Stuttgart - Die Grünen erwarten sich nicht weniger als eine Revolution, wenn Deutschland erst einmal die UN-Konvention für die Rechte Behinderter umgesetzt hat. Doch bis dahin, das räumen sie ein, ist es noch ein weiter Weg.

Papier ist geduldig, heißt es, und die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) benötigt gleich 40 Seiten Papier. Wird es also noch Jahrzehnte dauern, bis Behinderte das Recht auf Selbstbestimmung so wahrnehmen können, wie es die Konvention vorsieht? Auch Deutschland hat dieses Übereinkommen vor genau einem Jahr unterzeichnet. Doch unbegrenzt Zeit dürfen sich Bund und Länder sich mit der Umsetzung nicht lassen.

Bereits nach zwei Jahren ist ein "umfassender Bericht über die Maßnahmen" sowie die erzielten Fortschritte fällig. Deshalb folgert jetzt die gesundheitspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Bärbl Mielich: "Die Landesregierung ist gefordert, die Umsetzung muss zeitnah durch die Länderparlamente erfolgen."

Für die betroffenen Menschen sieht sie eine Revolution heraufziehen. Denn Behindertenpolitik werde auf eine ganz neue Grundlage gestellt: Nicht der Makel stehe im Vordergrund, den es zu beseitigen gelte, die Konvention betone vielmehr Behinderung als Bestandteil der Vielfalt des menschlichen Lebens. 

Die Grünen glauben trotzdem, dass diese Revolution überfällig sei, und nehmen für sich in Anspruch, die Regierung auf Trab zu bringen. Zur Erläuterung ihres Drängens schilderte Mielich den Fall eines neunjährigen Mädchens aus ihrem Wahlkreis, dessen Eltern beim Landratsamt vergeblich eine Hebebühne für das Auto beantragt haben, damit ihre Tochter an Ausflügen teilnehmen kann. Da dies abgelehnt wurde, klagen die Eltern jetzt vor dem Sozialgericht: "Und sie müssen darauf warten, dass sie in zwei Jahren eine Entscheidung bekommen."

Neue Organisation für Kindergärten, Schulen und Unis

Das aber bedeutet, Behinderte gleichberechtigt und uneingeschränkt an der Gesellschaft teilhaben zu lassen - zum Beispiel in Kindergärten, Schulen und Hochschulen. Diesen umfassenden Anspruch setze das Land aber bisher nur dadurch um, dass es die Sonderschulpflicht abschaffe, so die Grünen-Politikerin.

Deshalb fordert sie, auch die Grundlage für die Kindertagesbetreuung zu reformieren. Dort soll es künftig heißen: "Kinder, die aufgrund ihrer Behinderung einer zusätzlichen Betreuung bedürfen, sollen zusammen mit Kindern ohne Behinderung in Gruppen gemeinsam gefördert werden." Den Satz "sofern der Hilfsbedarf dies zulässt" will Mielich streichen.

Auch die Kindergärten, Schulen und Hochschulen müssten anders organisiert werden, das gelte aber auch für das Ausbildungswesen: "Ziel muss es sein, Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen." Der Begriff Barrierefreiheit müsse eben umfassend definiert werden. Mielich: "Barrierefreiheit heißt Abbau von baulichen, sprachlichen, akustischen, sensorischen und anderen Hindernissen."

Dass all dies eine Menge zusätzlichen Personals bedarf und somit viel Geld kostet, ist den Grünen durchaus bewusst. Mielich: "Die Umsetzung der UN-Konvention steht und fällt mit der Bereitstellung der finanziellen Mittel." Dabei stellt sie sich ohnehin eine komplett andere Mittelverteilung vor: Behinderte sollen ein sogenanntes Teilhabegeld erhalten, mit dem sie ihren Föderbedarf einkaufen können.

Dass dies alles "nicht mal eben mit einem Federstrich" erledigt werden kann, sondern viel Zeit braucht, räumen die Grünen ein. Dennoch liege die Landesregierung mit der Meinung falsch, wonach es keine Notwendigkeit für eine Kursänderung bedürfe.

Deren Vertreter, Sozialstaatssekretär Dieter Hillebrand, sieht in dem Drängen denn auch "vorschnellen Aktionismus". Baden-Württemberg habe eine gute Infrastruktur und werde diese weiter ausbauen, teilte er am Montag mit. 

Grüne wollen Regierung auf Trab bringen

Die UN-Konvention soll jedenfalls in engem Schulterschluss mit der Bundesregierung umgesetzt werden. Die will nämlich unter Leitung ihres Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe bis März 2011 einen Aktionsplan aufstellen, an dem Menschen mit Behinderungen "entscheidend mitwirken" sollen, wie Hüppe dieser Tage versprach.

Ein erstes Gespräch hat bereits stattgefunden, für Ende April ist ein Treffen mit Wohlfahrtsverbänden, Sozialpartnern und weiteren Akteuren geplant. In diese Beratung wollen sich auch die baden-württembergischen Vertreter einklinken. Eine Arbeitsgruppe des Landesbehindertenbeirats leistet dazu die Vorarbeit.

Auch Kultusministerin Marion Schick erklärte zu dem Grünen-Vorstoß, die geplante Abschaffung der Sonderschulpflicht sei "nur ein Bestandteil der umfassenden Änderungen" im Bildungsbereich.

Die CDU-Landtagsfraktion wiederum wies darauf hin , dass im Südwesten bereits 29 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule besuchten - im Bundesschnitt seien dies nur 15,7 Prozent. Notwendig seien aber "passgenaue Lösungen" für den Einzelfall.

Die Grünen glauben trotzdem, dass diese Revolution überfällig sei, und nehmen für sich in Anspruch, die Regierung auf Trab zu bringen. Zur Erläuterung ihres Drängens schilderte Mielich den Fall eines neunjährigen Mädchens aus ihrem Wahlkreis, dessen Eltern beim Landratsamt vergeblich eine Hebebühne für das Auto beantragt haben, damit ihre Tochter an Ausflügen teilnehmen kann. Da dies abgelehnt wurde, klagen die Eltern jetzt vor dem Sozialgericht: "Und sie müssen darauf warten, dass sie in zwei Jahren eine Entscheidung bekommen."