Mit Joana Mallwitz, Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin, nahm am Samstag eine Dirigentin von Weltrang den Markgräfler Gutedelpreis entgegen.
Ein ehemaliger Verfassungsgerichtspräsident und ein späterer Präsident der europäischen Kommission, eine streitbare Sozialdemokratin und ein Kardinal haben ihn neben vielen anderen schon entgegengenommen: den Markgräfler Gutedelpreis, bestehend aus einen 225-Liter-Fass Wein aus dem Keller des Winzers Hermann Dörflinger aus Müllheim.
Am Samstag wurde er mit Joana Mallwitz einer jungen Dirigentin verliehen, die mit ihrer Ausstrahlung und ihren intensiven Vermittlungsstrategien neue Maßstäbe in der klassischen Konzertwelt setzt. Seit 2023 lenkt sie die Geschicke des bedeutenden Berliner Konzerthausorchesters.
Zwei intensive, herrliche Stunden lang kommen ihr die rund 500 Mitglieder der Gutedelgesellschaft und Gäste im Stadthaus in Neuenburg ganz nah.
Im Gespräch mit Laudator Christoph Wirtz gewährt Mallwitz Blicke in ihr Innerstes. Sie betont ein ums andere Mal, was ihr an der Musik am wichtigsten ist: das gemeinsame Hörerlebnis im Konzert, ein wertvoller Schatz, der die Gesellschaft zusammenschweißen könne, und den man nicht so einfach zur Disposition stellen sollte.
Davon zeugt auch die flammende Rede, die Mallwitz im Oktober 2024 als Reaktion auf massive Kürzungen im Berliner Kulturetat gehalten hat, und die die Schauspielerin Dorothea Gädeke in Neuenburg kongenial vorträgt.
Ob ein Werk in einem Konzertsaal jemals so gut klingen könne wie in ihrem Kopf, etwa Schuberts „Unvollendete“, als sie deren Partitur als 14-Jährige erstmals – elektrisiert – in den Händen gehalten habe, fragt Wirtz. Damals war ihre Entscheidung gefallen, Dirigentin zu werden.
Am liebsten hört sie die Musik in ihrem Kopf
Nein, gibt sie zur Antwort, am liebsten lese sie die Partitur. „Wenn ich wirklich erklingen lassen könnte, was in meinem Kopf passiert, dann würde ich wahrscheinlich wegfliegen.“
Es gebe Werke von solcher Schönheit und gleichsam innerer Notwendigkeit, die könnten nicht einfach „komponiert“ worden sein im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Wortes, führt sie aus.
Ihnen wohne vielmehr eine innere Notwendigkeit inne – so, als hätte jemand ein Stück des Universums freigekratzt.
Als Christoph Wirtz sie schließlich bittet, etwas am Klavier zu spielen, lässt sie sich nach kurzem Nachdenken darauf ein. Sie spielt das Adagio aus Beethovens Klaviersonate Nummer 8 „Pathétique“ – einer von vielen Höhepunkten dieses Abends.
Klassik-Zitate als Jazz-Improvisation
Alles andere als still ist es an diesem Preisverleihungs-Abend, der mit einer Vielzahl von Künstlern aufwartet. Dem Freiburger Klavierprofessor Helmut Lörscher übernimmt es, Zitate aus Schuberts „Unvollendeter“ und anderen Meisterwerken in einer Jazz-Improvisation zum raffinierten Hör-Suchspiel für Spezialisten werden zu lassen. Das Freiburger Ensemble Recherche – in den Ecken des Raums verteilt und mit Dirigentin Friederike Scheunchen auf der Bühne, gibt Einblick in zeitgenössisches musikalisches Schaffen. Und Sophia Barr, Tänzerin, zeigt, dass Musik auch auf einer sehr körperlichen Ebene wirksam sein kann.
Dankbar und „fassungslos“ über diesen Abend
Andreas Winnen, Dirigent, und Susanne Alberts am Klavier betrachten schließlich ihr Tun aus humoristischer Perspektive – ein kleiner Hinweis auf die Markgräfler Gutedelgesellschaft als Veranstalterin von Kabarett-Abenden. Passend zum Wein kredenzt Martin Fauster von der Freiburger „Wolfshöhle“ ein hauchdünn geschnittenes Rindfleisch.
„Dankbar und fassungslos“ zeigt sich Mallwitz in ihrer Dankesrede. Sie benennt Handwerk und Technik – „ganz einfach die Kunst“ – als typisch für die Musik wie auch den Wein.
Kreativer Eigensinn am Werk
Kreativen Eigensinn, für den der Markgräfler Gutedelpreis ja eigentlich steht, sehe sie auch bei bei der Gestaltung dieses Abends am Werk, sagt sie anerkennend in Richtung der Winzerfamilie Dörflinger, des Laudators Wirtz und aller beteiligten Künstler. Und sie verspricht: „Ich sehe diesen Preis als Auftrag, mit Eigensinn weiter zu machen.“