Wie die Justizministerin beim Wandern ein Gesetz erfindet – und dieses drei Jahre später beschlossen und verkündet wird.
Vielleicht hätte es dieses Gesetz nie so gegeben, wenn es im August 2021 in Österreich geregnet hätte. Aber es war Kaiserwetter. Vielleicht hätte es dieses Gesetz nie gegeben, wenn Familie Gentges in toto die Wanderung unternommen hätte. Doch Mann und Tochter zogen es vor, an diesem Tag zu relaxen. „Wahrscheinlich am Hotelpool“, sagt Marion Gentges. Die Erinnerungen der Justizministerin an diesen Tag sind ihr sehr präsent.
Der Titel ist etwas sperrig
Zugegeben, die Sprachoptimierer der Ampel-Koalition in Berlin hätten am Ende vielleicht einen schöneren Namen für das Gesetz gefunden – „Spare die Fahrkosten-Gesetz“ etwa. Tatsächlich heißt das im Juli in Kraft getretene Regelwerk aber „Gesetz zur Förderung von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“.
Die Augen von Marion Gentges strahlen. Das Gesetz ist nämlich ihr Baby. Von der Zeugung bis zur Geburt war die Justizministerin aus dem Südwesten dabei.
Erster Akt, der Wanderurlaub in Österreich, damals, im Sommer des Jahres 2021. Die Kohlmaisbahn in Saalbach bringt Wanderer vom Tal aus auf 1794 Meter Höhe und wieder hinunter. Marion Gentges wünschte hinunter zu wandern, anders als die Familie. Gute Luft, freier Kopf und Gedanken, die sich hinein in die Gerichtssäle bewegten. Da gab es zwar schon seit längerem die Möglichkeit, Beteiligte an Verfahren per Video zuzuschalten. Aber die Regeln hatten mit dem technischen Fortschritt nicht mitgehalten. Reformbedarf war vorhanden.
Erinnerungen an die Zeit als Anwältin
Das Salzburger Land in den Österreichischen Alpen ist der Geburtsort der Gedanken, die rund drei Jahre später in Berlin von Bundestag und Bundesrat für gut befunden wurden. Bis dahin war es ein Weg mit vielen Windungen, fast schon wie der Abstieg vom Kohlmais. Linke Kurve, rechte Kurve. Vor ihrem Leben als Justizministerin war Marion Gentges als Anwältin tätig. Anwälte kennen ihre Kundschaft, war einer ihrer Gedanken, die das Gesetz stützen sollten. Das Gericht darf zwar anordnen, ob persönlich, hybrid, oder visuell verhandelt wird, aber die Anwälte haben ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Da in den Österreichischen Alpen der Handyempfang offenbar besser ist als in manchen Schwarzwaldtälern, gab es die erste Abstimmung mit den Fachleuten im Ministerium noch beim Wandern.
Föderalismus ist kompliziert
Wer Informationen sucht über das „Gesetz zur Förderung von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“, der findet den Hinweis, dass es sich um ein Werk aus dem Hause Buschmann handelt, dem Bundesminister der Justiz. Das ist keine totale Fake News, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Marion Gentges brachte ihre Idee bei der Justizministerkonferenz ein, die Kollegen waren angetan und beauftragten den Berliner Amtsinhaber tätig zu werden.
Föderalismus hat manchmal komplizierte Strukturen. Und weil sich in diesen Strukturen auch Nicht-Fachleute zu Wort melden dürfen, hat der Bundestag in den Entwurf ein paar Regeln hineingeschrieben, die in der Fachwelt für helles Entsetzen gesorgt haben. Der Richter zu Hause auf dem Sofa, die Verhandlung live gestreamt, zum Beispiel. Der Vermittlungsausschuss hat das wieder herausredigiert, Gentges hat dabei für die Länder gesprochen. „Das war schon was besonderes“, sagt sie heute, „ich war halt von Anfang an dabei“. Mit dem Gesetz allein ist es nicht getan. Die 450 plattformtechnischen Videokonferenzanlagen, die es in der Landesjustiz schon gibt, sollen nun nahezu verdoppelt werden.
Der Sofarichter fliegt wieder raus
In diesem Sommer ist Marion Gentges mit ihrer Familie übrigens wieder in Österreich im Urlaub gewesen. Und sie ist dabei erneut ein gutes Stück ihres Weges alleine gewandert.