Das Wohnzimmer des Dix-Hauses am Bodensee im Jahr 1948. Mehr Eindrücke von dem Museum bekommen Sie in unserer Bildergalerie. Foto: Jan und Andrea Dix

Bilder sprechen nicht immer für sich. Deshalb hat Florian Käppler, der Leiter des Studiengangs Musikdesign der Hochschule Trossingen, mit seinen Studenten dem neuen Otto-Dix-Haus am Bodensee und den Werken des Malers eine Stimme gegeben.

Bilder sprechen nicht immer für sich. Deshalb hat Florian Käppler, der Leiter des Studiengangs Musikdesign der Hochschule Trossingen, mit seinen Studenten dem neuen Otto-Dix-Haus am Bodensee und den Werken des Malers eine Stimme gegeben.

Herr Käppler, haben Farben einen Klang?
Wie die verschiedenen Sinne – also Hören, Schmecken, Sehen, Fühlen und Riechen – zusammenwirken und einander beeinflussen, ist eine ganz spannende Frage. Das zu erforschen ist ein Kerngebiet meiner Arbeit.
Wie sieht diese Arbeit aus?
Der Studiengang Mediendesign beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von Musik und Klang und mit verschiedenen Medien- und Kommunikationsformen. Etwa waren wir an einem Forschungsprojekt beteiligt, in dem es um Geschmack und Klang ging. Wir haben untersucht, ob sich, wenn man etwas schmeckt und gleichzeitig einen bestimmten Ton hört, der Geschmack ändert.
Und wie ist das mit Klängen und Farben?
Manche Komponisten sehen Farben bei bestimmten Harmonien.  
Der Komponist Florian Käppler. Foto: Kraufmann

Sie auch?

Ja, als Kind sah ich bei Klängen auch Farben vor mir. Das war aber irgendwann weg. Ich weiß gar nicht, ob das eine Begabung ist – oder das Gegenteil. Aber warum fragen Sie?
Weil ich mich frage, wie Otto Dix klingt.
Diese Frage stand auch für uns am Anfang. Als wir wussten, dass wir den Medienguide und den Raumklang für das Otto-Dix-Haus kreieren dürfen, habe ich mit den Studenten eine eigene Otto-Dix-Ausstellung kuratiert – ohne Bilder, nur mit Klang. Da gab es Kompositionen, die Bildinhalte ganz musikalisch erzählten, aber auch abstrakte Herangehensweisen. Ein Student hat alle Pixel, also Farbpunkte ausgewählt, und dann musikalische Skalen daraus generiert und eine faszinierende Komposition entwickelt.
Und wie klingt Otto Dix für Sie persönlich?
Ich persönlich empfinde seine Bilder als unheimlich wuchtig. Sie springen einen an, man kann sich ihnen nicht entziehen. Wenn das als Klang dargestellt werden sollte, dann müsste das einer sein, der sehr tief berührt – und vielleicht sogar erschüttert.
Ihre Aufgabe im Dix-Haus war ja nicht, Bilder in Klang zu fassen. Vielmehr erstellten Sie den Medienguide. Wie lautete Ihre Aufgabe?
Das Besondere am Museum Haus Dix ist, dass die Kunstinhalte ausschließlich durch den Medienguide vermittelt werden. Wenn man ihn nicht nutzt, erschließt sich dieses Haus einem nicht wirklich. Das ist eine mutige Konzeption – und eine mutige Entscheidung des Kunstmuseums Stuttgart. Diese zeigt aber auch den Wandel in der Museumsdidaktik. Früher setzte man vor allem Tafeln ein, heute wird zunehmend medial – in diesem Fall sogar audiovisuell – vermittelt.
Was an einem Medienguide ist denn visuell?
Dieser Medienguide ist eine technische Innovation. Über eine Kamera kann er seine Umgebung erkennen. Der Besucher sieht das Gemälde, das einst dort hing, wo er gerade steht, hochauflösend auf dem Tablet.
Der Medienguide ist also nicht nur ein Kopfhörer und ein Abspielgerät?
Nein, er ist mehr. Der Nutzer erhält zwar Informationen über die Sprache, hinzu kommt aber eine visuelle Ebene. Über die Bilder auf einem Tablet kann er ein Gefühl dafür entwickeln, wie zum Beispiel das Großstadt-Triptychon, das über dem Esstisch hing, gewirkt hat. Das Bild ist nur als Schattenriss an der Wand abgebildet. Durch den Medienguide wird es zum Leben erweckt.
Was kann ein Medienguide sonst noch, was klassische Tafeln nicht können?
Er schafft Barrierefreiheit, indem er visuelle Kunst akustisch vermittelt. Dadurch werden neue Zugänge geschaffen. Menschen nehmen verschieden wahr und lernen unterschiedlich – manche leichter über das gesprochene Wort, andere über die visuelle Wahrnehmung. Die Wahlfreiheit trägt den verschiedenen Begabungen Rechnung.
Ich weiß jetzt, was ich zu sehen bekomme – was aber bekomme ich zu hören?
Das Besondere an diesem Projekt ist, dass Otto Dix’ Sohn Jan durch sein Elternhaus führt – mit seiner Stimme. Jan Dix ging für die Aufnahme mit uns durch die Zimmer und hat erzählt, wie sein Vater im Atelier gemalt hat und wie diskutiert wurde, wohin man die Bilder hängt. Es ist ein glücklicher Zufall, dass Jan Dix wunderbar erzählen kann. Das ist etwas, was eine Schrifttafel nicht kann.
Gibt es neben den Erzählungen von Jan Dix noch weitere Informationen?
Ja, die Bilder von Dix, die im Haus hingen, werden beschrieben und analysiert. Zudem gibt es eine Vertiefungsebene, auf der die Werke kunsthistorisch eingeordnet werden.
Wie reagieren Besucher auf den Medienguide?
Bei den Besucherbefragungen stellte sich heraus, dass die Erzählungen von Jan Dix sehr gut ankommen. Weil man durch ihn die Familie ganz unmittelbar erleben kann.
Er macht sie lebendig?
Ja, der Besucher merkt, dass das tatsächlich eine Familie war, die hier lebte. Eine, die von den Nazis verfolgt wurde. Otto Dix war Professor, und hat dann seinen Lehrstuhl verloren. Die Familie ist auf der Höri sozusagen ins Exil gegangen – man hat dieses Grundstück ausgesucht, da der Bodensee an dieser Stelle so schmal ist, dass man im Notfall in die Schweiz hätte rüberschwimmen können.
Das klingt nach der Tonlage Moll . . .
Nein, es wurde Jazz gehört im Haus, und man hat zu Dixieland getanzt. Das war strengstens verboten zu der damaligen Zeit. Otto Dix’ Frau Martha war Konzertpianistin, die Klassik gespielt hat. Jan Dix hat später Jazz studiert. Die Dixens waren eine weltoffene Familie in einer restriktiven Zeit.
Floss das alles in den Raumklang des Museums  ein, den sie auch konzipierten?
Ja. Diesen zu erstellen war ein langer Prozess, es gab viele verschiedene Entwicklungsstufen. Letztendlich ist der Raumklang nun recht reduziert, er beschränkt sich auf die Musik, an die sich Jan Dix erinnert, etwa an Klavierstücke, die seine Mutter im Musikzimmer spielte oder an die Jazzstücke, die sein Vater im Wohnzimmer aufgelegt hat.
Dieser Klang kommt aus Lautsprechern?
Nein, man wollte eben nicht, dass es so klingt, als würde ein künstlicher Ton eingespielt. Die Studenten haben auf dem Bechstein-Flügel von Martha Dix gespielt, der im Haus steht. Sie haben den Klang des alten Flügels aufgenommen und lassen ihn nun über ein selbstentwickeltes Wiedergabesystem direkt aus dem Flügel erklingen. Der Resonanzboden schwingt mit, so dass man nun das Gefühl hat, dass der Flügel selbst klingt.
Auch die Musikhochschule Trossingen soll von den aktuell diskutierten Kürzungen im Musikbetrieb betroffen sein. Was sagen Sie dazu?
Diese Debatte wurde vom Landesrechnungshof angestoßen, weil gesagt wurde, das Land bilde zu viele Musiker aus – schließlich gäbe es ja immer weniger Orchester. Was in der Debatte bisher allerdings zu wenig berücksichtigt wird, ist, dass gerade im Medienbereich ständig neue und wachsende Berufsfelder entstehen. Der Studiengang Musikdesign sorgt dafür, dass künstlerische und musikalische Menschen ihre Talente entwickeln können: So zeigen sie dann zum Beispiel, wie Otto Dix klingt.
Das Kunstmuseum Stuttgart bietet regelmäßig Führungen im Museum Haus Dix am Bodensee an. Die nächste öffentliche Führung ist am 8. September. Hier bekommen Sie alle Informationen.