Psychische Krankheiten kommen häufiger vor, als man denkt. Um helfen zu können, gibt es ein Ersthelfer-Programm für die psychische Gesundheit. Foto: AFP/STEPHANIE KEITH

Wer einen Erste-Hilfe-Kurs belegt, soll später in Notsituationen helfen können. Ist das auch der Fall, wenn man sich zum Ersthelfer für die psychische Gesundheit ausbilden lässt?

Erste Hilfe ist überlebenswichtig. Um Unfallstellen richtig abzusichern, den Notruf korrekt abzusetzen, aber auch um offene Wunden oder Knochenbrüche versorgen zu können, ist die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs sinnvoll. Zum Absolvieren des Führerscheins ist das Erlernen der stabilen Seitenlage und der Mund-zu-Mund-Beatmung sogar verpflichtend. Ein hilfreiches Angebot – dass sich jedoch nur auf die körperliche Gesundheit bezieht. Immer mehr gewinnt aber auch das psychische Wohlbefinden an Bedeutung. Dafür gibt es seit einiger Zeit das Mental-Health-First-Aid-Programm (MHFA) in Deutschland, ein Ersthelfe-Kursangebot für die psychische Gesundheit.

In jeweils zwölf Stunden wird den Teilnehmern zunächst ein Grundverständnis für psychische Störungen im Allgemeinen vermittelt. „Der Kurs ist wirklich für jeden gedacht, der Interesse daran hat, Menschen in seinem Umfeld zu unterstützen“, sagt Philipp Himstedt, Psychologe und Leitungsassistent bei MHFA Ersthelfer. Das sei ganz ähnlich wie beim „normalen“ Erste-Hilfe-Kurs für die körperliche Gesundheit. „Nur die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person in unserem eigenen Umfeld unter psychischen Gesundheitsproblemen leidet, ist deutlich höher“, ergänzt er.

Der Kurs soll Stigmatisierungen abbauen

Das MHFA-Projekt wurde ursprünglich in Australien von einer Gesundheitspädagogin und Krankenpflegerin entwickelt, die selbst mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte. Unterstützung bei der Entwicklung bekam sie von ihrem Mann, der sich als Forschender mit dem Thema Früherkennung psychischer Störungen beschäftigt. Inzwischen werden die wissenschaftlich evaluierten Kurse in 26 Ländern angeboten, fast fünf Millionen Ersthelfer gibt es weltweit. In Deutschland betreut das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) in Partnerschaft mit der Beisheim Stiftung das lizenziert vergebene Programm. Seit Ende 2019 bildet es Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten zu Kursleitern aus. Diese bieten die Ersthelfer-Kurse dann in ganz Deutschland an.

Psychische Störungen sind schon lange kein gesellschaftliches Tabu-Thema mehr. Dennoch gibt es weiterhin einige Stigmatisierungen rund um die Krankheiten. „Betroffene leiden natürlich vor allem unter der Störung selbst“, erklärt Himstedt. Häufig kämen aber Benachteiligungen aufgrund von Vorurteilen auf der Arbeit oder dem privaten Umfeld dazu, auch wenn meist keine böse Absicht dahinterstecke. Deswegen sollen mit den Erste-Hilfe-Kursen auch jene Stigmatisierungen abgebaut werden – mit Erfolg. In Untersuchungen konnte laut Himstedt gezeigt werden, dass das Programm für Teilnehmende durchaus einen Anti-Benachteiligungseffekt hat.

Psychische Krankheiten könne jeden treffen

In dem Kurs werden so auch die häufigsten psychischen Krankheiten besprochen. Dabei handelt es sich um Depressionen, Angststörungen, Psychosen, Substanzmissbrauch und -abhängigkeit sowie Suizidalität. In praktischen Übungen und Rollenspielen wird das Erste-Hilfe-Leisten trainiert. Für die jeweiligen Störungsbilder lernen die Teilnehmer sowohl den Umgang mit chronischen Leiden als auch mit akuten Krisen.

Die Beweggründe für eine Teilnahme sind vielschichtig. „Viele Menschen wollen ja helfen, wissen aber häufig nicht wie. Und genau das lernen sie im Kurs“, berichtet Himstedt. Das große Interesse zeigt sich bei der Kurs-Nachfrage: Bis jetzt wurden bereits 10.000 Ersthelfende durch das ZI ausgebildet. Eine psychische Krankheit, so Himstedt, könne schließlich jeden treffen, auch im eigenen Umfeld. So gibt es Teilnehmende, bei denen Freunde, Kollegen oder Familienangehörigen betroffen sind. Andere haben gar eigene Erfahrungen damit gemacht, mehr als jeder Vierte in Deutschland erlebt innerhalb eines Jahres ein mentales Gesundheitsproblem.

Für Betroffene ist es wichtig, möglichst früh Hilfe zu erfahren

Gerade für das nahe Umfeld aus Freunden und Verwandten ist der Erste-Hilfe-Kurs ausgelegt. Es geht darum, Selbstsicherheit im Umgang mit psychischen Problemen zu gewinnen. „Ich habe schon oft erlebt, wie das Gedankenmachen losgeht: Darf ich das ansprechen? Und wie soll ich das machen? Mache ich es dadurch nicht vielleicht sogar schlimmer?“, berichtet Himstedt. Dabei sei es für Betroffene besonders wichtig, möglichst früh Hilfe zu erfahren, da es die Leidenszeit verringert und zugleich die Chancen für eine erfolgreiche Therapie erhöht.

„Beim Ansprechen hilft eine empathische, wertfreie Kommunikation. Sagen Sie, was Ihnen auffällt, sprechen Sie in Ich-Botschaften und teilen Sie, dass Sie sich Gedanken oder Sorgen machen“, empfiehlt Himstedt. Teilnehmer sollen durch den Kurs auch lernen, welche professionelle Hilfe sie empfehlen können und wie sie Betroffene unterstützen können, bis diese verfügbar ist. Unter professioneller Hilfe versteht Himstedt als ersten Ansprechpartner den Hausarzt, aber auch die psychiatrische Notaufnahme oder die Telefonseelsorge.

Bei Fremden hat Selbstschutz oberste Priorität

Ebenso kann es bei Fremden vorkommen, dass sich beispielsweise in der U-Bahn psychische Probleme wie ein aggressives Verhalten miterleben lässt. Auch wie man in solchen Situationen reagiert, lernen und üben die Teilnehmer im Erste-Hilfe-Kurs. Dabei gilt es, das eigene Auftreten an die verschiedenen Krisensituationen wie beispielsweise akute Suizidalität, Aggressivität oder wahnhaftes Verhalten anzupassen. Im Kontakt mit Fremden, so Himstedt, sei es wichtig, sich selbst nicht in Gefahr zu begeben. Selbstschutz habe oberste Priorität.

Allgemein gelte es immer, die Ruhe zu bewahren. Außerdem solle man versuchen, verbal zu deeskalieren. Das gelinge beispielsweise durch eine langsame, ruhige und deutliche Sprache. In der U-Bahn sei es beispielsweise wichtig, zunächst Abstand zu schaffen, indem man die gefährdete Person bitte, auszusteigen. Bei akuter Aggression erreiche man aber auch als Kursteilnehmer schnell sein Limit, sodass man Unterstützung in Form der Polizei oder des Rettungsdienstes hinzuziehen sollte.

Die Kosten liegen bei rund 200 Euro

Wer sich für den Kurs interessiert und teilnehmen will, muss aktuell etwa 198 Euro bezahlen. Teilnehmen kann man entweder online oder in Präsenz. Wie viele Kurse pro Monat angeboten werden, ist abhängig von den Kursinstruktoren.