Der Weltfrauentag – nur für Geschenke gut? Foto: Freepik.com

Der Kampf um Gleichberechtigung von Mann und Frau ist lange nicht vorbei. Vieles liegt noch im Argen. Aber ist der Weltfrauentag dabei wirklich hilfreich? Die Meinungen dazu gehen auseinander – auch in Calw.

Der 8. März ist der internationale Tag der Frauen. Gefeiert wird er seit 1911. Damals kämpften Arbeiterinnen gegen Ausbeutung und Unterdrückung sowie das Wahlrecht. Und heute: Ist der Weltfrauentag nur noch eine Gelegenheit, um Blumensträuße zu verkaufen? Persönliche Gedanken zu einem Tag, zu dem die Meinungen auseinandergehen.

 

Autorinnen: Die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses im Kreis Calw , zwei Sozialpädagoginnen und eine Traumapädagogin (22, 55 und 49 Jahre), bleiben anonym

Für eine gerechtere Welt

Der Weltfrauentag am 8. März ist ein wichtiger Tag, um die Errungenschaften von Frauen zu feiern und auf die anhaltenden Herausforderungen hinzuweisen, mit denen Frauen weltweit konfrontiert sind. Es ist eine Gelegenheit, die Gleichstellung der Geschlechter zu fordern und für die Rechte und die Würde aller Frauen einzutreten.

Wir Frauenhaus-Mitarbeiterinnen sind täglich konfrontiert mit häuslicher Gewalt. Fast alle zwei Minuten wird in Deutschland ein Mensch Opfer häuslicher Gewalt, jede Stunde werden mehr als 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt, beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Expartner eine Frau zu töten. Dies ist ein ernstes Problem, das viele Frauen auf der ganzen Welt betrifft.

Gewalt gegen Frauen ist noch immer ein massives Problem – weltweit. /Kamran Aydinov

Heute ist es uns wichtig, auch auf dieses Thema aufmerksam zu machen und Solidarität mit den Opfern zu zeigen. Es ist entscheidend, dass wir als Gesellschaft zusammenarbeiten, um häusliche Gewalt zu bekämpfen, Opfern zu helfen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Jede Form von Gewalt gegen Frauen ist inakzeptabel und muss aktiv bekämpft werden.

Die tödlichste Form der Gewalt gegen Frauen sind Femizide, also die gezielte Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts und somit die höchste Form der patriarchalen Gewalt. Femizide sind kein Familiendrama und keine Privatangelegenheit. Jede Frau hat das Recht auf ein Leben frei von Gewalt und Angst. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, eine gerechtere und inklusivere Welt für alle zu schaffen.

Autorin: Lena Knöller (23) ist Redakteurin in Calw und verheiratet

Ein Tag mit Haken

Es ist jedes Jahr dasselbe Schauspiel: Blumensträuße, Rabatte für Kosmetikartikel und viele andere muttertaghafte Gefälligkeiten. Der Weltfrauentag ist Unsinn geworden. Denn damit werden die bedeutenden Errungenschaften der Frauenbewegung ganz und gar nicht gefeiert, und auch die Ungleichberechtigung wird nicht aus dem Weg geräumt. Auch die immer wiederkehrenden großen Versprechen der Politiker am Weltfrauentag, die Gleichberechtigung endlich anzupacken, reichen einfach längst nicht. Sie sind in Wirklichkeit eher beschämend. Denn grundlegend verändert hat sich leider in vielen Bereichen nichts.

Um nur zwei Beispiele zu nennen: Frauen verdienen durchschnittlich weniger als Männer und es ist schwieriger für sie, Familie und Beruf zu vereinbaren. Und in anderen Ländern ist die Situation noch auf einem ganz anderen, katastrophalen Niveau, wenn Frauen nämlich unter Gewalt und Menschenrechtsverletzungen leiden müssen. Wie bitte soll da ein einzelner Tag Gerechtigkeit bringen?

Alte Muster über den Haufen werfen

Klar: Die Politik muss endlich Maßnahmen umsetzen, die wirklich fruchten. Und sich nicht mit Gendersternchen und Co. beschäftigen. Auf der anderen Seite muss die Gleichberechtigung der Geschlechter aber im Denken jedes Einzelnen anfangen – bei Frauen und Männern. Und alte Muster müssen endlich über den Haufen geworfen werden. Warum wird man noch immer schief angeschaut, wenn der Mann bei der Hochzeit den Nachnamen der Frau annimmt? Oder er sogar mehr im Haushalt macht? Weil wir leider noch immer in den alten Rollenbildern feststecken. Und solange das noch so ist, kann Gleichberechtigung auch auf der großen Ebene nicht funktionieren.

Ich jedenfalls bin dankbar dafür, einen modernen Ehemann zu haben, der lieber zum Kochlöffel greift als ich – das nicht nur am Weltfrauentag.

Autorin: Verena Parage (42) ist Redakteurin in Calw, verheiratet und Dreifach-Mama

Fragen von Relevanz

Im Enzkreis findet am 8. März ein „Frauen(wohlfühl)tag“ statt. Auf dem Flyer schweben auf lila Grund Seifenblasen in Rosatönen, angeboten wird ein Badekugel-Workshop. Ehrlich gesagt: Ich könnte mich nicht weniger angesprochen fühlen.

Wenn Tage wie der Weltfrauentag eine Berechtigung haben, dann doch die, den Fokus auf Herausforderungen im Leben von Frauen zu legen. Ich habe drei kleine Kinder und bin berufstätig. Wenn ich einmal vier Stunden für mich hätte, dann würde ich sicher keine Badekugeln herstellen. Wäre es nicht viel besser, sich mit Fragen von Relevanz zu befassen?

„Badekugeln? Was soll ich damit?“, fragt sich unsere Autorin. Foto: Freepik.com

Etwa: Warum es hierzulande immer noch so schwierig ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen? Warum Kinderbetreuung unflexibel, aber fast unbezahlbar ist? Und warum sich die Höhe des Elterngelds am Nettoeinkommen bemisst – wo doch vor allem Frauen Teilzeit arbeiten und so in der „schlechten“ Steuerklasse V landen? Oder: Warum es in Deutschland trotz Fachkräftemangels, Rentenlücken und der Tatsache, dass wenige Familien von einem Gehalt leben können, noch immer so schwierig ist, sich als Eltern gleichberechtigt im Beruf und daheim einzubringen. Das sind die Themen, die mich jeden Tag umtreiben. Sie hätten es verdient, am 8. März in den Fokus gerückt zu werden. Was soll ich mit Badekugeln? Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal Zeit für ein Schaumbad hatte.

Autorin: Winnie Gegenheimer (62) ist freie Mitarbeiterin unserer Zeitung, verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne

Einst war er wichtig

Von „Coaching für selbstbewusste Frauen“ über „Starke Mädchen“-Kurse bis hin zu Frauen-Badetagen: Wir weiblichen Wesen sind heute in unserer freiheitlich-demokratischen, westlichen Gesellschaft eher über-berechtigt, oder nicht? Jungs und Männer wären mal wieder dran! Wann kommt der gleichberechtigende Weltmännertag?

Wird den Frauen nicht gerecht

Vor rund 100 Jahren war der Weltfrauentag ein wichtiger, politisch geprägter Tag. Gleichberechtigung ist ein hohes Gut, miterstritten von jenen Frauen, zu deren Andenken der Weltfrauentag entstand. Aber heute bei uns daraus einen feministisch überbordenden „Frauen*_kampf*_tag“ zu machen, finde ich ebenso daneben wie weichgespülte „Frauenwohlfühltage mit Badekugel-Workshop“, mitorganisiert vom – man staune! – Gleichstellungsbüro. Keins davon wird selbstbewussten, emanzipierten Frauen von heute gerecht.

Ich fühle mich gleichberechtigt. Punkt. Ein weiterer Tag zum Blümchenverschenken? Geschenkt! Und Kampf brauche ich schon zweimal nicht.

Außerdem: Keins davon trägt in irgendeiner Weise zur Verbesserung der Situation jener Frauen bei, die im Sudan, in Saudi-Arabien oder Indien tatsächlich noch fundamental unter-berechtigt sind.

Autorin: Klara Scheuren (38), Kunsthistorikerin und Gründerin der Jungen LandFrauen Calw

Es leben die Frauen*!

Heute vor genau drei Jahren, zum Weltfrauentag 2021, haben wir die Jungen LandFrauen Calw gegründet. Deshalb ist der 8. März für uns ein doppelter Anlass, um zu feiern. Wir feiern die Frauen* in ihrer wunderbaren Weiblichkeit und Vielseitigkeit, und ihren unverzichtbaren Anteil an unserem gesellschaftlichen Zusammenleben. Andererseits feiern wir mit unserem Jubiläum immer auch das Netzwerk zwischen Frauen, das nach wie vor notwendig ist, um sich Herausforderungen gemeinsam zu stellen. Es bietet die Möglichkeit zum Austausch und unterstützt das Gefühl, nicht alleine zu sein. Das kann Frauen* dabei helfen, Schritte zu wagen, die sie sich ansonsten nicht zugetraut hätten. Über ein Netzwerk können aber auch die Einzelinteressen der Frauen gebündelt und so mit mehr Nachdruck nach außen vertreten werden. Zum Weltfrauentag möchten wir deswegen alle Frauen*, ob jung oder junggeblieben, einladen, sich unserem Netzwerk anzuschließen und ihre Themen zu teilen!

Eine Bereicherung für uns alle

Nicht zu vergessen aber, wie schön es auch einfach sein kann, in einer Frauenrunde beisammen zu sitzen. So viele Charaktere und Werdegänge, so viele Perspektiven – jede Frau* ist eine Bereicherung für uns alle und die Region. Auch das zu vermitteln und sichtbar zu machen ist unser Auftrag. So bleibt mir abschließend nur, mich dankbar zu zeigen für die vielen gemeinsamen Momente in den vergangenen drei Jahren – und meiner Vorfreude Ausdruck zu verleihen auf alles, was noch kommt. Es leben die Frauen*!

Autorin: Pauline Szyltowski (35) ist Redakteurin in Calw

Darf nur Barbie ins All?

Wie viele deutsche Männer waren bereits als Kosmo- oder Astronauten im Weltall? Es waren zwölf. Und wie viele Frauen? Nun – es hat noch keine gegeben. Die Astrophysikerin Suzanna Randall soll es aber durch die privat finanzierte Initiative „Die Astronautin“ schaffen. Warum müssen sich Frauen hierzulande den Traum vom All selbst organisieren?

Längst überwunden? Von wegen!

Obwohl es in Deutschland sogar etwas mehr Frauen als Männer gibt, sind sie in vielen Bereichen unseres Lebens nicht sichtbar. Marginalisierung ist das Zauberwort. Dass das so ist, hat viele Gründe und seinen Ursprung in einem längst überwunden geglaubten patriarchalischen System. Ein Beispiel: Bis 1977 mussten Frauen in der BRD ihren Ehemann um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollten. Und heute verdienen Frauen noch immer weniger als Männer und haben einen schlechteren Zugang zu einer erfolgreichen Karriere, auch weil sie häufig durch Elternzeit ausfallen. In der gleichen Zeit kann der Mann bereits die Karriereleiter weiter nach oben klettern, weshalb spätestens dann er zum Hauptverdiener wird, während sie in Teilzeit arbeitet und sich mehr als er um die Kids kümmert.

Es braucht Vorbilder – Frauen die sich trotz aller Widrigkeiten behaupten, die Geschäftsführerinnen oder eben Astronautinnen sind. /Chanikarn Thongsupa

Damit Gleichberechtigung real wird, braucht es Männer, die ihre Frauen unterstützen, und mutige Frauen, die alte Rollenmuster abstreifen.

Das nötige Selbstvertrauen bekommen sie durch Vorbilder – Frauen die sich trotz aller Widrigkeiten behaupten, die Geschäftsführerinnen, Klempnerinnen, Ingenieurinnen oder eben Astronautinnen sind. Und es braucht Aktionstage, die auf Missstände aufmerksam machen und zu Angeboten für die Verbesserung des Status quo inspirieren, wie zum Beispiel eine Wissenschaftlerin, die am 8. März in einer Schule Mädchen für MINT-Fächer begeistern kann.