Matthias Brandt spielt in der Netflix-Serie „King of Stonks“, die am 6. Juli startet, einen erfolgreichen Finanzabzocker – inspiriert vom Wirecard-Skandal. Ein Gespräch über die Lust am Schauspielberuf und den Untergang des Anstands.
Matthias Brandt ist seit Kurzem in einer recht eigenwilligen Rolle zu erleben: In der schwarzhumorigen Netflix-Serie „King of Stonks“ spielt er den CEO der fiktiven Finanztech-Firma CableCash, deren Geschichte nicht von ungefähr an den Wirecard-Skandal erinnert. Was er selbst darüber und über Gier und Anstand denkt, hat Brandt im Interview offen erzählt.
Herr Brandt, oft lautet die Regieanweisung, man soll ein bisschen weniger machen. In diesem Fall war das offensichtlich nicht so. Hat es Spaß gemacht, dem Affen mal richtig Zucker zu geben?
Ja, das macht immer Spaß. Ich bin gelernter Theaterschauspieler, deshalb habe ich alle Möglichkeiten meines Genres schon ausgelotet. Aber im Zusammenhang mit Film und Fernsehen kommt das nicht so oft vor. Das ist dann natürlich ein gefundenes Fressen.
Ist das Geschehen auf den Finanzmärkten schon so absurd, dass man dem nur mit den Mitteln der Komödie gerecht werden kann?
„Nur“ sicherlich nicht, aber man muss sich für eine Variante des Zugriffs entscheiden, die einem besonders interessant oder angemessen erscheint. Das war jetzt unsere. Es gibt aber natürlich auch x Möglichkeiten, sich dem Thema auf andere Weise zu nähern. Ich finde, dass da keine Entscheidung, was jetzt grundsätzlich besser oder schlechter wäre, notwendig ist. Ich finde es immer bereichernd, wenn so ein Thema aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven angeschaut und beleuchtet wird.
Interessieren Sie sich für die Finanzwelt, oder sind Sie eher ein staunender Außenseiter?
„Staunender Außenseiter“ ist eine Untertreibung. Das ist eine Welt, mit der ich als privater Mensch dezidiert nichts zu tun haben will. Ich mache mir aber Gedanken darüber, ob ich sie mehr ignoriere, als ich das tun sollte, weil sie enormen Einfluss auf unser Leben hat. Vielleicht füge ich mich da stärker in einen Mechanismus, als ich das tun sollte. Sie ist mir aber wirklich sehr fremd. Und ich finde sie auch abstoßend.
Im Film heißt es, Gier sei der Antrieb, etwas zu erschaffen. Können Sie das so gelten lassen?
Mir ist das Empfinden der Gier relativ fremd. Ich muss mir das als Schauspieler erarbeiten. Ich weiß, dass es Menschen gibt, für die Gier ein starker Motor ist. Irgendwann in den letzten Jahren tauchte dieser Begriff neu auf – in diesem Zusammenhang, wie er hier gebraucht wird. Die Ersten, die damit angefangen haben, waren übrigens die Sportler, die Fußballer. Man könnte es auch einfach Ehrgeiz oder Ambition nennen. Das sind vielleicht altmodischere Ausdrücke für einen ähnlich gelagerten Impuls oder Vorgang. Der angesprochene Satz ist plakativ. Ich würde ihn für mich nicht so formulieren, weil er meinem Charakter widerspricht. Aber viele Menschen sehen das so. Das ist so eine Lebensoptimierungssprache, die einem entgegentritt und jetzt vielen Leuten beigebracht wird. Ich betrachte das mit großer Skepsis, und es entspricht bestimmt nicht meinem Blick auf das Leben.
Ist der Anstand – nicht nur im wirtschaftlichen Bereich, sondern überall – ein zunehmend rares Gut?
Das ist wahrscheinlich so. Ich habe den Verdacht, dass das schon immer so gesagt wurde. Schon als ich noch jung war, wurde behauptet, der Anstand sei verloren gegangen. Damals war mit dem „Anstand“ aber etwas anderes gemeint als heute. Ich kann mit dem Wort heute mehr anfangen. Damals war das für mich Spießergerede. Mittlerweile ist mir die Bedeutung von Anstand oder Integrität natürlich sehr wohl bewusst und auch, was für ein hohes Gut das eigentlich ist. Es stimmt schon, dass er nicht die Rolle spielt, die er spielen sollte, wenn man es so sieht. Dass Leute immer weniger moralische Maßstäbe haben, sondern immer nur noch auf das Bild schauen, das sie abgeben. Das sind aber zwei sehr verschiedene Dinge.
Wie sehr erleben Sie Film auch als Wirtschaftsunternehmen, das künstlerische Kompromisse erfordert?
Ich glaube, das ist immer ein Spagat. Das hängt auch davon ab, in was für einem Genre man arbeitet. Aber Filmproduktionen sind Wirtschaftsbetriebe. Sie sind auch darauf ausgerichtet, Geld zu verdienen. Das ist per se nichts Schändliches. Dass es aber Konfliktpunkte mit der künstlerischen Arbeit gibt, ist darin angelegt. Da kommt dann der Punkt des Anstands oder der Integrität wieder ins Spiel. Man muss schauen, dass man an gute Leute gerät, für die es im Zweifel auch gewährleistet bleibt, dass man einen Künstler in seiner Arbeit nicht verbiegt. Wir könnten unsere Arbeit aber auch nicht machen, wenn es diese Leute, die die wirtschaftliche Komponente verantworten, nicht gäbe. Ich will ja irgendwo auftreten. Ich brauche Leute, die Theater betreiben und die Filme produzieren. Man könnte aber offener miteinander darüber reden, was die unterschiedlichen Interessen oder Ziele sind. Vielleicht wäre das für beide Seiten gewinnbringend.
Die Serie thematisiert auch die Verflechtung von Wirtschaft und Politik. Wo würden Sie hier Grenzen ziehen?
In der Form von Kapitalismus, in der wir im Moment leben, hat das Gewinnstreben diesen Raum und Stellenwert, den Sie ansprechen. Wenn man das ändern wollte, liefe das fast schon auf eine Änderung der Gesellschaftsform hinaus. Das wäre dann wiederum eine Entscheidung, die über eine wirtschaftliche hinausgeht.
Heute sehnen sich viele nach Politikern aus der Generation Ihres Vaters zurück. Ist das ein guter Gedanke?
Ich glaube, dass das nicht zu beantworten ist, weil man nicht weiß, wie jemand aus dieser Generation in der heutigen Zeit agieren würde. Das ist eine total hypothetische Überlegung. Es gibt wohl eine Sehnsucht nach einer Welt, die einfacher strukturiert war.
Im Film fällt der Satz: „Es gab mal einen kleinen Jungen, an den niemand geglaubt hat, nicht mal sein Vater.“ Hat man an Sie geglaubt?
Ja, ich habe sehr viel Zuneigung bekommen. An mich ist geglaubt worden.
Über den Schauspieler und die Serie
Person
Matthias Brandt (60) ist ein Sohn des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt. Er gehört zu den profiliertesten deutschen Schauspielern und ist etwa durch Polizeiruf 110, in dem er von 2011 bis 2018 den Münchner Kommissar Hanns von Meuffels spielte, bekannt. Brandt ist auch als Sprecher und Autor tätig.
Netflix
Die erste Staffel von „King of Stonks“ ist vom 6. Juli an verfügbar.