Mick Schumacher im März 2023 in Bahrain. Foto: Imago/HOCH ZWEI

Boliden-Ingenieure und Formel-1-Piloten bei Mercedes schätzen den Rat ihres Test- und Reservefahrers Mick Schumacher. Er bekommt Einblicke in die Geheimnisse eines großen Rennstalls – möchte aber so schnell wie möglich zurück ins Cockpit.

Was die Formel 1 so alles aus den Menschen herausholt: Mick Schumacher, abseits der Rennstrecke durchaus der Typ Vorzeigeschwiegersohn, ist in den letzten Wochen zum Experten geworden, wenn es darum geht, die Nacht durchzumachen.

 

Wer jetzt allerdings Party-Fantasien hegt, der irrt natürlich. Der Sohn des Rekord-Weltmeisters Michael Schumacher hat vor den Großen Preisen von Monaco und Spanien einfach nur seinen Job gemacht, der in dieser Saison lautet: Test- und Reservefahrer bei Mercedes. Und antisprichwörtlich hat Reserve offenbar keine Ruh. „Es waren lange Nächte, aber es hat sich wirklich gelohnt“, sagt der 24-Jährige über seine Arbeit im Simulator – „denn die Arbeit hat dem Team geholfen.“

Nachts im Simulator, morgens wieder an der Strecke

Das Rennen selbst ist nur die Spitze des Eisbergs an Arbeit, die ein Formel-1-Rennstall hat. Freitags wird der Erfolg für den Sonntag gelegt, und der runderneuerte Silberpfeil ist immer noch ein bisschen zickig. Es gibt Tausende, vermutlich Zehntausende Varianten, den Rennwagen auf die jeweilige Piste, die Temperatur, den Asphalt abzustimmen. Das ist eine Nanowissenschaft.

Und damit sich die Stammpiloten Lewis Hamilton und George Russell in den lediglich zwei Stunden Training vor Ort nicht komplett mit dem Set-up verfahren, dreht Schumacher anschließend noch eine Menge mehr Runden in der Teamzentrale im britischen Brackley. Gerade noch als Ersatzmann vor Ort, wird er zur Nachtschicht in 3-D zurückgeflogen. Setzt sich in den Simulator bis zwei in der Früh, und morgens wieder zurück an die Strecke: vom Leben und Fahren in einer Parallelwelt.

Das Auto wird bei jeden Rennen besser

Tut er dann auch so, als ob er Hamilton oder Russell sei? „Ich bleibe immer Mick Schumacher“, sagt er bestimmt, „und ich imitiere deshalb nicht den Stil der anderen. Ich fahre einfach so, wie ich es für richtig halte. Ich glaube ohnehin, dass wir von der Fahrweise her im Endeffekt alle sehr nah beieinander sind.“

Mit seinen Eindrücken und einer Unmenge an Daten und veränderten Fahrzeugeinstellungen speist er dann die Ingenieure, vor Ort werden die Erkenntnisse ins echte Rennauto übernommen. Ergebnis beim Großen Preis von Spanien: Hamilton und Russell standen als Zweite und Dritte hinter Abo-Sieger Max Verstappen plötzlich auf dem Podium. Und lobten den dritten Mann: „Mick hat einen großartigen Job für uns gemacht, so gut hat sich das Auto noch nie angefühlt.“

Schumachers Ausbildung beginnt bei Mercedes erst richtig

Was sie genau da treiben in Mittelengland, das mag Mick Schumacher nicht verraten. Nur so viel: „Es ist ein bisschen anders als bei anderen Teams.“ Kein Rennstall kommt heute mehr ohne die enorm aufwendigen Trockenübungen aus, für den Job braucht es Piloten, die schon Rennerfahrung haben. So kam Schumacher junior in das Team, bei dem sein Vater die Karriere endgültig beendet hatte. Ihm half es nach dem unschönen Ende beim Hinterbänkler Haas, die Rennpause zu überbrücken und trotzdem im Geschäft zu bleiben, Mercedes war froh, sich Talent und Wissen gesichert zu haben. Wenn man so will, beginnt für Mick Schumacher nach 43 Rennen und zwölf Punkten die Formel-1-Ausbildung jetzt erst richtig.

„Es ist schön zu sehen und zu hören, dass meine Arbeit anerkannt wird“, sagt der Mann, der während der Rennen neben Rennstallchef Toto Wolff in der Box steht, Tipps aus Fahrerperspektive gibt, aber auch selbst viel über Strategie und Abläufe lernt. „Ich kann mich leicht in die Lage der beiden versetzen und sehe von außen manches schneller. Das gebe ich dann weiter.“ Wolff lobt: „Mick würde einen Sitz verdienen.“

Ab und zu darf er auf die Piste

Kürzlich dann der Perspektivwechsel vom Simulator in den echten Rennwagen, zum Reifentest. Freie Fahrt ist da nicht drin, es handelt sich um ein reglementiertes Entwicklungsprogramm. Aber trotzdem: „Es war einfach schön, wieder im Auto zu sitzen, schnell zu fahren und das Gefühl zu haben, gewollt zu werden in einem Team.“

Beim Haas-Rennstall haperte es an vielem, offenkundig besonders an der Menschenführung. „Richtig angekommen bei Mercedes“, sagt er, „war ich schon vor dem Test. Aber es war auf jeden Fall ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.“ Vergleichen mit der Vergangenheit lasse sich sein neuer Arbeitgeber nicht: „Bei Mercedes sind sie nicht ohne Grund da, wo sie sind. Mich beeindruckt besonders, wie stark das Team darin ist, Sachen umzudrehen. Beispielsweise mit einem Auto ins Jahr zu starten, das nicht so gut ist, aber die Gewissheit zu behalten, bis zum Ende der Saison wieder gewinnen zu können. Ich weiß jetzt auch genau, warum das so ist.“

Der Simulator-Job ist für ihn einer auf Zeit

Er selbst leistet wichtige Beiträge. Natürlich will er dauerhaft zurück ins Cockpit, wo er doch immer noch so nah dran ist. Eine Frage der Sehnsucht, auf die Schumacher antwortet: „Dieses Gefühl habe ich jedes Mal, wenn ich ins Fahrerlager laufe. Es ist immer noch ungewohnt für mich, denn lieber würde ich natürlich selbst im Auto sitzen. Das, was ich momentan mache, ist die Arbeit für jemand anderen. Letztes Jahr habe ich für mich gearbeitet . . .“ Der Simulatorjob ist wie ein Methadon-Programm für Rennfahrer.

Die Formel 1 ist zwar weiter im Umbruch, der Generationswechsel noch nicht abgeschlossen, aber die Konstellationen für 2024 sind nicht unbedingt günstig für Mick Schumacher. Hamilton steht vor der Vertragsverlängerung, Russell ist als Zukunftshoffnung gebunden. Zwei vage Alternativen gibt es im Augenblick: Bei Williams ist der Rookie Logan Sargeant offenbar noch nicht so weit wie gedacht, und dort ist der bisherige Mercedes-Stratege James Vowles jetzt Boss. Die zweite Möglichkeit könnte sich beim Sauber-Team ergeben, das von 2026 als Audi an den Start gehen wird, wo sich ein deutscher Fahrer gut machen würde.

„Mein Ziel ist es, möglichst bald wieder auf der Piste zu sein. Es gibt zwar Momente, in denen ich weniger darüber nachdenke, aber ganz verschwindet das Thema nie aus meinem Kopf“, sagt Schumacher und fügt an: „Deshalb ist es wichtig, sich zu zeigen. Solange ich meine Testarbeit gut mache, wird auch über mich gesprochen. Das Innere der Formel 1 ist so klein, da bekommt jeder mit, was hinter den Kulissen läuft. Auch die Leute, die die Entscheidungen treffen.“