Ola Källenius fühlt sich beim Heimspiel im Stuttgarter Haus der Wirtschaft sichtlich wohl. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Konzernchef räumt vor 580 Leserinnen und Lesern ein, dass er nicht auf alle Fragen, die der Wandel in der Autoindustrie mit sich bringt, Antworten hat. Viele hat er aber gefunden und präsentiert sie mal mit Humor, mal mit ernster Nachdrücklichkeit.

Ola Källenius lässt sich grundsätzlich von Strategien leiten. Selbst an diesem Abend. „Mein Team hat mir gesagt, dass ich kurze, prägnante Antworten geben und nicht abschweifen soll“, verrät der Mercedes-Chef gleich zu Beginn in der König-Karl-Halle im Stuttgarter Haus der Wirtschaft. Zum Glück hält sich Ola Källenius nicht allzu streng an die Vorgabe. Sonst wäre den 580 Leserinnen und Lesern der Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten und ihrer Partnerzeitungen einiges entgangen.

 

Besonders gut scheint es dem Publikum der gemeinsamen Gesprächsreihe „StZ im Gespräch“ und „Treffpunkt Foyer“ der Stuttgarter Nachrichten zu gefallen, wenn es Källenius menscheln lässt. Lacher und Applaus gibt es zum Beispiel, wenn er beim Thema Luxusstrategie auch Verständnis dafür zeigt, wenn nicht jeder Kunde dieser Ausrichtung folgt. Und kommt auf ein Beispiel aus der eigenen Familie zu sprechen. „Meine Schwiegermutter im Schwarzwald fährt weiterhin mit Begeisterung ihre alte A-Klasse“, erzählt er. Um direkt im Anschluss seiner Überzeugung Ausdruck zu verleihen, dass es absolut richtig sei, auf größere Premiumfahrzeuge zu setzen. „Wir sind mit diesen Autos am erfolgreichsten“ – und nennt dabei auch die G-Klasse, von denen zuletzt 40 000 Exemplare im Jahr verkauft wurden: „Anfangs waren das gerade mal 4000.“

Luxusstrategie und die Mercedes-DNA

Die Luxusstrategie, so der gebürtige Schwede, der mittlerweile auch den deutschen Pass besitzt, sei von Anfang an Markenkern gewesen und gehöre deshalb zur Mercedes-DNA. „Als in den 80er Jahren der Baby-Benz, der 190er, auf den Markt kam, haben sich die Leute gefragt, ob die von Mercedes noch alle Tassen im Schrank haben“, sagt Källenius. Der hält die damalige Golf-Klassen-Ausrichtung für die große Kulturrevolution und nicht die Premium-Strategie von heute: „In diesem Segment verdienen wir das Geld, das wir investieren müssen.“

Dennoch verbindet Källenius auch große Hoffnungen mit einer vollelektrischen Kompaktklasse, die im kommenden Jahr auf den Markt kommt. Was die Chefredakteure von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, Joachim Dorfs und Christoph Reisinger, zum Anlass nehmen, die Bühnenbefragung von Ola Källenius in Richtung des Wandels in der Autoindustrie zu lenken.

Die Zukunft dieser Branche geht in der Region Stuttgart alle an – dort, wo die Arbeitsplätze von 225 000 Menschen in direkter Verbindung zur Autoindustrie stehen. Wenn es Porsche und Mercedes gut geht, profitieren hier alle davon, so die allgemeine Überzeugung. Diese enorme Bedeutung hat die Veranstaltung mit Ola Källenius in besonderer Weise verdeutlicht. Und das bereits im Vorfeld. Nur zwei Stunden nach Öffnung des Anmeldeportals für die Leserinnen und Leser von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten waren die 580 Karten auch schon vergriffen.

So ist der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Unter den Gästen sind unter anderem der Breuninger-Chef Holger Blecker, Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper und Herbert Dachs, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Medienholding Süd. Als Vertreter des Sports ist Rouven Kasper am Start, Marketing-Vorstand des VfB Stuttgart.

Was sagt Ola Källenius zur Elektromobilität?

Der enorme Zuspruch dieser Veranstaltung wird von StN-Chefredakteur Christoph Reisinger auch im Namen seines StZ-Pendants Joachim Dorfs später „als einen sehr großen Vertrauensbeweis der Leserinnen und Lesern in unsere journalistische Arbeit“ werten.

Zuvor geht es aber erst einmal um die Einschätzungen von Ola Källenius zur Elektro-Mobilität. Mit Blick auf die EU-Vorgabe, von 2035 an nur noch E-Autos zuzulassen, sagt der Mercedes-Chef, die Dekarbonisierung sei die „absolut richtige Zielvorgabe“. Wirtschaft und Politik sollten aber enger und damit auch besser zusammenarbeiten. Wenn die Politik bei der Förderung nicht berechenbar sei, stellt dies nach Ansicht des Mercedes-Vorstandsvorsitzenden ein Problem dar und führt die kurzfristige Streichung der Kaufprämie im vergangenen Jahr an.

Der Mercedes-Chef will bei den Antrieben flexibel bleiben

Gleichzeitig betont Källenius, dass es gerade in dieser „Glaskugel-Zeit“, wie er die aktuelle Phase in der Autoindustrie nennt, enorm wichtig sei, beim Antrieb flexibel zu bleiben. Auch wenn das E-Auto im Moment die geeignetste Lösung für die Branche sei, den Klimawandel zu bekämpfen.

Bei diesem globalen Vorhaben sei eine Zusammenarbeit mit China „unerlässlich“, so Källenius, um auf diesem Weg der dortigen Automobilindustrie Respekt zu zollen: „Die sind dort absolut auf Augenhöhe mit uns.“ Die staatlich in hohem Maß subventionierte Konkurrenz durch EU-Strafzölle auszubremsen, davon hält Källenius nichts. Dies sei für das deutsche Geschäftsmodell Export hochgradig gefährlich. „Wenn wir uns von China komplett abkoppeln, müssen wir das halbe Werk Sindelfingen stilllegen“, verdeutlicht Källenius die Folgen des Protektionismus. „Offene Märkte haben Deutschland zur drittgrößten Volkswirtschaft gemacht“, sagt er zu einer Frage aus dem Publikum.

Källenius ruft die Menschen auf, zur Wahl zu gehen

Gelassen und souverän reagiert Ola Källenius, als von einem Besucher sein Millionengehalt hinterfragt wird. Er wisse, so der Mercedes-Chef, dass es dabei auch um den Zusammenhalt einer Gesellschaft gehe. Deshalb gehöre es auch zu seiner persönlichen Vergütungsregelung, dass ein gewisser Teil von ihm gespendet werde.

Mit ernster Nachdrücklichkeit spricht Ola Källenius dann über die Europa-Wahlen und betont, dass Deutschland der größte Gewinner von Euro und offenen Märkten sei. Die wirtschaftliche Seite sei aber nicht allein der Grund, warum er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nahe legt, am 9. Juni zur Wahl zu gehen. „Es geht auch darum, ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen.“ Ähnlich viel Applaus bekommt Källenius ein weiteres Mal, als er sagt: „Es gibt keinen besseren Platz auf der Welt als das Schwabenländle.“ Eine Aussage, die er mit einer rhetorischen Frage unterstreicht: „Oder net?“ Dazu lächelt er entspannt. Källenius scheint mit sich und dem Verlauf des Abends zufrieden zu sein. Auch wenn er die vorher ausgegebene Strategie nicht ganz befolgt hat. Aber vielleicht war genau das sein Plan.