Ministerin Bilkay Öney informiert sich in Meßstetten über Erhebung beruflicher Kompetenzen von Asylbewerbern.
Meßstetten - Sie liebt Deutschland, das "Mutterland des Ingenieurwesens" und möchte hier ihre Qualifikationen weiter verbessern und arbeiten: Die 28-jährige Samiha Aldakkak ist aus Syrien geflohen und hat viele Ideen mitgebracht, die sie verwirklichen will. Ihr Heimatland musste die Maschinenbauingenieurin wegen des Bürgerkrieges verlassen. In der Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (Lea) in Meßstetten traf sie Jürgen Beck. Der Berater interviewte sie und füllte mit ihr zusammen einen Fragebogen aus zur "Kompetenzerfassung für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse" – ein Programm, von dem sich Integrationsministerin Bilkay Öney jetzt vor Ort in der Lea ein Bild machte.
Der frühere Schulleiter Jürgen Beck ist Pionier. Was in der Lea Meßstetten seit 1. Juli läuft, soll jetzt auch sukzessive in anderen Einrichtungen starten. Unter der Ägide von In Via, dem katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit, hat er bislang 245 Beratungsgespräche geführt, zumeist in englischer Sprache. Auf das Angebot aufmerksam werden die Flüchtlinge durch Flyer, die in der Lea aushängen. Vor allem Akademiker mit mehrjähriger Berufserfahrung kommen zu ihm, aber auch Leute, die nach dem Abitur handwerklich im elterlichen Betrieb gearbeitet haben – in der Mehrzahl Syrer. "Diese Menschen wollen hier ihre Ausbildung zum Abschluss bringen, möglichst schnell Geld verdienen, Steuern zahlen und eine Existenz gründen", sagt Beck.
Ziel: Der Prozess soll möglichst früh beginnen
Nach den rechtlichen Erleichterungen beim Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge hat die Landesregierung dazu das Programm "Chancen gestalten – Wege der Integration in den Arbeitsmarkt öffnen" aufgelegt. "Unser Programm soll Flüchtlingen dabei helfen, sich entsprechend ihrer Qualifikation in den Arbeitsmarkt zu integrieren", sagte Integrationsministerin Bilkay Öney bei ihrem Besuch in der Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Öney informierte sich vor Ort über diesen zentralen Punkt des Landesprogramms: das Abfragen beruflicher Qualifikationen und Fähigkeiten sowie der Sprachkompetenzen. "Unser Ziel ist es, möglichst früh einen Beratungsprozess zu starten, der mit einer ›Standortbestimmung‹ beginnt", betonte die Ministerin.
Dazu sammelt Beck in den Gesprächen mit den Flüchtlingen Eckdaten auf einem standardisierten Erhebungsbogen. Er fragt nach Abschlüssen, Berufserfahrungen, den Sprachkenntnissen und dem Vorhandensein eines Führerscheins und prüft nach, ob Dokumente vorhanden sind. Zudem schaut er darauf, ob für existierende Abschlüsse ein Anerkennungsverfahren eingeleitet werden soll oder muss.
Das Ziel ist, dass die folgenden Prozesse beschleunigt ablaufen. Deshalb gehen die erhobenen Daten – der Fragebogen wird den Befragten mitgegeben – zum einen an die Sozialberatung in den Einrichtungen, zum anderen an die Netzwerke, die das Programm in den Kreisen umsetzen und dort weiter Flüchtlingssozialarbeit leisten. Diese Netzwerke sollen möglichst in allen Landkreisen geschaffen werden, um den Flüchtlingen jegliche Möglichkeiten zu eröffnen, wobei zunächst vor allem die Sprachprobleme zu beheben sind mit entsprechenden Deutschkursen.
"Diese Beratung spart Zeit", sagt Öney: "Die Menschen wissen, was sie erwartet und was sie an Papieren noch beschaffen müssen, so gehen sie gut vorbereitet in die nächsten Stationen." Das Programm richtet sich an Menschen, die eine hohe Chance haben, in Deutschland bleiben zu dürfen. Zwischenzeitlich sieht die Ministerin eine Möglichkeit, die Flüchtlinge entsprechend ihrer Qualifikationen als Mitarbeiter in den Leas einzusetzen, etwa in den Kindertagesstätten, und sie auf diesem Weg einzubinden. Derweil zeigen sich Betriebe der Industrie- und Handelskammer (IHK) offen, Flüchtlinge aufzunehmen.
Das Integrationsministerium hat mittlerweile die vier Erstanlaufstellen und Kompetenzzentren für die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Mannheim, Stuttgart, Ulm und Freiburg um insgesamt 7,6 Personalstellen verstärkt. Diese bieten nunmehr in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge Beratung über die Anerkennung beruflicher Qualifikation an. Zudem unterstützen sie auch die Netzwerke in den Stadt- und Landkreisen in der weiteren Beratung und Begleitung der Menschen im Anerkennungsverfahren und bei der beruflichen Integration. Das Kompetenzzentrum in Ulm ist für die Kreise im Regierungsbezirk Tübingen sowie die Lea Meßstetten zuständig. Alle Kompetenzzentren haben Kontakt zur Verfahrens- und Sozialberatung sowie zu den Kreisen aufgebaut. In Meßstetten werden berufliche Qualifikationen seit Juli erhoben.
"Den Menschen gibt diese Beratung ein Stück weit neue Hoffnung und vermittelt ihnen Wertschätzung, hilft dabei, mit ihrer Situation in der Unterkunft fertig zu werden", sagt Beck: "Sie merken, dass Deutschland Interesse daran hat, dass sie hier bleiben, hier arbeiten und ihre Kompetenzen einbringen." Für die Flüchtlinge sei die Erfahrung wichtig, dass es Helfer gebe, die ihnen offen begegnen.
Das ist Samiha Aldakkak anzuspüren. Sie lächelt nach dem Interview und bedankt sich herzlich, für sie ist es ein erster Schritt auf dem Weg, in eine adäquate und nachhaltige Beschäftigung zu kommen.