Zunächst lautete die Anklage auf versuchter Totschlag, gefährliche Körperverletzung blieb. Gericht sieht beim Angeklagten eine tiefe narzisstische Kränkung. Foto: Moni Marcel

Kein versuchter Totschlag, sondern gefährliche Körperverletzung: So urteilte das Rottweiler Landgericht.

Der Deutsch-Libanese hatte im Januar zwei Männer in Trossingen mit einem Cuttermesser verletzt, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen, wie es der vorsitzende Richter Karlheinz Münzer in seiner Urteilsbegründung nannte.

 

Dafür muss er für zwei Jahre und vier Monate ins Gefängnis. Aber nicht sofort: Nachdem er Reisepass und Ausweis dem Gericht übergeben hatte, nahmen ihm die Wachleute die Fußfesseln ab und er durfte nach Hause – vorerst.

Die Strafe muss er absitzen, sich bis dahin alle zwei Wochen bei der Polizei melden. So wolle man ihm die Möglichkeit geben, die familiären Probleme zu regeln: Die Ehefrau sei mit den vier Kindern überfordert, der älteste Sohn leide stark darunter, dass der Vater seit Januar in U-Haft sitzt.

200-köpfige Großfamilie

Der Prozess habe große Besonderheiten gehabt, begründete Münzer, so sei der 53-Jährige in eine etwa 200-köpfige Großfamilie aus dem Libanon eingebunden, die versuchte, die Sache untereinander zu regeln: Mit 10 000 Euro für die Opfer, mit einem Mietnachlass für das umstrittene Gebäude im Trossinger Industriegebiet und mit dem Versuch, die Anzeigen zurückzuziehen. Doch das funktioniert im deutschen Rechtsstaat nicht: „Selbstjustiz wird hier nicht geduldet!“

Das Gericht zeigte durchaus Verständnis für den Messerangriff im Januar. Der 53-jährige Angeklagte habe vom Besitzer des Industriegeländes die Vollmacht gehabt, es nach dem Auszug eines Mieters zu überprüfen. Doch dort sei er auf die früheren Besitzer und jetzigen Mieter getroffen, die ihn wegschicken wollten. Eine tiefe narzisstische Kränkung für den bis dato unbescholtenen Mann, der im Bürgerkrieg im Libanon aufgewachsen und bei einem Autobombenattentat verletzt worden war. Die Kränkung habe er bis heute nicht überwunden.

Unklare Verhältnisse

Hintergrund war ein Hin und Her zwischen den Eigentümern der Halle, Cousins des Angeklagten im Libanon, und den jetzigen Nutzern und frühere Eigentümern, die dort einen Autohandel betreiben - ein Durcheinander mit verschiedenen Vollmachten und Mietverträgen.

Der 53-Jährige zückte im Streit einen Schlagring und nahm eine Latte vom Boden, um ungeschoren aus der Halle zu kommen, betonte Richter Münzer, nicht, um jemanden zu verletzen. Beim Wegfahren habe er gemerkt, dass er sein Handy dort vergessen hatte. Er drehte um, und jetzt eskalierte der Streit vollends, er zückte ein Cuttermesser und verletzte Vater und Sohn.

Wuchtige Schlag-Schnittbewegung

Mit einer „sehr, sehr wuchtigen Schlag-Schnittbewegung“, die gleich drei Schichten Kleidung durchdrang. Auch wenn die Zeugen dies später bagatellisierten, wie Münzer betonte: Ein durchschnittener Streckmuskel beim Sohn und der Schnitt in den Oberarm des Vaters „das sind zwei schwere Taten!“ Doch laut Aussagen der Zeugen sind keine Folgen geblieben – außer möglicherweise dem schlechten Erinnerungsvermögen einiger.

Gericht sieht es als Spontantat

Letztendlich sah das Gericht die Messerstiche als Spontantat und hielt dem 53-Jährigen auch sein frühes Geständnis zugute. Das sei der „Prozessökonomie“ zugute gekommen, immerhin befindet sich das ältere Opfer, der Vater, nach wie vor im Libanon. So war es möglich, ohne seine Anwesenheit zu einem Urteil zu kommen.

Der Angeklagte kann, wie Richter Münzer erläuterte, seine Haftstrafe als Freigänger absitzen. Einen dafür offenen Arbeitgeber suche er derzeit, wie Richter Münzer betonte.