In der Stiftskirche hat Kay Johannsen seine Mendelssohn-Reihe fortgesetzt. Am Freitag wurde das Oratorium „Paulus“ aufgeführt.
Erst umjubelt, dann verrissen: Dies ist, kurz zusammengefasst, die Wirkungsgeschichte des Oratoriums, das Felix Mendelssohn als 27-Jähriger schrieb. Mit fast einem Jahrhundert Abstand sind uns die Anfeindungen derjenigen, die dem Stück über das Leben des Apostels Paulus Langatmigkeit und Epigonalität vorwarfen, sehr fern gerückt. Ausgesprochen nah hat „Paulus“ jedenfalls am Freitag in der Stuttgarter Stiftskirche gewirkt, als sich Kay Johannsen, die Stuttgarter Kantorei und die Stiftsphilharmonie seiner annahmen. Wobei der Gesamtcharakter hier eher lyrisch war als dramatisch; der missionarische Eifer des Titelhelden, in dem der Komponist auch seinen eigenen Übertritt zum christlichen Glauben nochmals bestätigte, erschien in mildem Licht. Das verdankte sich auch dem Klang des Orchesters, das auf Instrumenten der Zeit musizierte und immer wieder solistisch glänzte.
Zu erleben war „Paulus“ nicht als Bibeldrama, sondern wie die Betrachtung eines Altarbildes über seine Bekehrung, sein Wirken und seinen Abschied von der Welt. Beginnend beim ersten Aufscheinen des „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ in der Ouvertüre sorgte Johannsen für Erklärung, Durchsicht und wechselnde Beleuchtung der Geschichte, die er zwischen den fein zurückgenommenen, innigen Chorälen aufspannte.
Leonhard Geiger als Paulus
Unter den guten Solisten fielen besonders die Sopranistin und der Bass auf: Franziska Bobes vibratoarme Stimme bezaubert mit einem Hauch von Naivität, und Leonhard Geiger gab einen hoch empathischen (manchmal nur eine Spur zu theatralischen) Paulus. Der Chor präsentierte sich mit gut verschmolzenen Stimmen, intonatorisch meist sehr sicher. Etwas mehr Männerstimmen hätten der Balance allerdings gutgetan. Und in den großen Tutti-Sätzen war die Textverständlichkeit schlecht – was an der Raumakustik, vor allem aber an der mangelnden Schärfung der Konsonanten lag. Gesungen wurde aber mit hohem Engagement. Das „Lobe den Herrn, meine Seele“ im Schlusschor beantwortete das Publikum zu Recht mit spontanem Beifall.