Damit die Räder ineinandergreifen: Ingenieure im Maschinenbau sind gefragt. Foto: dpa

Zulasten von Un- und Angelernten wird ingenieurwissenschaftliches Denken immer wichtiger.

Stuttgart - SEW-Eurodrive sorgt für Bewegung: Elektromotoren des Unternehmens treiben Förderbänder, Getränkeabfüllanlagen, Dächer von Sportstadien, Montagelinien und Rolltreppen an. Weltweit beschäftigt der Spezialist für Antriebsautomatisierung rund 14 000 Mitarbeiter, davon etwa 550 in Forschung und Entwicklung. Dr. Torsten Koker ist einer davon. „Ich habe mich für SEW Eurodrive als Arbeitgeber entschieden, weil mich das Zusammenspiel von Mechanik und Elektrotechnik fasziniert und mir der Aufbau einer Arbeitsgruppe für Vorausentwicklung und Forschung angeboten wurde.” Koker, 34 Jahre alt, hat an der Universität Karlsruhe Maschinenbau studiert, anschließend am dortigen Forschungszentrum promoviert. Dass er daraufhin freie Arbeitsplatzwahl hatte, ist fast schon eine logische Konsequenz bei dem allseits beklagten Ingenieurmangel. Seit 2008 arbeitet er in der SEW-Eurodrive-Zentrale in Bruchsal.

Die Nachfrage nach Ingenieuren hat wieder Vorkrisenniveau erreicht. Die Berufsgruppe ist die gefragteste am Arbeitsmarkt, hat der Personaldienstleister Adecco in seinem Stellenindex herausgefunden. Rund 75 000 Stellenanzeigen hat das Unternehmen im Zeitraum März 2010 bis Februar 2011 ausgewertet, und siehe da: mit rund 13 500 Offerten liegen Ingenieure unangefochten an erster Stelle. Werden diese Angebote weiter unterteilt, so zeigt sich, dass vor allem Ingenieure des Maschinenbaus gefragt sind und die Nachfrage überwiegend aus der Industrie kommt.

Seite 2: Ingenieure sollten auch Fremdsprachen können

Wie gut, dass der Maschinenbau zu den beliebtesten Studiengängen in Deutschland zählt. In der Liste der Top Ten des Hochschulrankings 2010 vom Centrum für Hochschulentwicklung liegt der Maschinenbau bei den Männern auf Platz zwei. Bei den Frauen ist es die Germanistik. Beim ersten Platz herrscht mit der Betriebswirtschaftslehre Einigkeit unter den Geschlechtern.

SEW Eurodrive stellt 2011 auch Betriebswirte ein, vor allem aber ist das Unternehmen an Ingenieuren interessiert. „800 haben wir schon, 100 weitere hätten wir gerne”, sagt Harald Sälzler, Leiter des operativen Personalmanagements. Die gesuchten Fachrichtungen sind Elektrotechnik, Maschinenbau und Mechatronik. Das ist ganz typisch für Firmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau. „Um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, haben wir beispielsweise in die Neugestaltung unserer Karriere-Website investiert und ein Führungskräfte-Nachwuchsprogramm eingeführt.” Technologische Trends, die sich auf den Job der Ingenieure auswirken, sind höhere Energieeffizienz der Antriebe sowie neue Geschäftsfelder, etwa mobile Antriebssysteme. Energie ist eines der zentralen Themen im Maschinen- und Anlagenbau, das für Wachstum sorgen soll.

Im vergangenen Jahr stieg der Branchenumsatz um acht Prozent auf 174 Milliarden Euro, meldet der VDMA, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Hinter der durchschnittlichen Entwicklung der Maschinenbauindustrie verbirgt sich auf der Fachzweigebene allerdings eine breite Streuung. „So sind die Umsätze in einigen Zweigen wie beispielsweise Bau- und Baustoffmaschinen oder Druck und Papiertechnik weit entfernt von den Ergebnissen der Jahre 2006 bis 2008”, sagt VDMA-Präsident Thomas Lindner. Andere wie Hütten- und Walzwerkeinrichtungen, Power Systems, elektrische Automation oder Bergbaumaschinen hätten ihre Topergebnisse teils deutlich übertroffen. Die Exportquote von fast 75 Prozent zeigt, wie sehr international die Branche ist. Lindner sagt deshalb: „Neben Englisch sollten Ingenieure eine weitere bedeutende Fremdsprache beherrschen.”

Für das laufende Jahr prognostiziert der Verband ein Umsatzwachstum von zehn Prozent und einen Stellenaufbau um 20 000 Jobs. Bei einer Ingenieurquote in den Unternehmen von rund 16 Prozent bedeutet dies gut 3000 neue Ingenieurstellen in den Firmen. „Seit Jahren beobachten wir einen Trend zur Höherqualifizierung”, sagt Dr. Susanne Krebs aus der Abteilung Volkswirtschaft und Statistik des VDMA. Die Akademisierung gehe zulasten der Un- und Angelernten. „Ein Grund für diese Entwicklung sind die immer anspruchsvolleren und komplexeren Produkte.” Dafür ist ingenieurwissenschaftliches Denken notwendig.

Seite 3: Schon die Kleinsten für Technik begeistern

Krebs ist zuständig für die Ingenieurerhebung 2010 des VDMA. Diese zeigt, dass die Branche rund 168 000 Ingenieure beschäftigt, allen voran Maschinenbauer (48 Prozent), gefolgt von Elektrotechnikern (20 Prozent), Verfahrenstechnikern (8 Prozent) und Wirtschaftsingenieuren (7 Prozent).

„Die Gruppe von Ingenieuren der Elektrotechnik hat in den vergangenen Jahren an Gewicht gewonnen, weil heutzutage viel mehr Elektronik in den Maschinen verbaut wird.” Wirtschaftsingenieure hätten leicht zugelegt, weil die Verbindung von ingenieurwissenschaftlichem und kaufmännischem Denken im Management von Maschinenbau-Unternehmen gefragt sei. „Schließlich beobachten wir seit kurzem einen Anstieg von Ingenieuren anderer Studienfachrichtungen wie Mechatronik oder Ingenieur-Absolventen mit ausländischen Hochschulabschlüssen.” Die Maschinenbauer würden auch in den kommenden Jahren die stärkste Gruppe unter den Ingenieuren im Maschinenbau bleiben, mutmaßt Krebs.

Was den Ingenieurbedarf insgesamt für die Zukunft betrifft, ist sie optimistisch für die Firmen. „Für die nächsten Jahre können wir glücklicherweise mit einer Zunahme der Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Kernfächer rechnen.” Während 2010 rund 30 000 Ingenieure ihr Studium abschlossen, sollen es 2013 etwa 5000 mehr sein. „Wirklich kritisch wird es gegen Ende des Jahrzehnts durch den steigenden Ersatzbedarf und einen gleichzeitigen Rückgang der Schulabgänger.” Um das Niveau halten zu können, etwa der Ingenieurquote, müssten von den Schulabgängern mehr Studienanfänger in den Ingenieurwissenschaften rekrutiert werden, um den Bedarf zu decken. VDMA-Präsident Lindner sieht einen Lösungsansatz darin, indem schon die Kleinsten im Kindergarten für Technik begeistert werden. Das ist auch notwendig, denn die Gruppe der Ingenieure, die demnächst ihren 50. Geburtstag feiert, steigt seit Jahren an und liegt aktuell bei 30 Prozent.

Nach der Erhebung arbeitet fast die Hälfte aller Ingenieure in der Branche in Forschung, Entwicklung und Konstruktion. Insofern ist Koker von SEW Eurodrive ein typischer Vertreter seiner Zunft. Was sein Bildungsniveau betrifft, ist er ein Exot. Nur zwei von 100 Ingenieuren des Maschinenbaus haben promoviert. Bei ihm mag es mit ein Grund gewesen sein, dass er bereits nach zwei Jahren Berufspraxis Leiter von Forschungs- und Grundlagenprojekten war. „Derzeit geht es um die Entwicklung eines neuartigen Antriebssystems und der Zusammenführung von Ideen aus verschiedenen Bereichen zu einem gemeinsamen Konzept, der Konstruktion und dem Aufbau und Test des Prototyps. Es ist ein geheimes Projekt, deshalb kann ich keine detaillierten Angaben machen.” An ganz neuen Themen zu arbeiten, das macht für ihn seine Arbeit spannend und interessant.