Michael Maier macht weiter, irgendwie. Seit Februar organisiert der Laufener von der rumanänischen Grenze aus Hilfstransporte in die Ukraine und holt Menschen aus dem Krieg. Mit dem Schwarzwälder Boten spricht er über seine Erfahrungen – und seine Befürchtungen.
Albstadt-Laufen - Ein paar Tage Heimaturlaub im Blockhaus seiner Mutter – trotzdem: Wirklich entspannen kann Michael Maier nicht, schläft wenig, hängt ständig am Telefon. Der Angriff auf die Ukraine hat sein Leben komplett umgeworfen. Alle Ersparnisse hat der 32-Jährige inzwischen aufgebraucht, um zu helfen, seinen Job in der Schweiz gekündigt. Die Ehe ist den Bach runter, die drei Kinder bei der Mutter.
All das hat Maier eingetauscht gegen ein Mietshäuschen in Rumänien, von dem aus er Hilfe für die Ukraine organisiert und selbst oft ins Kriegsgebiet startet, um Menschen rauszuholen. "Der Kriegsausbruch hat mich so geschockt, dass ich dachte: Jetzt musst du etwas machen", sagt Maier.
"3000 Leute täglich – da herrschte erst mal großes Chaos"
Am 26. Februar um 5 Uhr kam er an der rumänisch-ukrainischen Grenze an, wo nichts vorbereitet war, ständig Flüchtende ankamen. "Täglich kamen 3000 Leute, es herrschte Chaos." So kaufte er Essen auf eigene Kosten. "In den ersten zehn Tagen gab es nichts, kein Zelt, keinen Strom. Also hab’ ich Tische aus Europaletten gebaut." Lebensmittel in die Ukraine transportieren, durfte er anfangs nicht, weil nicht klar war, ob das rechtlich als Eingriff in die Krieg gelten würde. Also suchte er kraftvolle Frauen, die sie zu Fuß ins Land trugen, bis humanitäre Hilfe erlaubt war.
"Ich habe nicht geschlafen, nicht gegessen"
Weil er ein Rottweiler Busunternehmen mobilisierte, zu kommen und Menschen nach Deutschland zu bringen, war er schnell bekannt, hatten alle bald seine Telefonnummer. "Ich habe nicht geschlafen, nicht gegessen." 20 Kilo hat er seitdem verloren und schafft es, 20 Stunden durchzufahren. Ohne zu essen, weil das müde macht. Er fährt auch in die Ost-Ukraine, wo der Krieg brutal tobt. "Wo die Russen abgezogen sind, sind alle Brücken gesprengt, keine Schilder aufgestellt. Nachts ist das besonders gefährlich." Co-Piloten nimmt Maier trotzdem nicht mit auf seinen Fahrten, denn "wenn es ernst wird, will ich nur meinen Hintern retten müssen. Außerdem kann ich so eine Person mehr rausholen."
"Der Russe kämpft mit dem letzten Schrott"
In Rumänien hilft ihm Emma, eine junge Frau: Autos beladen, Hilfsgüter anwerben. Lebensmittel, Medikamente, Verbandsmaterial – alles wird gebraucht. Im Krieg hat Maier beobachtet, "dass der Russe mit dem letzten Schrott kämpft, mit uraltem Kriegsmaterial. Und mit Kindern, mit Söldnern, die nicht mal Russisch können, aus dem tiefsten Osten, nicht ausgebildet." Ein Russe, den er rausgebracht hat, war zum Einsatz gezwungen worden: "Mach mit, sonst wird Dein Kind erschossen."
Medikamentenliste auf Klopapier
Was er oder andere erlebt haben – stundenlang könnte er berichten: Von der 23-Jährigen in einem Zug, der beschossen wurde. Vom Ukrainer, der seine Frau zur Grenze brachte, sie küsste, seine Waffe nahm und zurückkehrte, um sein Land zu verteidigen. Von den Toten, die er gesehen hat, auch Kinder: "Das ist nicht in Worte zu fassen." Und von der 80-jährigen herzkranken Frau, die ihm auf Klopapier aufschrieb, welche Medizin sie braucht. "Die hat sie in der Nacht noch bekommen", sagt Maier und lächelt.
"Wenn Putin das Getreide hat, hat er Afrika in der Hand"
Wie gut es den Menschen hierzulande – trotz hoher Inflation und Energiekrise – geht, ist Michael Maier durch seine Arbeit viel bewusster geworden, "alleine durch unseren Rechtsstaat und die Grundversorgung". Große Sorge macht ihm hingegen die Aussicht auf die Folgen eines russischen Sieges in diesem Krieg – nicht nur jene für angrenzende Staaten. "Wenn Putin die Ukraine hat, hat er das Getreide – und damit Afrika in der Hand. Wenn die Ukraine fällt, werden wir weltweit große Probleme haben."
"Angst habe ich nur um meine Kinder"
Hat er Angst? "Wenn ich Angst hätte, würde ich’s nicht machen", sagt er entschlossen. "Die einzigen, um die ich Angst habe, sind meine Kinder."
Inzwischen ist Michael Maier rund 80 000 Kilometer gefahren, hat mehr als 1000 Geflüchtete sicher nach Deutschland gebracht – und 50 bis 100 Tonnen Lebensmittel in die Ukraine. Genau kann er das gar nicht sagen. Einmal pro Woche bringen ihm Freiwillige mit dem Sprinter Sachspenden nach Rumänien, wo er als nächstes Stockbetten in sein Haus einbauen will, "damit ich bis zum nächsten Transport Leute aufnehmen kann".
Die Heimat lässt ihn nicht hängen – alle Spenden sind willkommen
Inzwischen hat der gelernte Kfz-Mechatroniker beschlossen, seine eigene Organisation zu gründen, um zu helfen – hauptberuflich. Wer ihn unterstützen will, kann Geld, Medikamente, Verbandszeug und andere Sachspenden im Thalia-Theater abgeben. Weil er schon mit dem Balinger Verein "UkrainBW" zusammenarbeitet, kann er schon jetzt Spendenquittungen ausstellen.
Thilo Hess, der evangelische Pfarrer in Laufen, hat 700 Euro bei einer Aktion gesammelt – und will seine Hilfe fortsetzen, "ein Zeichen setzen". Michael Maier selbst ist nicht gläubig, doch es gibt ihm Kraft, wenn er sieht, dass seine Hilfe ankommt, was es bewegen kann. "Ich versuche, jedem Flüchtling ein Stück meines Herzens zu schenken." Trotz aller Kraft, die es ihn kostet, seelisch und körperlich nach acht Knie-Operationen und einem Riss im Hüftgelenk: Jetzt erlebt er wieder das gute Gefühl, das er vor zehn Jahren hatte, als er einem jungen Mädchen mit seiner Knochenmarkspende das Leben rettete. "Jedes Mal, wenn ich jemanden aus der Ost-Ukraine raushole, rette ich ihn vielleicht vor dem Tod."