Trainer Christian Streich hat zu seinen Spielern (hier Woo-Yeong Jeong) ein ganz besonderes Verhältnis. Foto: Brandt

Jetzt haben sie es also geschafft, die Breisgau-Brasilianer 2.0. Zum ersten Mal steht der SC Freiburg nach dem 3:1-Sieg beim Zweitligisten Hamburger SV im DFB-Pokal-Finale. Zudem hat Trainer Christian Streich die Breisgauer an die Tür zur Champions League geführt. Doch der Erfolg hat Schattenseiten, findet unser Kommentator Peter Flaig.

Nicht nur der wiederum bärenstarke Nico Schlotterbeck hat durchgerechnet: "Gewinnen wir ab jetzt fünfmal, sind wir Pokalsieger und Champions-League-Teilnehmer." Und nicht nur er ist nach dieser überragenden Saison des Underdogs überzeugt: "Ich glaube, das kriegen wir hin." Sollte es so kommen, muss sich der SC Freiburg neu aufstellen. Mit dem derzeitigen "Aus- und Weiterbildungsvereins"-Narrativ könnte die nächste Saison sonst im Desaster enden.

Freiburger zeigen Klassenunterschied

Aktuell steht natürlich noch die Halbfinal-Partie vom Dienstagabend im Fokus, und es wird nach einem solchen Spiel viel diskutiert, vor allem über die Szene, die zum Elfmeter vor dem 0:3 führte. Aber wirklich entscheidend war die Situation nicht, in der HSV-Verteidiger Moritz Heyer einfach zu spät kam und dadurch statt des Balls den Hinterkopf von Nico Schlotterbeck traf. Zu überzeugend zeigte der SC Freiburg, der in der offiziellen Bilanz 2020/2021 weniger fürs Personal ausgab als der HSV, wie groß die Unterschiede zwischen erster und zweiter Liga wirklich sind. Der HSV war stets bemüht – das war es dann aber auch schon gegen abgezockte, eingespielte und immer fokussierte Freiburger, die alle ihre Stärken ausspielten, die sie in dieser Saison auszeichnen.

Auf das Jubeln folgt das Grübeln

Klar: Jetzt ist erst einmal die Zeit, den Erfolg zu bejubeln und zu genießen – jedenfalls für die Spieler. Ausgelassen feierten die die Erfüllung ihres Traums und den der Fans: "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!" Euphorisiert musste sogar Trainer Christian Streich dran glauben und erhielt eine Wasserdusche – an Bier trauten sich seine Schützlinge dann doch nicht ran. Aber nicht nur der Kult-Coach hob gleich warnend den Finger. Denn er weiß, dass die Erfolge dieser Saison die Erwartungen für die nächste hochtreiben werden. Und das zurecht. Wer international spielt – und zumindest das sollte relativ sicher sein – muss auch international konkurrenzfähig sein. Und da denkt nicht nur Streich kritisch.

Nico Schlotterbeck reißt ein Loch

Denn zeitgleich zu einem der größten Erfolge der Vereinsgeschichte machten Gerüchte die Runde, der Wechsel von Verteidiger Nico Schlotterbeck zu Borussia Dortmund stünde fest. Und das zu einer Summe, die zwar Vereins-Rekord werden könnte, für einen Champions-League-Teilnehmer aber wohl eher im Peanuts-Bereich angesiedelt ist: 20 bis 25 Millionen Euro. Die Liste der wertvollen Abgänge der Breisgauer würde um eine Position reicher. In den letzten Jahren verließen unter anderem Caglar Söyüncü, Maximilian Philipp, Luca Waldschmidt, Baptiste Santamaria und Robin Koch den Verein. Und auch wenn mit dem 18-jährigen Lahrer Robert Wagner das nächste Talent von der in der Dritten Liga erfolgreichen zweiten Mannschaft den Weg in Streichs Profitruppe findet – um in der europäischen Königsklasse erfolgreich zu sein, wird’s nicht reichen.

Historie: Absturz nach Uefa-Cup-Premiere

Streich weiß das und schaltete schon kurz nach dem 3:1-Sieg in die Denkphase über. Was kommt in der kommenden Runde? Wie kann verhindert werden, was nach den bisherigen Freiburger Europa-Abenteuerfahrten regelmäßig passierte? Nämlich der Absturz. Ein Blick zurück: 1994/95 führte Erfolgstrainer Volker Finke des SC zum ersten Mal nach Europa. Platz 3 in der Bundesliga – überragend. Doch in der Folgesaison kam der Klub mit der Doppelbelastung nicht zurecht, zudem verloren die Breisgau-Brasilianer 1.0 mit Rodolfo Cardoso ihr Herzstück. Mehr schlecht als recht wackelten sich die Breisgauer auf den elften Platz, im Jahr darauf standen Platz 17 und der Abstieg zu Buche.

Direkter Abstieg bei Europa-Abenteuer Nummer 2

Das nächste Abenteuer stand 2001/2002 bevor. Die Freiburger waren auf Platz 6 gelandet und scheiterten im Uefa-Pokal erst in der dritten Runde knapp am späteren Sieger Feyenoord Rotterdam. Die europäischen Zusatzschichten sorgten in der Bundesliga für einen Absturz, und wie beim Karlsruher SC 1997/98 stand am Ende der Uefa-Pokal-Saison der Abstieg.

Auch Europa-League zweimal Liga-Killer

Geschichte wiederholt sich: 2012/13 in der Bundesliga Fünfter, in der Europa-League-Saison 13/14 mit Hängen und Würgen 14., 2014/15 der Abstieg mit Platz 17. In der Spielzeit 2017/18 scheiterten die Freiburger (zum Glück?) in der Europa-League-Qualifikation nach dem vorangegangenen siebten Platz in der Bundesliga, der Abstieg konnte auf Platz 15 hauchdünn verhindert werden.

Jetzt geht es wieder um die Existenz

Und jetzt geht es mit ziemlicher Sicherheit wieder nach Europa, wenn nicht gar in die Champions League. Da sollten die Freiburger aus der Vergangenheit lernen. Ohne Verstärkungen, ohne erweiterten Kader droht das gleiche Schicksal wie bei den Europa-Abenteuern zuvor. Zwar stehen Festtage für die Fans auf dem Programm – aber nur zu Saisonbeginn. Dann kommt unweigerlich der Sand ins Getriebe, gerade auch, wenn eine der wichtigsten Säulen dieser Saison, Nico Schlotterbeck, wegbrechen sollte. Und das ist ja sehr wahrscheinlich. Dieser Einbruch hätte dann wie in all den Jahren zuvor auch Auswirkungen auf das Dasein als Bundesligaverein. Es steht also mehr auf dem Spiel als "nur" als Kanonenfutter für europäische Spitzenklubs zu enden. Finanzielle Abenteuer stehen im Breisgau naturgemäß nicht auf der Agenda, aber um ein bisschen mehr als Aus- und Weiterbildung kommen die Verantwortlichen in der kommenden Saison nicht herum, soll der jetzige Erfolg nicht existenzgefährdende Folgen haben.