520 Tage Isolation, ohne Fenster und ohne Sonne: Sechs Männer simulieren einen Mars-Flug.
Stuttgart - 520 Tage Isolation, ohne Fenster und ohne Sonne: Klingt nach einer verschärften Version des Dschungelcamps. Sechs Männer haben im Juni 2010 diese Strapaze auf sich genommen, sie simulieren einen Mars-Flug. Jetzt ist das Sextett am Ziel angekommen - ganz ohne die Erde zu verlassen.
Moskau - Vor acht Monaten schloss sich die stählerne Luke des 180 Quadratmeter großen Raumschiff-Nachbaus auf dem Gelände des Instituts für biomedizinische Probleme (IBMP) in Moskau. Jetzt, nach 250 Tagen virtuellem Flug, hat die Mars-500-Expedition ihren Bestimmungsort erreicht. Am Donnerstag schwenkte die Crew in eine Umlaufbahn um den Planeten ein, Samstag nächster Woche steht die Landung bevor.
Dann teilt sich die Besatzung auf. Drei der sechs Teilnehmer wollen den Himmelskörper betreten. Dazu wurde eigens eine Fähre und eine Mars-Landschaft nachgebaut. Drei Ausstiege sind während des 30 Tage langen Aufenthalts geplant, dazu müssen sich die virtuellen Raumfahrer in Schutzanzüge zwängen. Danach muss die Crew weitere 240 Tage im Container ausharren, ehe sie wieder zu Hause ist.
So realistisch wie möglich
Denn alles soll so realistisch wie möglich wirken. Die Besatzung - Diego Urbina aus Italien, Romain Charles aus Frankreich sowie drei Russen und ein Chinese - muss sich mit üblicher Astronautenarbeit rumschlagen. Nahezu jede Minute ist verplant. Fünf Tage pro Woche darf jeder ran, es gilt, eine 24-Stunden-Bereitschaft sicherzustellen. Zudem hat die Crew das gesamte Essen für Hin- und Rückflug an Bord genommen. Nachschub gibt es nicht. Seit Juni 2010 haben die Raumfahrer mehrere Notfälle überstanden. Zur Sicherheit wird alles per Videokamera überwacht.
Sogar die Kommunikation nach draußen unterliegt strengen Regeln. Wollen die Männer um Diego Urbina mit ihren Freunden und Verwandten sprechen, müssen sie viel Geduld beweisen. Die Funksignale gehen erst mit 20-minütiger Verzögerung in der Station ein - wie bei einem richtigen Flug.
Die europäische Raumfahrtbehörde Esa sieht die Studie als Schritt, um die Machbarkeit einer Mars-Mission zu belegen. Zusammen mit dem IBMP wird untersucht, wie der monotone Alltag, das Zusammenleben auf engstem Raum, die Isolation und der Leistungsdruck Stress oder Spannungen bei einer Expedition zum Roten Planeten auslösen können. Wie in einem richtigen Raumschiff kann man nicht kurz vor die Tür gehen, wenn es kracht.
Belastung durch Isolation
"Die Männer haben die Belastungen der Isolation bisher gut verkraftet", sagte Hanns-Christian Gunga unserer Zeitung. Der Weltraummediziner aus Berlin und sein Team sind an dem Projekt beteiligt, sie wollen erfahren, was in solchen Extremsituationen im Menschen vor sich geht. Dazu wird die sogenannte Körperkern-Temperatur gemessen. Sie lässt Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand zu. Der Wert schwankt beim Menschen im Laufe von 24 Stunden um etwa 0,5 Grad. Registrieren die Forscher bei den Probanden relevante Abweichungen, müsste man dem bei künftigen Langzeitmissionen entgegenwirken, sagt Gunga. Etwa durch gezielte Licht-Therapie.
Dass an Bord von Mars 500 keine Frauen sind, wird mit "psychologischen Barrieren" begründet, die einer Teilnahme weiblicher Crew-Mitglieder im Weg gestanden hätten. Das sagte der russische Projektleiter Boris Morukow. Es habe weibliche Bewerber gegeben. "Aber bei ihnen gibt es bestimmte Hürden", sagte Morukow. Sie könnten schwer jene Umgebung verlassen, "in der sie sich befinden und an die sie gewöhnt sind".
Ob das Experiment tatsächlich eine gute Vorbereitung für eine Expedition ist, gilt als umstritten. Im Moskauer IBMP herrscht keine Schwerelosigkeit wie im All, auch die gefährliche Weltraumstrahlung lässt sich nicht nachahmen. Und Urbina und seine Kollegen können jederzeit die Notbremse ziehen, die Luke öffnen - und raus aus der verflixten Isolation. Unter realen Bedingungen ginge das nicht. Ist die Rakete einmal auf dem Weg, gibt es kein Zurück - für mindestens 500 Tage.