Eine Büste von Alfred Nobel steht im Stockholmer Karolinska-Institut. Mit der Verkündung der diesjährigen Medizinnobelpreisträger beginnt die Woche der Nobelpreis-Bekanntgaben. Foto: dpa/Steffen Trumpf

An diesem Montag hat in Stockholm die Bekanntgabe der diesjährigen Nobelpreisträger begonnen. Für den Medizin-Nobelpreis steht die Entscheidung fest. Er geht an zwei Gen-Forscher aus den USA, deren Forscher entscheidend dazu beigetragen hat, die interne Steuerung von Genen besser zu verstehen.

Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an die beiden Amerikaner Victor Ambros und Gary Ruvkun für die Entdeckung der microRNA und ihrer Rolle bei der Genregulierung. Das hat das Karolinska-Institut in Stockholm am Montagvormittag mitgeteilt.

 

Prinzip zur Steuerung der Genaktivität

Die beiden Forscher hätten ein grundlegendes Prinzip zur internen Steuerung der Genaktivität entdeckt, heißt es in der Mitteilung des schwedischen Komitees. „Ihre bahnbrechende Entdeckung offenbarte ein völlig neues Prinzip der Genregulierung, das sich als wesentlich für mehrzellige Organismen, einschließlich des Menschen, erwies“, schreibt das Nobelkomitee in seiner Begründung.

MicroRNAs erweise sich als grundlegend wichtig für die Entwicklung und Funktion von Organismen. Die diesjährige Auszeichnung sei „eindeutig ein Preis für Physiologie", betonte Gunilla Karlsson Hedestam, Vorsitzende des Nobelkomitees für Physiologie oder Medizin.

Diesjährige Medizin-Nobelpreisträger

  • Victor Ambros (70) forscht und lehrt im Nordosten der USA. Er wurde im US-Bundesstaat New Hampshire geboren und wuchs im benachbarten Vermont auf. Seine Doktorarbeit schrieb er am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort begann er als Postdoc auch, die Entwicklungszeit von Fadenwürmern zu untersuchen. Nach langjährigen Stationen an der Harvard University und an der Dartmouth Medical School erhielt er eine Professur an der University of Massachusetts Medical School.
  • Gary Ruvkun (72) stammt aus Berkeley im US-Bundesstaat Kalifornien und verbrachte sein bisheriges Berufsleben ebenfalls in den USA. Er studierte an der University of California und der Harvard University, ehe er zum MIT in Cambridge wechselte. Dort untersuchte er, wie auch Ambros, in den 1980er Jahren Fadenwürmer im Labor von Robert Horvitz, der 2002 den Nobelpreis erhielt. Danach forschte Ruvkun am Massachusetts General Hospital und der Harvard Medical School, wo er derzeit Professor für Genetik ist.
Dieses von der UMass veröffentlichte Bild zeigt den Forscher Victor Ambros. Foto: Faith Ninivaggi/UMass/AP/dpa
Dieses  von Mass General Brigham veröffentlichte Bild zeigt den amerikanischen Molekularbiologen Gary Ruvkun. Foto: Joshua Touster/Mass General Brigham/AP/dpa

Die bedeutendste Auszeichnung für Mediziner ist wie im Vorjahr mit 11 Millionen schwedischen Kronen (knapp 970 000 Euro) dotiert. Sie geht je zur Hälfte an die beiden Forscher.

227 Medizin-Preisträger seit 1901

Im vergangenen Jahr hatten die in Ungarn geborene Biochemikerin Katalin Karikó und der US-Immunologe Drew Weissman den Medizin-Nobelpreis für ihre Vorarbeiten zur Entwicklung sogenannter mRNA-Impfstoffe gegen Corona erhalten.

Sie hätten mit ihrer Forschung „zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit“ beigetragen, hatte das Karolinska-Institut damals mitgeteilt.

Die Literaturnobelpreismedaille, die dem deutschen Schriftsteller Grass im Jahr 1999 verliehen wurde. Foto: dpa/Daniel Reinhardt

Seit 1901 haben insgesamt 227 Forscher den Medizin-Nobelpreis erhalten, darunter 13 Frauen. Der erste ging an den deutschen Bakteriologen Emil Adolf von Behring für die Entdeckung einer Therapie gegen Diphtherie. 1995 erhielt als erste und bislang einzige deutsche Frau Christiane Nüsslein-Volhard diese Auszeichnung für ihre Arbeit zur genetischen Kontrolle der frühen Embryonalentwicklung.

MicroRNA: Gebrauchsanweisungen für Zellen - wichtige Begriffe erklärt

  • MicroRNA – von altgriechisch: mikrós, klein – sind kurze, nichtcodierende Ribonukleinsäuren, die eine wichtige Rolle in dem komplexen Netzwerk der Genregulation spielen.
MicroRNA erweist sich als grundlegend wichtig für die Entwicklung und Funktion von Organismen. Foto: Imago/Depositphotos
  • MicroRNA (miRNA) und Messenger-RNA (mRNA) sind zwei unterschiedliche Arten von RNA-Molekülen mit verschiedenen Funktionen und Eigenschaften.
  • MicroRNA ist eine Variante der RNA, die an der Regulation der sogenannten Genexpression und damit zellulären Proteinsynthese beteiligt ist. Die Genexpression (auch Proteinbiosynthese genannt) ist die Herstellung eines Proteins in Lebewesen durch die Umsetzung der in der DNA gespeicherten Informationen.
  • MicroRNA unterdrückt („silencing“) eine Transkription (das Umschreiben) einzelner Gene und übt damit quasi eine entgegengesetzte Funktion aus wie die mRNA.
  • Die Genregulation ist ein wichtiger Mechanismus, der die Proteinbiosynthese kontrolliert. Alle Lebewesen müssen Genregulation betreiben, damit ihre Zellen exakt die richtige Menge an benötigten Proteinen bilden. Die Regulation ermöglicht es Organismen auf Umweltveränderungen zu reagieren und somit anpassungsfähiger zu sein. Mithilfe der Genregulation wird also die Aktivität von Genen gesteuert. Sie ist entscheidend dafür, wann Gene abgelesen werden sollen.
  • Die Proteinbiosynthese wiederum ist dazu da, um Protein herzustellen. Dafür werden die Erbinformationen der DNA umgeschrieben und dann in Proteine übersetzt. Die Proteinbiosynthese – also die Produktion von Proteinen - ist in das Umschreiben von DNA in RNA (Transkription) und in die Übersetzung der RNA (Translation) in eine Aminosäuresequenz an den Ribosomen aufgeteilt. Aus der Aminosäuresequenz wird im Anschluss ein Protein gefaltet.
  • Ribosomen sind die „Proteinfabriken“ der Zelle. Sie dienen der Translation, bei der die Nucleotidsequenz der mRNA in die Aminosäuresequenz eines Proteins übertragen wird.
  • Ein Nukleotid ist ein Molekül und der kleinste Baustein von Nukleinsäuren. Es stellt ein Grundbaustein der DNA und RNA dar.
  • Die in den Chromosomen gespeicherte Information kann mit einer Gebrauchsanweisung für alle Zellen des Körpers verglichen werden. Jede Zelle enthält dieselben Chromosomen und damit denselben Satz von Genen. Verschiedene Zelltypen wie Muskel- und Nervenzellen haben sehr unterschiedliche Eigenschaften. Dafür spielen Mechanismen der Genregulation eine Rolle, wie sie von Ambros und Ruvkun beschrieben wurden.
Chemische Struktur eines MicroRNA-Moleküls: Foto: Imago/Dreamstime
  • Die bereits im Jahr 1993 in zwei Artikeln in der Fachzeitschrift „Cell“ von den beiden Forschern veröffentlichte Entdeckung der microRNA – die zunächst wissenschaftlich auf Schweigen stieß – ist nicht nur wesentlicher Bestandteil der Gebrauchsanweisung unserer Zellen. Sie hat auch medizinisch weitreichende Folgen: Fehler in der Regulierung durch microRNA können zu Krebs beitragen. Ebenso hängen Krankheiten wie angeborene Schwerhörigkeit oder Augen- und Skeletterkrankungen mit Mutationen in Genen zusammen, die für microRNA kodieren.
  • Mutationen in einem der Proteine, die für die microRNA-Produktion erforderlich sind, führen beispielsweise zum DICER1-Syndrom, einer seltenen Erbkrankheit, die das Risiko für Krebs in verschiedenen Organen und Geweben erhöht.
Durch die Foto: Imago/Depositphotos
  • DNA – Desoxyribonukleinsäure - trägt die Erbinformation bei allen Lebewesen und den DNA-Viren.
  • RNA – Ribonukleinsäure – hat wie DNA eine wichtige, aber andere Funktion in der Genetik: Beides sind Nukleinsäuren. Während die DNA den genetischen Code des Erbguts und somit den Bauplan des Lebens speichert, hat die RNA eine zentrale Rolle bei der Proteinbiosynthese sowie wichtige regulatorische Funktionen.
  • Nukleinsäuren sind aus einzelnen Bausteinen – den sogenannten Nukleotiden – aufgebaute Makromoleküle, die bei allen Organismen (Viren und Zell-Organismen) die genetische Informationen enthalten.
  • Nicht alle Proteine werden in den Zellen immer gleichzeitig benötigt. Der Grund: Zum einen haben die einzelnen Zellen unterschiedliche Funktionen - eine Immunzelle andere als eine Muskelzelle, um ihre Aufgaben auszuführen. Zum anderen werden bestimmte Proteine nur in bestimmten Situationen benötigt, wie zum Beispiel zur Zellteilung. Aus energetischen Gründen ist es daher sinnvoll, die Synthese von Proteinen zu regulieren - also zu steuern.
  • Durch die Genregulation können Gene je nach Bedarf an- oder abgeschaltet werden. Gene, die nicht ständig aktiv sind, heißen regulierte Gene. Gene, die immer aktiv sind, werden als konstitutive Gene bezeichnet.

Bekanntgabe und Vergabe der Nobelpreise

Mit dem Medizin-Preis startet der Nobelpreis-Reigen. Am Dienstag (8. Oktober) und Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Preises benannt. Es folgen die für Literatur und für Frieden. Die Reihe der Bekanntgaben endet am kommenden Montag (14. Oktober) mit dem von der schwedischen Reichsbank gestifteten sogenannten Wirtschafts-Nobelpreis.

Die feierliche Vergabe aller Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (mit dpa-Agenturmaterial).