Offengelegte Hirnwindungen und einen Mund, der alles aufzusaugen scheint: Beate Wagner bei der Arbeit am Gedankenleser. Foto: Michele Danze

Als Beate Wagner noch nicht mal in die Schule ging, war Maskenbildnerin bereits ihr Traumberuf. Nun steht sie vor der Abschlussprüfung ihrer Ausbildung an der Stuttgarter Oper – und tritt auch beim Wettbewerb um die Deutsche Meisterschaft für den Nachwuchs an.

Stuttgart - Die Welt hinter der Bühne ist im Stuttgarter Opernhaus wie in den meisten Theatern ein verwirrendes Labyrinth. Schmale Gänge, kleine Kabuffs, wenig Platz und schon gar nichts Glamouröses, denn Magie und Zauber des Theaters entfalten sich erst im Scheinwerferlicht auf der Bühne. Beim allabendlichen Wunder der Verwandlung von Herrn X. in den Verführer Don Giovanni oder Frau Y. in eine Aida oder Carmen haben die Maskenbildner einen entscheidenden Anteil.

Lauter Gipsköpfe schauen uns an, als wir mit Beate Wagner dort gelandet sind, wo die Vorarbeiten für diese Verwandlungen geleistet werden. „Da hinten ist der Gipsraum“, deutet sie auf den mit einer Glastüre abgeschlossenen Raum, wo manchmal mit Atemschutzmasken gearbeitet wird, um sich vor Schleifstaub und Dämpfen zu schützen. Eine Treppe führt auf eine Galerie: „Da lagert das Theaterblut.“ In der Oper wird ja viel gemeuchelt und gestorben. Und die Gipsköpfe? „Das sind die Gipsabdrücke von Sängern und Choristen, auf denen Masken modelliert und kaschiert sowie Gesichtsteile angepasst werden können.“ Namentlich gekennzeichnet natürlich wie jener von André Morsch, der den Papageno, den Leporello und auch den Harlekin in „Ariadne auf Naxos“ singt. Und schon sind wir mittendrin in der Welt des schönen Scheins.

Aber die 23-Jährige, derzeit blond und mit kurzen Haaren („das ändert sich häufig“), hat im Moment nur Augen für einen anderen Kopf: Den „Gedankenleser“, mit dem sie auf der Make-up-artist-design-Show, der Fachmesse für Maskenbildner und Visagisten, am 17. März in Düsseldorf gegen sieben Konkurrenten antreten und die Deutsche Meisterschaft für Maskenbildner in Ausbildung erringen will. Dafür muss sie in 90 Minuten eine effektvolle Comicfigur erstellen.

Figur ohne jede Vorlage kreiert

Noch harrt der überlebensgroße Kopf seiner endgültigen Ausformung, doch so viel sieht man schon: Er könnte einem Fantasy-Film entsprungen sein. Das Gehirn in eindrucksvollen Windungen freigelegt, die Stirn zerfurcht von markanten Denkerfalten, die Augen dunkel verschattet, der Mund wie ein runder Ansaugstutzen: „Richtig“, sagt die Schöpferin dieses Kerls, „er saugt die Gedanken der Menschen in sich auf.“ Sie habe diese Figur ohne jede Vorlage kreiert und sich mit der Zeichnung der Figurine um die Teilnahme an der Meisterschaft beworben. Die Jury war überzeugt und lud sie ein.

Damit hat die Arbeit erst angefangen: Da Carsten, ein Freund, für die Rolle des Gedankenlesers am Tag der Entscheidung in Düsseldorf seinen Kopf hinhalten wird, musste erst mal von ihm ein Abdruck mit Alginat genommen werden. Im zweiten Arbeitsschritt wurde die Gipsbüste als Positivform gefertigt und auf ihr mit Plastilin der ballonartige Kopf mit dem sichtbaren Gehirn, Stirn und Mund modelliert. Davon gibt es dann wieder einen Gipsabdruck, der als Negativform mit Latex ausgeschwenkt wird. Diesen Latexkopfputz muss Beate Wagner in 90 Minuten nicht nur kleben und einschminken, sondern mit Gesichtsteilen komplettieren – mit einem Stirnteil aus Gelatine und einem Mundstück, das im Sandwichverfahren aus drei Schichten Silikon und Flüssighaut hergestellt wird. Eine internationale Fachjury werde die Arbeit bewerten, die fachliche Leitung hat Bernd Uwe Staatz, der Chefmaskenbildner der Deutschen Oper am Rhein, übernommen.

„Schuld war die Großmutter“

Beate Wagner ist eine von vier Auszubildenden in der Maskenbildnerei an der Stuttgarter Oper mit etwa 30 Damen und Herren. Chef ist seit langem Jörg Müller. Beate Wagner bekommt vorwiegend die Damen und Herren des Chors und die Tänzer unter ihre Finger: „Vor allem bei den Damen vom Chor muss es beim Wechsel von Kostüm und Maske zwischen den Akten oft ganz schnell gehen“, erzählt sie. Die Haare der Tänzerinnen frisiert sie zu „Bananen“ oder strengen Knoten, auch mit einem Pfuschteil aus Haarkrepp aufgefüttert, wenn es sein muss. Vor allem aber mit vielen Haarnadeln, damit bei Sprüngen und Pirouetten weder Haare noch Hüte oder Kopfputz ins Rutschen kommen.

Wie ist sie schon als kleines Mädchen auf die Idee dieses Berufs gekommen? „Schuld war die Großmutter“, lacht sie. Die war Friseurin und zeigte der kleinen Enkelin die geknüpften Haarteile, die sie selbst hergestellt hatte. Das würden heute, so die Großmutter, nur noch Maskenbildner können. Da stand für das Mädchen fest: „Das will ich auch werden.“ Dafür absolvierte sie auch eine Friseur-Ausbildung, legte die Meisterprüfung ab und wollte an der Hochschule der Bildenden Künste in Dresden Maskenbildnerei studieren. Doch auf der Suche nach dem dafür nötigen Praktikum landete die junge Dame aus Kevelaer in Stuttgart: Zuerst beim Musical, dann in der Oper, wo man ihr die Ausbildung angeboten hat.

Für die Abschlussprüfung im Juni muss sie eine Herrenperücke herstellen und schneiden, Eigenhaar nach historischer Vorlage frisieren und eine Charaktermaske herstellen: „Einen Gobelin mit Wunde und Narbe“, verrät sie schon jetzt. Außerdem will sie noch mal mit dem Gedankenleser punkten. Da sie an der Stuttgarter Oper nicht übernommen wird, weil hier derzeit keine Stelle frei ist, will sie sich danach bei Film, Fern-sehen und Musical bewerben – und natürlich wieder an Theatern, wo sie am liebsten arbeiten würde.