Terrorexperte sieht Erfolge im Kampf gegen Extremisten - Warnung vor deutschen Islamisten.
Stuttgart - Wie groß ist die Terrorgefahr in Deutschland? Der Experte Guido Steinberg warnt vor Freiwilligen, die sich in zunehmender Zahl von El Kaida und ihren Verbündeten vereinnahmen lassen.
Herr Steinberg, die befürchteten Anschläge der El Kaida in Deutschland sind ausgeblieben. Haben wir einfach nur Glück gehabt, oder ist das ein Verdienst der Geheimdienste?
Im Herbst 2009, kurz vor der Bundestagswahl, hat es ganz konkrete Drohungen gegeben. Es ist erstaunlich, dass El Kaida keine Taten hat folgen lassen. Das Terrornetzwerk hat dadurch an Glaubwürdigkeit verloren - nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten westlichen Welt. Insgesamt kann man daraus wohl den Schluss ziehen, dass sich die Terrorismusbekämpfung verbessert hat und El Kaida geschwächt wurde. Die Zahl der Anschläge in Europa ist zurückgegangen. Gleichwohl besteht die Gefahr eines Anschlags nach wie vor.
Und wie steht es um die Sicherheit der USA? Anfang Mai wurde in New York ein Attentat gerade noch verhindert.
Die Amerikaner haben den Fehler gemacht, neue große Behörden zur Terrorbekämpfung gegründet zu haben. Solche Behörden brauchen in der Regel einige Jahre, bevor sie ihre Aufgaben wahrnehmen können, es gibt immer wieder Reibungsverluste. Das Heimatschutzministerium ist im Grunde bis heute nicht richtig arbeitsfähig. In Deutschland hat man es besser gemacht und in Berlin ein Terrorabwehrzentrum gegründet, ohne dafür eine neue Behörde zu schaffen.
Was ist über das Schicksal von Osama bin Laden bekannt?
Da gibt es nur Vermutungen. Die Amerikaner haben seine Spur vollkommen verloren. Ich gehe davon aus, dass er sich weiterhin in Pakistan befindet - im Norden des Landes in der Gegend von Chitral. Da ist er noch schwerer aufzufinden als weiter südlich.
Besteht überhaupt noch das Interesse daran, ihn zu fassen?
Natürlich haben die USA ein großes Interesse daran, Osama bin Laden festzunehmen. Er ist der Hauptverantwortliche für die Attentate vom 11. September 2001. Allerdings macht sich bei den Amerikanern eine gewisse Ratlosigkeit breit. Bin Laden scheint nicht in das operative Geschehen einzugreifen - und das macht es sehr schwer, ihn zu greifen. Zudem verhalten sich die Pakistani zurückhaltend. Sie wollen, dass sich die Suche nach dem El-Kaida-Chef noch einige Jahre hinzieht. Würde bin Laden gefasst, würde das Interesse der Amerikaner an dem Land stark nachlassen.
Der Stellvertreter bin Ladens, Aiman al-Sawahiri, hat sich jüngst wieder zu Wort gemeldet und einen Sieg der Taliban in Afghanistan prophezeit. Ist das mehr als nur Propaganda?
Das ist mehr als Propaganda. El Kaida ist mit den afghanischen Aufständischen eng verbündet, und diese sind seit 2006 enorm erstarkt. Präsident Karsai scheint bereits mit Teilgruppierungen über die Zukunft des Landes zu verhandeln. Insofern ist aus der Sicht der El Kaida und der Taliban einiger Optimismus gerechtfertigt.
"El Kaida hat uns als Feind ausgemacht"
Was bedeutet das für die internationale Schutztruppe am Hindukusch?
Es ist sicher nicht möglich, mehr als noch ein paar Jahre zu bleiben. Wir sollten aber abwarten, ob die von den USA eingeleitete neue Militärstrategie nicht doch Früchte trägt und dann Verhandlungen aus einer Position der Stärke möglich werden.
Und wie steht der Irak im Kampf gegen den Terror da?
Dort ist El Kaida nur noch ein müder Abklatsch dessen, was sie im Jahr 2006 war, vor dem Tod ihres Führers al-Sarkawi. Die amerikanische Strategie im Irak hat Erfolge gehabt und dem Land die Zeit dafür gegeben, die wichtigsten politischen Probleme anzupacken. El Kaida wird sehr rasch aus dem Land verdrängt werden, wenn die irakische Politik bei der Lösung der Probleme Erfolg hat.
Gibt es El-Kaida-Kräfte in Deuschland?
Das Problem in Deutschland ist, dass die Zahl der Freiwilligen zunimmt. El Kaida und ihre Verbündeten haben uns als Feinde ausgemacht, und sie wollen Anschläge verüben, um einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu erzwingen. Zudem sind 2009 bis zu 40 Deutsche in die pakistanischen Stammesgebiete gereist, um sich möglicherweise in Terrorcamps ausbilden zu lassen. Das sind Entwicklungen, die Anlass zur Sorge geben.
Ist durch El Kaida der von Samuel Huntington beschworene Kampf der Kulturen näher gerückt?
El Kaida hat immer die Auffassung vertreten, dass der Westen einen Krieg gegen den Islam führt. Ihre Gewalt und einige Reaktionen ihrer Gegner haben der Denkschule, die von einem Konflikt zweier Zivilisationen ausgeht, viele neue Anhänger zugeführt.
Der Bundesverfassungsschutz hat ein Aussteigerprogramm ins Leben gerufen, um Islamisten vom Terror abzubringen. Taugt eine solche Initiative?
Man sollte nicht so naiv sein zu glauben, dass sich auf der jetzt eingerichteten Hotline gefährliche Dschihadisten melden. Das ist bestenfalls ein erster Schritt. Was wir brauchen, ist ein Deradikalisierungsprogramm, das vor der Einschaltung von Sicherheitsbehörden greift. Hier ist die Politik gefragt, nicht der Verfassungsschutz.