Der Flüchtling aus Afghanistan hat zehn Tage im Bergland der Türkei verbracht, bevor er nach Meßstetten kam. Foto: Maria Hopp

Seit knapp einer Woche leben Menschen in Meßstettener Landeserstaufnahmestelle. Zimmer bieten das Nötigste.

Meßstetten - Der sprichwörtliche goldene Oktober gibt an seinem letzten Tag noch einmal alles: Sonnenschein, angenehme Temperaturen, ein laues Lüftchen. In die ehemalige Zollernalb-Kaserne, jetzt Landeserstaufnahmestelle (LEA) für Flüchtlinge, etwas außerhalb von Meßstetten (Zollernalbkreis), kehrt wieder Leben ein. Drei Tage zuvor waren die ersten 33 Flüchtlinge angekommen, nun verschafften sich Vertreter aus Landes- und Kommunalpolitik einen Überblick über den sich noch zu etablierenden Alltag.

Die Gebäude, die zuvor Soldaten beherbergten, sehen aus, als habe sich seit dem Abzug der Bundeswehr nichts geändert: Der Anstrich in warmem Hellbraun, um die Grünflächen davor zieht sich ein Maschendrahtzaun. Rund vier Millionen Euro hat das Land in den Umbau des Areals investiert. Die meisten Kosten verursachte der Brandschutz im Inneren, weshalb die Gebäude von außen nahezu unverändert aussehen. Fertig ist die Aufnahmestelle jedoch nicht: Bisher kann nur die unterste Etage genutzt werden, die oberen sollen bald so weit sein.

Wind trägt Musikfetzen Richtung Straße

Hinter dem Maschendrahtzaun ist nun neues Leben eingekehrt: An diesem Vormittag trägt der Wind Musikfetzen in Richtung Straße, vor dem Gebäude 5b fegen zwei junge Männer den gepflasterten Weg, eine Frau sitzt auf einer Bank, zwei Kinder spielen miteinander. Eine Szene, die sich auch in jeder anderen Stadt so abspielen könnte. Einziger Unterschied: Bei den Menschen handelt es sich um Flüchtlinge. 1000 von ihnen kann die LEA bei Vollbelegung aufnehmen.

In Meßstetten stammen die Hilfesuchenden derzeit aus Afghanistan, dem Irak und Serbien. "Als sie am vergangenen Dienstag hier eintrafen, waren sie einfach nur müde", sagt die Betreuungsleiterin Birgit Karvath. Die Alltagsbetreuer waren es auch, die die Flüchtlinge in der LEA willkommen hießen. Sie erklärten ihnen, was es mit dem Truppenübungsplatz auf sich hat und wo sich die verschiedenen Einrichtungen auf dem Gelände befinden. Dann erhielten sie ein warmes Mittagessen und bezogen ihre Zimmer. Birgit Karvath vergleicht: "Es ist ein wenig wie beim Einchecken in ein Hotel."

Ein Hotel, in dem noch niemand wohnt und auf beinahe jeden Bewohner ein Betreuer der European Homecare kommt. Das wird sich ändern, wenn diese Woche die nächste Gruppe Flüchtlinge eintrifft. Bewusst wurde von der Leitung darauf geachtet, dass die Geflohenen in ihrer Unterbringung nicht gestört werden. Zeit, die Seele baumeln zu lassen, hatten die Bewohner bis zum Besuch der Politiker.

Neugierig blicken die Flüchtlinge vor Gebäude 5b auf die Gruppe, die sich auf der Straße vor dem Polizeiposten versammelt. Neben Politikern sind auch Pressevertreter von Zeitung, Hörfunk und Fernsehen da - die Blicke wandern Richtung Maschendrahtzaun. Dankesworte werden gesprochen, Statements abgegeben. Schon zieht die Karawane weiter in Richtung Kindergarten.

Dort kommt es zur Begegnung beider Welten - und das ungeplant. Vorgesehen war nämlich zunächst die Besichtigung von Kindergarten, medizinischem Zentrum und Unterkünften. Erst danach - in der Kantine beim gemeinsamen Mittagessen - hätte es zu einer Pressekonferenz kommen sollen. Durch das spontane Aufeinandertreffen mit den Flüchtlingen wird der Plan kurzerhand über den Haufen geworfen. Beide Seiten kommen ins Gespräch.

Tägliche Telefonate geben Rückhalt

Eine von ihnen ist Enas Kajo. Die 29-Jährige ist Planänderungen und Turbulenzen gewohnt. Anfang August ist sie mit ihrem Mann aus dem Irak geflohen. "Auf dem Weg hierher wurde uns alles genommen", sagt die Christin mit Hilfe eines Dolmetschers. Auch die Wege des Paars haben sich getrennt. Wo ihr Mann gelandet ist, weiß sie nicht: "Er muss sich irgendwo in Europa aufhalten. Wir haben seit zehn Tagen nicht miteinander gesprochen." Rückhalt gibt Kajo ihre Familie, die in Mossul zurückgeblieben ist: Sie bezahlte die riskante Flucht. "Wir telefonieren jeden Tag miteinander."

Auch beim 27-jährigen Haideri Abbas und dem zwei Jahre älteren Khaled Bayat waren die letzten Wochen geprägt von Unsicherheit und der Hoffnung auf ein ruhiges Leben. Vor zwei Monaten waren sie gemeinsam mit ihren Familien aus Afghanistan geflohen. Zehn Tage verbrachten sie während ihrer gefährlichen Reise "irgendwo" im Bergland der Türkei.

Nach so einem Durcheinander und all der Aufregung wirkt das doch abgeschiedene LEA-Areal sicher einladend. "Gut" sei das Leben hier, geben die Flüchtlinge zur Antwort. Die nächsten vier bis sechs Wochen werden sie in der Erstaufnahmestelle verbringen. In Zimmern, die das Nötigste bieten: Einzel- oder Stockbetten, eine Sitzgelegenheit, und einen zum Teil geregelten Tagesablauf. Auch Sprach- und Sportkurse sollen demnächst angeboten werden - bis dahin heißen Betreiber und ehrenamtliche Helfer die Flüchtlinge stellvertretend mit bunten Holzlettern auf dem Zaun vor Gebäude 5b "herzlich willkommen".

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