Schwarzwaldidyll mit Zugeständnissen an die Energiewende: So könnte es in Zukunft an noch mehr Orten im Nordschwarzwald aussehen. (Symbolfoto) Foto: Timo Günthner – stock.adobe.com

Haben Sie noch alte Ölbilder mit unberührten Schwarzwaldgipfeln? Bitte aufheben. Denn diese Idylle könnte bald vorbei sein. Die Region Nordschwarzwald hat beschlossen, dass jetzt knapp 119 Windkraftanlagen auf 1000 Hektar Fläche möglich gemacht werden.

Empfingen/Landkreis Freudenstadt/Region Nordschwarzwald - Mit der Schwarzwaldidylle könnte es bald vorbei sein. Die Verbandsversammlung der Region Nordschwarzwald. Zum ersten Mal in der Tälesee-Halle in Empfingen.

Verbandsdirektor Henning Proske legt zum ersten Mal die Karten auf den Tisch, was es bedeutet, wenn die Region zur "100 Prozent-Erneuerbare-Energie-Region" wird.

Basis ist die Stromdatenerhebung in der Region. Proske: "Im Jahr 2019 – was Vor-Corona ein ganz normales Jahr war – wurden in der Region 2,8 Milliarden Kilowattstunden verbraucht. Davon werden lediglich 25 Prozent in der Region erzeugt."

2050 werden in der Region 3,3 Milliarden Kilowattstunden Strom benötigt – eine Steigerung von 20 Prozent.

Wie viele Windräder braucht man im Nordschwarzwald?

Proske rechnet vor: "Um diese Menge an Strom mit Windkraft produzieren zu können, benötigt man 112 Anlagen der neuesten Generation auf 955 Hektar Fläche. Wenn man Photovoltaik auf Freiflächen nimmt, benötigt man 2888 Hektar."

Und das sind nur rein rechnerische Werte. Proske weist darauf hin, dass im ermittelten Stromverbrauch der Region lediglich der Jahreswert drin ist. Lastschwankungen – wenn beispielsweise ein Industrie-Betrieb Montag früh wieder die Maschinen startet – sind da nicht abgedeckt. Und: Photovoltaikanlagen liefern nachts keinen Strom. Proske: "Man kann Strom nicht im Regal lagern!"

Heißt: Um diese Menge Strom zuverlässig und bei Spitzenlast herzustellen, braucht es wohl noch mehr Windräder oder Photovoltaik. Da dürfte dann so mancher Schwarzwaldgipfel wie beispielsweise der Sommerberg (836 Meter, bei Bad Wildberg) in Gefahr sein, mit Windrädern bestückt zu werden. Wie schon die Gipfel-Idylle der schwäbischen Alb teilweise mit den "Spargeln" bebaut sind.

Kein Wunder, dass diese Aussichten zu heftigen Diskussion in der Verbandsversammlung führen.

FDP: Keine Placebo-Beschlüsse

FDP-Fraktionsvorsitzender Frank Schneider: "Wir schreiben uns das Ziel des Klimaschutzes auf die Fahnen." Walter Trefz (Grüne, Förster-Legende vom Kniebis) klatscht laut. Schneider weiter: "Womit wir als FDP ein Problem haben, sind Placebo-Beschlüsse. Wir haben große Zweifel, dass es uns gelingt, 100 Prozent unseres Stromverbrauchs vor Ort zu produzieren. Wir müssen uns vorstellen, was es bedeutet, wenn soviel Freiflächen für Photovoltaik oder Windkraft benötigt werden. Um das Ziel zu erreichen, müssen wir nationale oder europäische Lösungen finden. Dass man erneuerbare Energie dort produziert, wo es am effektivsten ist. Bei Windkraft sind Offshore-Anlagen vor der Küste viel effektiver als bei uns in Baden-Württemberg, wo die Windhöffigkeit nicht so hoch ist."

Warum wird Biogas nicht gefördert?

Dazu sei die reine Betrachtung auf Strom nicht zielführend. Schneider: "Ich bin Inhaber einer Biomethan-Anlage, die Erdgasqualität liefert. Damit wird in Haushalten Wärme erzeugt. Ich würde mir von Land und Bund dafür eine Unterstützung wünschen, die diesen Namen wirklich verdient!"

Schaden für Vögel und Insekten?

Norbert Sturm, Fraktionsvorsitzender der AfD: "112 Windkraftanlagen, die sich rechnerisch ergeben, haben massive Auswirkungen auf die Tierwelt. Es ist ein Schaden für Vögel und Insekten, wenn solch ein gewaltiger Quirl aufgestellt wird. Wer Natur- und Artenschutz ernst nimmt, muss auch die Auswirkungen auf die Landschaft und die Lebensverhältnisse der Menschen sehr ernst nehmen."

Philipp Jourdan (Grüne): "Alle Regionen liegen in der Natur. Nicht nur unsere. Die Offshore-Anlagen sind vor Nord- oder Ostsee. FDP und AfD sitzen in einem Boot – beim Sankt Floriansprinzip. Wenn jeder auf seinen Interessen beharrt, werden wir das Problem nicht lösen."

Heiko Faber (Freie Wähler): "Die Präsentation von Henning Proske brachte uns die Ehrlichkeit, die wir bisher vermisst hatten. Einen Punkt darf man auch nicht vergessen: Die sogenannten Teilflächen für Photovoltaik – die auf den ersten Blick als "minderwertig" gelten, sind Flächen, die von den Kommunen beispielsweise als Ausgleichsflächen, für Bau- oder Gewerbegebiete benötigt werden. Ein Ausweisung für Photovoltaik würde die Konflikte für die Kommunen noch verschärfen!“

Trefz: Weiß, dass Widerstände wachsen werden

Walter Trefz (Grüne) bringt die möglichen Konflikte auf den Punkt, wenn der Schwarzwald mit Windkraftanlagen verspargelt werden sollte: "Wir haben ein Gut, unser Wald. Der spielt in diesen Klimaüberlegungen eine wesentliche Rolle. Auf der einen Seite kann er schützen, auf der anderen Seite leidet er unter dem Klimawandel.Wir können den Bürger nur mitnehmen, wenn wir von Anfang an offen mit der Sache umgehen. Ich weiß sehr wohl, dass die Widerstände wachsen werden. Mit denen müssen wir fertig werden. Wir müssen dem Bürger die Möglichkeit geben, seine Bedenken hier einzubringen."

Klaus Fuchs (AfD): "Das Wort ›Bürger mitnehmen‹, gefällt mir nicht. Ich bin dafür, dass man mit Bürgern spricht und sie mitentscheiden lässt. Und wenn ich hier Apfelsaft mit Konzentrat auf dem Tisch sehe, welches höchstwahrscheinlich aus China kommt, streuen wir uns mit solchen Konzepten Sand in die Augen!"

Energie vor Ort die beste Lösung?

Gerhard Feeß (CDU) fordert mehr kommunales Engagement in der Energieerzeugung: "Wir haben in Altensteig eigene Erzeugeranlagen. Ohne Subvention verkaufen wir Strom am Markt. Damit bleibt die Wertschöpfung bei uns. Und der Kunde hat noch einen Vorteil: Wenn wir regional produzieren, fallen keine Durchleitungsentgelte durch fremde Netze an."

Dann wurde dem Konzept mehrheitlich zugestimmt. Damit kann die Region Nordschwarzwald den Teilregionalplan "100 Prozent Erneuerbare Energien" angehen. Heißt: Es werden Flächen für solche Anlagen in der Raumplanung eingezeichnet. Heißt aber nur, dass die Flächen dafür vorgesehen sind. Den Rest müssen die Anlagen-Bauer mit den Kommunen vor Ort klarmachen.

Zumindest vor der Pflicht, solch ein Projekt anzugehen – egal ob mit Windparks und Photovoltaikanlagen – oder mit anderen Konzepten, kann sich die Region nicht mehr drücken. Das hatte Rechtsanwalt Christian Kirchberg in seinem Vortrag zum Bundesverfassungsgerichtsurteil in der Täleseehalle deutlich gemacht: "Eine pädagogische und fordernde Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die es so nicht gegeben hat." Sie verpflichtet Bund und Land, welches auch den Rahmen für die Raumplanung des Verbands Nordschwarzwald setzt, die Maßnahmen zur CO2-Minderung umzusetzen.