Das Ende einer Ära: Norbert Haug hört nach 22 Jahren als Mercedes-Motorsportchef auf. Foto: dpa

Norbert Haug führte Mercedes in die Formel 1 zurück und prägte als Motor- sportchef eine Ära. Ohne Erfolg auf der Rennstrecke verblassten die Meriten, Kritik am Führungsstil wurde laut.

Stuttgart - Vier WM-Titel und 87 Grand-Prix-Siege in der Formel 1 sowie 32 Titel in der Deutschen Tourenwagen-Masters-Serie (DTM) hat Mercedes unter der Regie von Motorsportchef Norbert Haug eingefahren. Eine stolze Bilanz, sie zeugt von Ruhm und Ehre. Aber sie ist keine immerwährende Versicherung für den Erhalt eines Arbeitsplatzes. Nach 22 Jahren als Mister Motorsport bei Mercedes werden sich die Wege des Mobilitätskonzerns und des Rennsport-Managers zum Jahresende trennen. „Im Namen des Vorstands danke ich ihm für sein besonderes Engagement für die Marke mit dem Stern“, sagte Konzernchef Dieter Zetsche.

Einen Mann, der 22 Jahre Mercedes gelebt hat, der für die Marke wertvolle Freizeit aufgegeben und ein geordnetes Familienleben geopfert hat, den jagt man nicht vom Fabrikhof wie einen lästigen Hund. Als Konzern mit Weltruf verabschiedet man ihn würdig und spricht von „einvernehmlicher Trennung zum Jahresende“ – auch wenn die Ursachen für diesen Schritt nicht darin zu suchen sind, dass Haug am 24. November 60 Jahre alt geworden ist und er sein Leben nicht mehr stets bei Vollgas führen will.

Die Formel 1 ist ein Millionengeschäft, der Wert eines Spitzenmanagers wird am Erfolg gemessen – doch die Lektüre der Motorsport-Bilanzen 2010, 2011 und 2012 müssen einem Rennsport-Liebhaber mit eintätowiertem Mercedes-Stern wie ein Gruselroman vorkommen. Ein Formel-1-Sieg, fünf Podiumsplätze; in der Konstrukteurswertung haben Privatteams zur Rennabteilung des Daimler-Imperiums aufgeschlossen. Der Trend machte die Kurve nach unten. „Leider konnten wir seit 2010 unsere eigenen Erwartungen noch nicht erfüllen“, räumte Haug ein.

Die Gründe für sein Scheitern mögen mit dem Wort Erfolglosigkeit umfassend beschrieben werden, sie sind jedoch vielschichtiger. Als Mercedes-Motorsportchef hatte Norbert Haug die Gesamtverantwortung für das Formel-1-Werkteam, vergleichbar mit einem Fußball-Cheftrainer für seine Mannschaft – beide müssen die Voraussetzungen für Erfolg schaffen und schließlich die erwarteten Siege präsentieren.

Mehrere hochrangige leitende Angestellte rekrutiert

Doch Haug hatte bei der Aufstellung seines Teams nicht die glücklichste Hand. Nach dem Kauf von Brawn-GP Ende 2009 wurde Personal freigestellt, um das eigene Budget zu entlasten sowie die Vorgaben der freiwilligen Kostenreduktion der Formel 1 zu erfüllen. Mehr Qualität durch weniger Personal? Die Rechnung ging nicht auf. Red Bull, Ferrari und McLaren lagen nicht nur bei Investitionen und Kosten weit vor Mercedes, sondern auch auf der Rennstrecke.

Um diesen strategischen Patzer auszuwetzen, wurde von Mitte 2011 an Know-how angeworben – mehrere hochrangige leitende Angestellte wurden rekrutiert, um dem kränkelnden Silberpfeil ein paar Vitamine zu spritzen. Doch in der Szene hielten viele Fachleute dies für kurzsichtigen Aktionismus. „Das waren alles Leute, die es bei anderen Teams schon nicht optimal hinbekommen hatten“, sagte ein Insider vor einigen Wochen, „da durfte man doch nicht erwarten, dass es bei Mercedes plötzlich flutscht.“

Die Topstars der Ingenieursbranche wollten nicht zu Mercedes, oder Mercedes wollte deren finanzielle Forderungen nicht akzeptieren. Nun ist Haug als ehemaligem Journalisten nicht anzulasten, dass das Auto aerodynamische Mängel aufwies, doch Haug war der Mann, der gegenüber dem Konzern die Personalverantwortung trug.

Darüber hinaus wunderten sich die Angestellten in der Rennsport-Fabrik in Brackley, dass der Motorsportchef sich so selten auf der Insel blicken ließ. Einmal pro Vierteljahr, so die inoffizielle Faustregel. „Haug wusste kaum, was in der Fabrik vor sich ging“, erzählte einer, der nicht genannt werden möchte, weil er sehr an seinem Arbeitsplatz hängt, „er hatte keinen Zugriff auf die Abläufe.“ Dieser Mangel an Präsenz und an Führungsstärke führte zunehmend dazu, dass in England die neu eingestellten leitenden Angestellten ihr eigenes kleines Imperium aufbauten – und jede Abteilung fast schon autark am Silberpfeil herumdokterte, wobei jedes Ressort für sich beanspruchte, auf dem richtigen Weg zu sein. Offenbar war auch Teamchef Ross Brawn darin überfordert, die Mitarbeiter zu einem eingeschworenen Team zu vereinen.

Forderung nach aufopferungsvollem Dienst bis hin zur Selbstaufgabe

Womöglich lag das mangelnde Durchsetzungsvermögen von Haug aber auch im zwischenmenschlichen Bereich. Der Motorsportchef war einer, der von sich und seinen Mitarbeitern aufopferungsvollen Dienst bis hin zur Selbstaufgabe verlangte. Dass die Diskussionen mit ihm über zu erledigende Aufgaben und den zu erzielenden Erfolg dabei nicht immer diplomatisch geführt wurden, war weit über Stuttgart hinaus kein Geheimnis. Haug konnte gut damit leben: Viel Feind, viel Ehr – schließlich gab ihm lange Zeit der Erfolg recht. Auch Cheftrainer im Fußball, etwa Felix Magath, verfahren nach dieser Maxime, um die Leistung hoch zu halten. Doch stets besteht das Risiko, dass die Mannschaft bei Misserfolgen zunehmend rebelliert – und irgendwann beginnt sie, gegen den Trainer zu spielen.

All diese Mosaiksteinchen ergaben in der Konzernzentrale in Stuttgart schließlich das Gesamtbild, das zur Erkenntnis führte: Haug wird es kaum gelingen, den Rennstall aus dem Schlamassel zu lotsen – am 28. September wurde Rennsport-Legende Niki Lauda als Aufsichtsratschef des Mercedes-Rennstalls berufen, und von diesem Tag an war Haug klar, dass gegen ihn ein Misstrauensvotum lief. „Haug und Lauda, das kann nicht gutgehen, beides sind Alphatiere“, sagte Michael Schumachers Ex-Manager Willi Weber dazu. Seit Oktober war ein Hauch von Resignation zu spüren bei dem sonst so streitbaren Kämpfer Haug. Die Trennung zum Jahresende war absehbar, wenngleich sie überraschend erfolgte. „Mir persönlich tut es wahnsinnig leid. Ich habe immer ein sehr gutes Verhältnis zu ihm gehabt und hätte sehr gerne mit Norbert weiter zusammengearbeitet“, bekannte Lauda.

Mit wem der Österreicher den Silberpfeil wieder flottmachen soll, steht noch nicht fest. Haug hatte sich intern keinen Kronprinzen herangezogen. Und da die Formel 1 noch nie um Spekulationen und Gerüchte verlegen war, werden viele Namen gehandelt. Auch Ralf Schumacher steht anscheinend auf der Liste der möglichen Kandidaten – er ist als einstiger Formel-1-Pilot in der Szene bekannt, er kennt das Innenleben von Mercedes durch sein DTM-Engagement, er ist in den Motorsport-Verbänden gut vernetzt. Auch der Name Christian Schacht, Generalsekretär des Deutschen Motorsportbunds, scheint ein Nachdenken in Untertürkheim wert zu sein, wie auch Gerhard Ungar, Vorstandsmitglied der HWA AG, der Motorsportabteilung des Mercedes-Tuners AMG , in Affalterbach.

Wer auch immer Haug nachfolgt – es wartet eine höchst verantwortungsvolle und diffizile Aufgabe. Er muss das Formel-1-Team in die Spitzengruppe lenken. Die Uhr tickt. Bis 2015 hat der neue Motorsportchef Zeit, dann läuft der Dreijahresplan aus. Gemäß dem Slogan des Daimler-Konzerns gibt es nur eine Alternative als Ergebnis: Das Beste oder nichts.