Michael Schweikardt genießt beim TVB Stuttgart zumindest bis zum Saisonende das Vertrauen als Cheftrainer. Im Interview spricht er über seinen Drang, Neues auszuprobieren, seine Führungsphilosophie und den Austausch mit der Familie.
Der Handball-Bundesligist TVB Stuttgart steht vor einer interessanten Woche. An diesem Donnerstag (18.30 Uhr/Sportdeutschland.tv) geht es in der zweiten DHB-Pokal-Runde zur TSV Hannover-Burgdorf an, es folgt das Heimspiel am Sonntag (16.05 Uhr/Porsche-Arena) gegen Aufsteiger ASV Hamm-Westfalen, ehe es zum Derby zu Frisch Auf Göppingen geht (27. Oktober, 19.05 Uhr/EWS-Arena). Der neue Trainer Michael Schweikardt schätzt die Lage ein.
Herr Schweikardt, Herr Schweikardt, wie fühlt man sich als einer von 18 Cheftrainern in der HBL?
Es fühlt sich gut an. Alles war sehr wild und viel in den vergangenen Tagen, aber es macht sehr viel Spaß. Und es ist natürlich eine ungemein reizvolle Aufgabe, da Profis die Dinge schneller umsetzen, auch wenn die Cheftrainertätigkeit zumindest zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich noch nicht mein Plan war.
Mussten Sie lange überlegen, den Job anzunehmen?
Ja klar, so etwas bespricht man mit seiner Familie, ohne die Unterstützung meiner Frau hätte ich das nicht gemacht. Meine bisherige Tätigkeit im Scouting und in der Anschlussförderung war mit Blick auf ein geregeltes Familienleben optimal. Jetzt habe ich praktisch einen Job rund um die Uhr, aber eben auch einen, der sehr privilegiert ist.
Was gab den Ausschlag Ja zu sagen?
Der Reiz, es auf diesem Topniveau hinzubekommen. Ich habe die A-Lizenz gemacht, um es irgendwann einmal zu probieren, wenn sich die Gelegenheit bietet, jetzt kommt diese schneller als ich dachte. Darauf freue ich mich, da ich mich sehr intensiv mit Handball beschäftige und schon ein paar Ideen habe, die zum Erfolg führen können.
Welche sind das?
Ich finde es grundsätzlich langweilig, wenn jeder immer den gleichen Stiefel runterspielt, da möchte ich schon etwas Kreativität reinbringen, ein paar Dinge ausprobieren, auch wenn ich da, salopp formuliert, sicher auch mal auf die Schnauze fallen werde.
Können Sie konkret werden?
Es geht einfach um neue Auslösehandlungen im Angriff, wie man eine gegnerische Abwehr ausspielen kann, oder mal eine neue Abwehridee.
„Nicht ein System stur durchdrücken“
Ihr Vorgänger Roi Sanchez hat auch viel ausprobieren wollen und ist gescheitert.
Auch Roi hat seine Ideen umgesetzt, und da waren ja auch viele gute Sachen dabei. Jeder Trainer kann mit seiner Art und Weise Handball spielen zu lassen funktionieren oder auch nicht, dessen bin ich mir bewusst. Ich werde auch nicht von einem Tag auf den anderen alles umwerfen, es wird eine Mischung aus Bewährtem und Neuem sein.
Was ist entscheidend, um die richtige Balance zu finden?
Man muss die Spieler hinter sich bekommen, sie für die Idee begeistern. Es bringt nichts etwas durchzudrücken, wenn die Spieler sagen: Trainer, das find ich nicht so geil. Dann funktioniert es nicht. Wenn ich merke, die Spieler stehen nicht dahinter, dann werde ich Veränderungen vornehmen. Da braucht ein moderner Trainer die nötige Flexibilität und nicht das Beharren auf ein System, das man stur durchdrückt.
Von welchem Ihrer Trainer haben Sie am meisten mitgenommen?
Ich kann nicht sagen, dass es da den einen und einzigen Mentor gab. Ich habe von jedem etwas mitgenommen – von meinem Vater, von meinem Bruder, von Velimir Petkovic in Göppingen und Michael Roth in Melsungen, sicher auch etwas von Markus Baur und Thomas König, die nur kurz beim TVB waren.
Wie würden Sie Ihre Führungsphilosophie beschreiben?
Kollegial, aber bestimmt. Ich verstehe es als Teamarbeit, als ein Gemeinschaftswerk von Trainer plus Team, nur so lässt sich etwas erarbeiten. Aber klar ist auch: der Trainer hat die Aufgabe und die Verantwortung, finale Entscheidungen dann zu zu treffen.
Zum Team gehört auch der Co-Trainer, es ist ungewöhnlich, dass Sie mit Sanchez‘ Assistent und Landsmann weiterarbeiten.
Vicente ist ein loyaler Mensch, loyal zu Roi, aber er war auch offen für meine Ideen. Mitten in der Saison einen neuen Co zu finden, ist zudem auch nicht einfach, womit ich aber keinesfalls sagen möchte, dass Vicente eine Notlösung ist. Ich denke wir liegen da auch menschlich auf einer Wellenlänge und werden gut zusammenarbeiten.
Es gibt ein Bild aus Ihrer aktiven Zeit wie Torwart Silvio Heinevetter freundschaftlich den Arm um Sie legt, haben Sie eine besondere Verbindung, tauschen Sie beide sich besonders aus?
Ich kenne das Bild (lacht). Es ist lustig, weil wir davor beide eine Zeitstrafe bekommen haben, da wir zuvor eine kleine Meinungsverschiedenheit auf dem Feld hatten. Ich kannte ihn also nur flüchtig als Gegenspieler. Er ist eine polarisierende Persönlichkeit für die Zuschauer – und durch seine Erfahrung und Klasse ein sehr wichtiger Spieler für den TVB.
„Zusammenhalt als Stärke“
Sie wohnen wie Ihr Vater und Ihr Bruder in Bittenfeld – wie oft tauscht man sich da im Elternhaus bei einem schönen Essen der Mutter aus?
Im privaten Bereich, etwa bei Familienfeiern, hält sich der Austausch über Handball in Grenzen. Für die Gespräche über das Berufliche ziehen wir uns dann schon lieber ins Büro zurück.
Die Konstellation ist im Profisport sehr ungewöhnlich und wird in der Öffentlichkeit ab und an auch kritisch hinterfragt.
Ich sehe diesen Zusammenhalt – der nicht nur in der Familie, sondern im ganzen Verein herrscht – als eine Stärke von uns an.
Wie steht es um die Streitkultur?
Ich bin ein professioneller Handballtrainer. Klar hat man da vielleicht mal eine Meinungsverschiedenheit mit dem Geschäftsführer, in unserem Fall ist der Geschäftsführer eben mein Bruder. Aber gerade deswegen reden wir umso ehrlicher, mit absolut offenem Visier.
Sie wirken ruhiger als Ihr Bruder. Ist es auch so?
Ich bin ruhiger, keine Frage, zumindest äußerlich, innerlich während den Spielen nicht unbedingt. Ich bin der Meinung, dass man in diesem hektischen Spiel von außen Ruhe ausstrahlen sollte, mit sachlichen Gedanken der Mannschaft helfen sollte, das ist meine Devise.
Kann man eine gewisse Unaufgeregtheit trainieren?
Ich habe mir die Ruhe über die Jahre angewöhnt, als junger Spieler war ich schon auch ein Hitzkopf, da bin ich zum Glück davon weggekommen. Andererseits kann ich auch nicht versprechen, dass ich nicht auch mal durch die Decke gehen werde.
Wie schwer wird es, das Saisonziel Top 12 zu erreichen?
Wir bleiben dran an diesem Saisonziel, aber es wird sicher keine einfach Aufgabe. Wir sind einen Platz über dem Strich, da muss man das Minimalziel Klassenverbleib im Blick behalten.
Aber eigentlich heißt das formulierte Minimalziel ja Platz zwölf.
Ich bin auch davon überzeugt, dass unsere Mannschaft die Qualität für Platz zwölf hat, doch es sind in diesem Bereich zwischen Platz neun und 14 eben sehr viele Clubs auf Augenhöhe.
Was macht es denn so schwer – trotz ständig gestiegenem Etat – nach acht Jahren erste Liga endlich die erste Tabellenhälfte zu erreichen?
Man darf unseren Etat nicht mit dem von Göppingen oder Lemgo vergleichen – diese Clubs zahlen kaum eine Hallenmiete. Man muss die reinen Gelder vergleichen, die tatsächlich in den Kader reinfließen und dann relativiert sich das mit ständig gestiegenen Etat bei uns. Wir müssen gute Entscheidungen bei den Transfers treffen und dann mit dem vorhandenen Material einen guten Job machen. Wir haben dieses Jahr eine gute Truppe – jetzt wollen wir liefern.
Derby bei Frisch Auf als besonderer Reiz
Hannover, Hamm, Göppingen.
Das wird eine interessante Woche. Wir wollen im Pokal in Hannover nichts herschenken, Hamm ist dann ein äußerst wichtiges Spiel, und das Derby bei meinem Ex-Club Frisch Auf ist für mich persönlich natürlich etwas ganz Besonderes, da ich viele schöne Erinnerungen mit der EWS-Arena verbinde.
Kann der TVB an Frisch Auf vorbeiziehen.
Derzeit ist das aufgrund der unterschiedlichen Mannschaftsetats unrealistisch, aber warum nicht in der Zukunft.
Wo sehen Sie sich und den TVB in fünf Jahren?
In fünf Jahre hoffe ich, dass es meiner Familie gut geht und ich im Job das mache, was mir Spaß bereitet. Dazu habe ich jetzt die Zeit zu testen, ob das Amt als Bundesliga-Chefcoach dauerhaft etwas ist. Beim TVB hoffe ich, dass es weiter stetig bergauf geht. Das Potenzial in der Region Stuttgart ist da, wir haben viele gute Mitarbeiter im Verein, auch da ist das Potenzial groß.
Zur Person
Vita
Michael Schweikardt wurde am 7. März 1983 in Waiblingen geboren. Er spielte in der Jugend und bis 2003 beim TV Bittenfeld, von 2003 bis 2010 bei Frisch Auf Göppingen, von 2010 bis 2012 bei der MT Melsungen und danach bis 2019 für den TVB Stuttgart. Nach seiner aktiven Karriere trainierte der A-lizenz-Inhaber von 2019 bis 2022 den Drittligisten TSB Heilbronn-Horkheim und war beim TVB parallel im Bereich Scouting/Anschlussförderung tätig. Ende September löste er Roi Sanchez als Chefcoach ab. Sein Vertrag gilt zunächst bis zum Saisonende.
Privates
Michael Schweikardt hat eine Ausbildung zum Sozialversicherungsfachkaufmann abgeschlossen und ist verheiratet mit Ina. Das Paar hat zwei Söhne, Jacob (6) und Charlie (4). Michael Schweikardt ist allgemein sportbegeistert, spielt Tennis und Golf. (jüf) .