Seit dem Überfall auf die Ukraine mangelt es in Russland an Arzneien und medizinischem Gerät. Betreuungseinrichtungen wie dem Kinderhospiz Haus mit dem Leuchtturm brechen die Spenden weg – die eigenen Leute haben selbst wenig, und ausländische Gelder kommen nicht mehr an.
Manchmal verbringt Lida Moniawa ganze Tage in den Apotheken quer durch Moskau. Besorgt hier zwei Packungen Fiebersaft, dort Medikamente gegen Epilepsie. Sie ist zu einer Suchenden geworden, wie auch ihre Mitstreiter in den Apotheken, bei Lieferanten medizinischer Geräte, bei Spendern. Nicht selten werden sie abgewiesen, „nichts mehr da“, heißt es dann. Oder: „Es ist erst in einigen Monaten mit Ware zu rechnen, wann genau, ist unklar. Bezahlen muss man aber schon im Voraus“, sagt Moniawa. Die 34-Jährige kämpft für schwer kranke Kinder und ihre Familien im Moskauer Kinderhospiz, dem Haus mit dem Leuchtturm.
Nichts mehr da gegen Epilepsie
Kaum hatte der russische Präsident den Marschbefehl zum Überfall der Ukraine gegeben, leerten sich die Apotheken im Land. Selbst die einfachsten Mittel waren schwer zu bekommen. Die Lage hat sich mittlerweile entspannt, für chronisch Kranke und Schwerstkranke aber ist sie weiter prekär. Es fehlt an Epilepsie-Medikamenten, Antidepressiva, Asthmasprays. Krebsmedikamente sind teuer. Auch Ersatzteile für medizinische Geräte sind kaum zu bezahlen oder werden gar nicht erst geliefert. „Wir haben Filter, Sensoren, Kolben für Absauggeräte im Lager der wenigen Lieferanten im Land bereits vor einigen Wochen aufgekauft“, sagt Alexandra Dschordschewitsch vom Haus mit dem Leuchtturm.
Das Hospiz, 2013 als Stiftung gegründet, bietet medizinische, psychologische, pädagogische und rechtliche Hilfe für rund 800 Familien mit schwer kranken Kindern an. Im Tageszentrum können die Kinder spielen und lernen, Geburtstage feiern oder schwimmen. „Ein Leben führen, in dem jeder Tag zählt“, heißt es bei der Stiftung. In einem Land, in dem Familien mit Schwerkranken oft sich selbst überlassen sind und die Gesellschaft sich noch vor einigen Jahren vielfach dafür aussprach, Menschen mit Einschränkungen wegzusperren, ist das viel wert. „Seit Februar arbeiten wir im Notfallmodus“, sagt Alexandra Dschordschewitsch.
Zahlungen ins oder aus dem Ausland unmöglich
Medikamente und medizinische Geräte fallen nicht unter die Sanktionen, die die Europäische Union und die USA gegen Russland nach seinem Angriff auf die Ukraine verhängt hatten. Die Logistik aber ist gestört, Lieferwege sind komplizierter geworden, die Firmen stellen Wachdienste an, um ihre Transporte vor Überfällen zu schützen. Das alles führt zur enormen Verteuerung, um durchschnittlich 15 Prozent, manchmal um 50. „Eine Packung Medikamente reicht mir für 21 Tage, ich bin mein Leben lang auf die Mittel angewiesen, auf den Staat zu warten dauert oft zu lang“, sagt die an Mukoviszidose erkrankte Julia in einer Youtube-Sendung des früheren Chefredakteurs des unabhängigen russischen Online-TV-Senders Doschd. Wegen der harschen russischen Mediengesetze hatte Doschd seine Arbeit im März in Russland eingestellt, seine Mitarbeiter senden nun aus dem Exil. Vor dem Krieg hat Julia auf eigene Kosten das Präparat im Ausland beschafft. Nun aber kann die Moskauerin mit ihrem russischen Konto keine Rechnungen mehr im Ausland bezahlen. Die Post funktioniert nicht einwandfrei. Julia setzt auf ihre Freunde im Ausland, auf Umwege über nicht „unfreundliche“ Drittstaaten.
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Ob Zahnärzte, Chirurgen oder Nephrologen, die meisten Mediziner im Land arbeiten mit medizinischen Geräten aus dem Ausland. Diese aber können kaum mehr gewartet werden. Die heimische Produktion von künstlichen Hüftgelenken liegt bei etwa zehn Prozent. Auch Zahnimplantate stellt Russland kaum her. Bei Antidepressiva müssten sie nun auf toxischere Mittel als Ersatz umsteigen, sagt Dschordschewitsch.
Zudem fallen Spenden aus dem Ausland weg, weil das Swift-Zahlungssystem eingestellt wurde. Die Menschen in Russland haben nun weniger Geld und spenden auch weniger, dabei finanzieren sich viele solcher Einrichtungen rein über Spenden.
Die russische Regierung gibt sich gewohnt selbstsicher, setzt auf Importsubstitution wie auch auf Parallelimporte, ohne die Rechte der Hersteller zu achten. Sie schaut sich zudem auf anderen Märkten um, in China oder Indien. Das kostet Zeit. Zeit, die manche Patienten im Land nicht haben.