Selbstbehauptung: Mädchen lernen im Kurs, sich verbal und körperlich gegen Angreifer zu verteidigen
Von Anne Retter
Meßstetten. Sie sind gekommen, um in rund sechs Stunden zu lernen, wie sie sich wirkungsvoll zur Wehr setzen: die Mädchen, die sich an diesem Vormittag mit den Schulsozialarbeiterinnen und Trainerin Bianka Neußer in der Heuberghalle treffen.
"Schützen kann man sich nur, wenn man das notwendige Wissen dazu hat", erklärt Neußer den zwölf Schülerinnen zwischen 13 und 14 Jahren. Etwas schüchtern sitzen die Mädchen im Kreis, um einander kennen zu lernen und einen ersten Input von Gewaltpräventionstrainerin Bianka Neußer zu bekommen. Sie möchten wissen, wie sich selbst schützen, sich verbal und körperlich behaupten, sollten sie angegriffen werden. "Ich möchte auch lernen, Situationen zu erkennen, die gefährlich für mich werden könnten", sagt eines der Mädchen und ein anderes erklärt, sie möchte wissen, wie sie mit manchen komischen Nachrichten auf dem Handy umgehen solle.
"Die Eltern sollten die Teilnahme ihrer Kinder an solchen Angeboten fördern", sagt Sozialarbeiterin Johanna Burger. Sie ärgert sich darüber, dass es immer wieder die Forderung gebe, man solle Mädchen und Jungen stark machen, und dann sei das Interesse an den Angeboten eher gering. "Wir möchten den Selbstbehauptungskurs in den Faschingsferien trotzdem als Institution etablieren."
Seit 2013 findet der Kurs statt und steht grundsätzlich allen interessierten Mädchen offen. "Eines unserer Ziele heute ist, die Angst zu benennen, die hinter dem Wunsch steckt, sich zu verteidigen. Alle Frauen und Mädchen kennen sie irgendwie, aber es auszusprechen fällt schwer: Es ist die Angst vor einer Vergewaltigung. Wenn man diese Furcht ausspricht, dann lernt man auch mit ihr umzugehen." Die Mädchen hören aufmerksam zu, während Bianka Neußer spricht. "Ein Vergewaltiger fällt nicht vom Himmel, er steht in den seltensten Fällen mit dem Messer hinter einem Busch im Park." Meistens nähere sich ein Täter langsam und teste die Reaktionen seines potenziellen Opfers – eine scheinbar zufällige Berührung hier, ein beiläufiges Streicheln da, Komplimente, Freundlichkeiten.
"Was sagt man denn jetzt, wenn dieser Mann, der den gesamten Abend so nett war, einen nach Hause bringen will?" Am besten: "Ich will das nicht!" Vieles laufe über die Körpersprache. Das erfahren die Mädchen im Selbstbehauptungstraining praktisch. Auch mit den Hunden der Trainerin: Die sind zum einen Vorbild – "wenn der Hund nicht gestreichelt werden will, dann sieht man ihm das sofort an, dann knurrt er warnend und schließlich zwickt er einen, wenn man ihn nicht lässt". Zum anderen merken die Mädchen: Der Vierbeiner spürt, ob sie es ernst meinen mit ihrem "Bleib da!", ihrem "Stop!". Mit einem Menschen sei das nicht anders, meint Sozialarbeiterin Burger. Die Mädchen müssten zuerst einmal lernen, eigene Bedürfnisse ernst zu nehmen und sich trauen, Grenzen zu setzen. "Verbale Selbstbehauptung ist viel schwieriger als das Zuschlagen", findet auch Bianka Neußer, bevor sie zeigt, wie schnell man nicht mehr weg kommt, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Denn auch das ist eine Lektion: "Lasst Euch nicht von einer Gruppe einkesseln, kennt Eure Umgebung – die Laternenmasten, gegen die ihr rennen könntet, aber auch die nächste Person, die ihr um Hilfe bitten könnt. Auch Weglaufen ist eine Möglichkeit, sich zu verteidigen."