser verfügten über eine sogenannte Einliegerwohnung, die nicht selten vermietet ist. Wenn zum Beispiel die Ehefrau oder Tochter sich mit einer Krankengymnastikpraxis selbstständig machen wolle, könne künftig auch hier Eigenbedarf angemeldet und dem Mieter gekündigt werden, erklärt Wecker. Dass bezahlbare Sozialwohnungen in Stuttgart Mangelware sind, wird indes von niemandem bestritten.

Erst vor wenigen Wochen kam eine Studie des Pestel-Instituts im Auftrag des Deutschen Mieterbundes und von Verbänden der Bauwirtschaft zu dem Ergebnis, dass allein in Baden-Württemberg rund 436 000 Sozialwohnungen fehlten und damit für Menschen mit geringem Einkommen die Chance sinke, eine günstige Mietwohnung zu finden. Allein in Baden-Württemberg würden derzeit pro Jahr rund 4850 Wohnungen durch den Wegfall der Sozialbindung vom Markt verschwinden, kritisiert das Institut. Bei der Sozialbindung verpflichten sich Wohnungsbauunternehmen für einem bestimmten Zeitraum, der Kommune preisgünstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug erhält das Unternehmen günstigere Kreditkonditionen. Nach dem Wegfall der Sozialbindung werden die Wohnungen oft energetisch saniert oder an Finanzinvestoren verkauft. In fast allen Fällen kommt es zu Mieterhöhungen, die viele der Betroffenen aber nicht schultern können und deshalb ausziehen müssen. Um den Abwärtstrend zu bremsen, sei der zusätzliche Bau von Sozialwohnungen oder der Ankauf von neuen Belegungsrechten dringend notwendig, regt das Institut an.