Markus Babbel über die neue Demut von Hertha BSC und seine Zeit beim VfB Stuttgart.

Stuttgart - Gerne schaut Markus Babbel über das Geschehen auf dem grünen Rasen hinaus. "Gegen die Randalierer muss in den Fanblöcken ein Selbstreinigungs-prozess einsetzen", sagt der Trainer vor dem Spiel von Hertha BSC gegen seinen ehemaligen Verein VfB Stuttgart am Freitag (20.30 Uhr/Sky und Liga total live).

Herr Babbel, Sie haben sich Wappen und Schriftzüge aller Ihrer bisherigen Vereine auf den Oberarm stechen lassen. Woher kommt die Leidenschaft für Tattoos?
Das kommt schon von Kindesbeinen an. Ich fand diese Körperkultur schon immer anziehend. Ich hatte lange Zeit nur zu viel Schiss davor, es bei mir machen zu lassen - es hätte ja unseriös wirken können. Nach meiner schweren Krankheit (Babbel litt 2001 am Guillain-Barré-Syndrom, einer schweren Nervenkrankheit, und saß im Rollstuhl, d.Red.) hat es dann aber klick gemacht. Ich habe mir gesagt, dass ich damit keinem weh tue und ich mich nicht dafür rechtfertigen muss. Ich fühle mich wohl damit, es gefällt mir - also mache ich es.

Im Sommer kam der Schriftzug "Hertha BSC" dazu. Wie viel Identifikation steckt dahinter?
Sehr viel - aber nach einem Jahr hier bin ich mit Sicherheit noch nicht der Herthaner des Jahres. Hier arbeiten Menschen im Club, die schon seit Jahrzehnten da sind. Da würde ich mir nicht anmaßen zu sagen: 'Ich bin ein Berliner'. Die Tattoos sind nur Ausdruck dessen, dass ich mich bei all den Clubs, bei denen ich bisher war, sehr wohl gefühlt habe. Das sind alles Topvereine.

Das soll auch Hertha BSC bald wieder sein. Sie betonen oft, dass das vergangene Jahr in der zweiten Liga auf dem Weg dahin sehr hilfreich gewesen sei. Warum eigentlich?
Hertha BSC hat gelernt, demütig zu werden. Der Berliner an sich neigt ja tendenziell gerne mal zum Größenwahn. Er ist laut, redet viel, will viel - aber getan wird oft erstmal wenig. Das hat sich in der Vergangenheit manchmal auch so durch den Club gezogen. Wenn du dann plötzlich in Paderborn oder Oberhausen spielst, wirst du automatisch wieder ein bisschen bescheidener. Du weißt, dass du für den Erfolg erstmal hart arbeiten musst.

Und das soll so bleiben?
Ja. Für uns zählt in diesem Jahr nur der Klassenverbleib.

Für die schillernde Berliner Medienlandschaft ist der Anspruch wahrscheinlich zu niedrig.
Stimmt. Aber wir gehen einen Schritt nach dem anderen. Wir brauchen Geduld - und meine Mitstreiter im sportlichen Zirkel und ich leben diese Bescheidenheit vor. Das ist eine große Herausforderung bei diesem schwierigen Umfeld. Das ist ein Haifischbecken, aber das macht die Aufgabe ja auch so reizvoll. Nach meiner Zeit in Berlin wird mich wahrscheinlich nichts mehr schocken.

"Beim VfB war alles ein bisschen ruhiger"

Wenn Sie in Berlin den Anti-Berliner geben - sehnen Sie sich da manchmal zurück ins beschaulichere Stuttgart?
Beim VfB war alles ein bisschen ruhiger. Die Medien haben fast immer seriös berichtet, das war sehr angenehm. Überhaupt gibt es einen großen Unterschied zwischen den Baden-Württembergern und den Berlinern. Im Ländle ist alles seriöser - es wird erst einmal gearbeitet, bevor man viel redet. Das weiß ich zu schätzen.

Wie ordnen Sie den VfB sportlich ein?
Die Stuttgarter haben eine Top-Mannschaft, die eine tolle Rückrunde gespielt hat. Auch jetzt sind sie in Topform - daran ändert auch die 0:1-Niederlage gegen Bayer Leverkusen nichts. Da haben zwei ganz starke Mannschaften auf Augenhöhe gespielt. Generell merkt man, dass die Spieler Vertrauen in Trainer Bruno Labbadia haben. Und sie haben jetzt offenbar alle begriffen, dass Fußball ein Mannschaftssport ist.

War das gegen Ende Ihrer Zeit beim VfB, in der Hinrunde 2009/2010, anders?
Ja. Als wir damals in die Krise geschlittert sind, haben einige Spieler einzeln für sich gehadert und ihr eigenes Süppchen gekocht. Mein Fehler war, dass ich die paar Stinkstiefel, die es gab, nicht rasiert habe. Ich habe mit den Vereinsverantwortlichen darüber gesprochen - aber da habe ich mich nochmals umstimmen lassen und bin den Weg mit ihnen weitergegangen. Mein Bauchgefühl hat mir schon damals gesagt, dass das falsch ist. Am Ende war es dann auch so.

Wer waren die Stinkstiefel?
Namen werde ich öffentlich nicht nennen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass ich in dem halben Jahr, als es nicht mehr lief beim VfB, bisher am meisten gelernt habe für mein Trainerleben. Wenn ein Spieler nicht mehr mitzieht und sich über das Team stellt, bekommt er es jetzt sofort mit mir zu tun. Da bin ich rigoros, mit allen Konsequenzen.

Das heißt?
Die Spieler haben eine klare Ansage: Bis dahin und nicht weiter. Wenn sie sich nicht an die Regeln halten, haben sie keine Zukunft.

"Ich war zu müde, um den Egoismen entgegenzusteuern"

Beim VfB kam noch erschwerend hinzu, dass Sie den Trainerlehrgang in Köln absolvieren mussten und oft nicht in Stuttgart waren.
Ja. Da fehlt einem das Gespür für Kleinigkeiten innerhalb des Teams. Und oft war ich auch einfach zu müde, um den Egoismen im Kader konsequent entgegenzusteuern.

Nach Ihrer Entlassung im Dezember 2009 haben Sie sich darüber beschwert, dass sich nach dem Freitod Robert Enkes entgegen aller Beteuerungen nichts geändert hat im Profifußball. Wie denken Sie heute darüber?
Ich war damals so wütend, weil unser Mannschaftsbus vor meinem letzten Spiel für den VfB (1:1 gegen Bochum, d. Red.) von einigen Idioten angegriffen wurde. Die haben den Spielern Angst eingejagt. Vor dem Spiel, das muss man sich mal vorstellen. Ich bin überzeugt davon, dass wir gegen Bochum gewonnen hätten, wäre das nicht passiert. Da hast du mit deinen Jungs einen Masterplan im Kopf, und dann kommt so was. Fußball ist Fair Play, Fußball ist Gewinnen und Verlieren - aber Fußball ist nicht Gewalt.

Ein paar Idioten missachten die Grundsätze.
Das macht mich traurig. Der eigene Verein muss doch immer im Mittelpunkt stehen - da kann ich doch nicht schon vor dem Spiel die eigenen Spieler attackieren. Es kann nicht sein, dass Leute sich wichtiger nehmen als den Club. Das geht bei den Spielern nicht - und bei den Fans auch nicht.

Was kann man gegen die Gewalt tun?
Da muss auch mal ein Selbstreinigungsprozess eintreten. Wenn ein pubertierender Bengel meint, er müsse das Randalieren anfangen, müssen ihn die Älteren im Block auch mal in die Schranken weisen. Die 99,9 Prozent der friedlichen Fans müssen den paar Idioten die Rote Karte zeigen.

Kommen wir zum Abschluss zu einem angenehmeren Thema. Kaiser Franz Beckenbauer hat gesprochen und Sie schon mal als künftigen Trainer des FC Bayern ins Gespräch gebracht. Ist das Ihr großer Traum?
Ich war 16 Jahre lang beim FC Bayern Spieler. Es ist mein Verein. Ich spüre eine extreme Verbundenheit. Ich weiß aber, dass ich noch einiges leisten muss, bis ich mal da hinkomme. Momentan habe ich nur Hertha BSC im Kopf. Es ist eine tolle Aufgabe, die ich da habe. Wir haben viel zu tun - da brauche ich jetzt nicht das Träumen anzufangen.