Geistig aktiv beim „Mensch ärger dich nicht“ als Vorbeugung gegen Alzheimer Foto: dpa

Es gibt keine wirksamen Medikamente. Doch ist Alzheimer überhaupt eine Krankheit?

Stuttgart - 100 Kniebeugen nur auf dem linken, 100 Kniebeugen nur auf dem rechten Bein, Kopfmassage, Rechenübungen, danach mit dem Rad zur Arbeit und über die Treppe statt den Aufzug hoch ins Büro: Der 71-jährige Konrad Beyreuther tut alles, um körperlich und geistig fit zu bleiben. Denn er ist sich sicher: So kann er das Risiko, Alzheimer zu bekommen, hinausschieben. „Irgendwann wird es mich aber auf jeden Fall treffen. Alle Menschen kriegen Alzheimer. Sie müssen nur alt genug werden.“

Konrad Beyreuther ist einer der bekanntesten Alzheimer-Forscher Deutschlands. Er hat eines der Gene entdeckt, die mit Alzheimer in Verbindung gebracht werden und erklären können, warum das Vergessen auch erblich bedingt ist – aber eben nicht nur. „Bei den meisten Menschen ist Alzheimer eine ganz normale, altersbedingte Veränderung im Gehirn.“ Weswegen der Leiter des Heidelberger Netzwerkes für Alternsforschung auch ungern von der Krankheit Alzheimer spricht. „Für die Betroffenen wäre es einfacher, Alzheimer als Alterserscheinung zu akzeptieren, so wie körperliche Gebrechlichkeit oder ein schwaches Herz.“ Denn allein schon die Diagnose Alzheimer macht viele unglücklich.

Das zeigt auch eine Studie der Uni Newcastle: 2011 haben Wissenschaftler dort die über 80-jährigen Bewohner eines Altenheims gefragt, wie sie sich fühlen. Fast 80 Prozent sagten gut – obwohl sie im Rollstuhl saßen oder nur noch mit Rollator laufen konnten. Von den 20 Prozent, die sich schlecht fühlten, hatten über 80 Prozent eine Demenz.

Sich besser mit Alzheimer zu arrangieren wird aber für immer mehr Menschen wichtig. Mit jedem Jahr, mit dem die Lebenserwartung steigt – und das tut sie alle vier Jahre um ein Jahr –, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, Alzheimer zu bekommen. Denn für kognitive Leistungen wie Denken oder Sprechen braucht das Gehirn Energie, die der Körper herstellen muss. Dabei entstehen auch Schadstoffe, die wiederum den Körper und das Gehirn altern lassen, so Beyreuther.

„Denn die Pille gegen das Vergessen wird es nie geben“

Während bei den 85-Jährigen noch eine von fünf Personen die Diagnose Alzheimer trifft, sind es bei den 95-Jährigen schon 40 Prozent. Bis zum Jahr 2050 wird die Lebenserwartung um zehn Jahre steigen. Dann gibt es viermal so viele Alzheimer-Patienten wie heute: vier Millionen statt 1,3 Millionen – vorausgesetzt, die Forschung hat sich bis dahin nicht weiterentwickelt oder die Menschen versuchen nicht selbst etwas gegen diese Alterserscheinung zu tun.

Denn Konrad Beyreuther ist sich sicher, dass Menschen, die sich körperlich und geistig fit halten, eine Alzheimer-Erkrankung um bis zu zehn Jahre hinausschieben können. „Ein Gehirn, das in Ruhe gelassen wird, macht Unfug“, sagt Beyreuther. Gefordert wird das Gehirn jedoch nicht nur, wenn man es aktiv mit Rechenübungen oder Vokabellernen fordert, sondern auch beim Sport. „Das Bein hebt sich ja beim Treppensteigen nicht an, ohne dass vom Gehirn ein Befehl an die Muskeln gesendet wird.“

Allerdings reicht es nicht, mit Gehirn- und richtigem Jogging im Ruhestand anzufangen. „Zwischen 40 und 50 Jahren wird entschieden, wie wir altern. Hier müssen wir Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen, Bluthochdruck oder auch einfach ein langweiliges Leben angehen, um im Kopf später fit zu bleiben.“

Vorbeugung ist gut – was aber ist mit den Menschen, denen die Diagnose Alzheimer schon gestellt wurde? Ist denen überhaupt noch zu helfen? Einer, der auf diese Fragen eine Antwort sucht, ist der Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiolgie der Uni Tübingen, Niels Birbaumer. Er ist sich ebenso wie Konrad Beyreuther sicher, dass Alzheimer eine unabwendbare Alterserscheinung ist, die man nicht heilen, aber hinauszögern kann. Allerdings nicht mit Medikamenten, sondern mit Hilfe von Psychologie. „Denn die Pille gegen das Vergessen“, sagt Birbaumer, „wird es nie geben.“

Bislang geht die Wissenschaft davon aus, dass bei Alzheimer-Patienten Eiweißablagerungen im Gehirn zu dem fortschreitenden Tod von Nervenzellen und damit zur Demenz führen. „Wenn aber die von Ablagerung betroffenen Nervenzellen in einem frühen Stadium aktiviert werden, könnte eventuell der Alzheimer-Prozess aufgehalten werden“, sagt Niels Birbaumer.

Stärkere Gehirn-Aktivität könnte Alzheiemr verzögern

Schon vor ihm haben Wissenschaftler versucht, die Ablagerungen mit Hilfe von Medikamenten zu lösen – doch dadurch haben sich die Nervenzellen nicht wieder erholt: Die Patienten blieben verwirrt. Weshalb Birbaumer es nun mit einem Mittel versuchen möchte, das jeder zur Hand hat: dem eigenen Denkvermögen.

In einer Studie will Birbaumer Patienten, die leichte bis mittelschwere Formen von Alzheimer haben, einem mehrmonatigen Lern-Training unterziehen. So müssen Denkaufgaben und Rätsel gelöst, Erinnerungs- und Wortspiele geführt werden. Dabei werden die Nervenzellen in den entsprechenden Gehirnregionen mit elektrischen Impulsen unterstützt. „Auf diese Weise verstärken wir die Signale zwischen den Nervenzellen, so dass sie trotz der Ablagerungen untereinander kommunizieren können“, sagt Birbaumer. Die stärkere Gehirnaktivität könnte dazu führen, dass das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung verzögert würde – wie lange, das kann auch Birbaumer nicht sagen. „Einen Versuch ist es zumindest wert.“

Zumindest dem Geldgeber für die Studie war es den Aufwand nicht wert: Die Studie von Birbaumer sollte schon im September 2011 starten. Kosten: etwa 350.000 Euro. Doch der Partner, ein israelisches Unternehmen, ist abgesprungen. Vermutlich, weil sich mit der Studie im Nachhinein kein Geld verdienen lassen wird: Denn auf den Geräten, mit denen Birbaumer die Nervenzellen der Betroffenen elektrisch stimulieren will, gibt es kein Patent. Nun hofft der Wissenschaftler auf staatliche Forschungsmittel.

Die Alzheimer-Forschung sei eben oft ein zynisches Geschäft: Lieber stecke man Geld in die aussichtslose Suche nach einem Medikament, das Alzheimer heilen soll, anstatt sich um die Therapie schon Betroffener zu kümmern, so Birbaumer „Das ist eben lukrativer.“

Dabei wäre es längst an der Zeit umzudenken: Seit 25 Jahren gilt die molekulare Alzheimer-Forschung als einziger Schlüssel zur Heilung. Und doch stand am Ende stets die Kapitulation der Mediziner: „Es gibt keine einzige klinische Studie, die Erfolg gebracht hat“, sagt Konrad Beyreuther. „Dabei dachten wir anfangs, wenn wir den molekularen Schurken finden, haben wir die Krankheit im Griff.“ Stattdessen hat die Demenz – und die Angst davor – die Gesellschaft im Griff.