Andreas Kussmann-Hochhalter (links) und Klaus Otto Müller wollen die Erinnerungskultur in Oberndorf am Leben halten. Foto: Reimer

Am Freitag wird deutschlandweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Nach zwei Jahren werden auch erstmals wieder Oberndorfer Bürger beim "Buch der Erinnerung" zusammenkommen, um inne zu halten.

Oberndorf-Altoberndorf - Die Geschichte Oberndorfs ist untrennbar mit der Zwangsarbeit im NS-Regime verbunden. 1940 wurden die ersten Arbeiter in die Neckarstadt gebracht. Sie kamen meist aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich und den Niederlanden. Bis Ende 1944 stieg die Zahl auf 5500 bis 6000. Zum Vergleich: In dieser Zeit gab es etwa 8500 Einheimische.

Zwölf Arbeitslager gab es in Oberndorf. Das größte befand sich in Altoberndorf, unweit von dort, wo 2007 das "Buch der Erinnerung" eingeweiht wurde. Auf mehreren "Seiten" sind zunächst die 307 Todesopfer aufgelistet, die als Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs ihr Leben in Oberndorf lassen mussten.

Weitere Namen aufgenommen

Später wurden weitere Namen aufgenommen. Aus dem Mahnmal für die Opfer der Zwangsarbeit wurde ein Mahnmal für alle Opfer des Nationalsozialismus in Oberndorf. Auf Initiative von Klaus Laufer, Bürgermeister von 1983 bis 1999, wurden 18 Menschen, die im Zuge der "Euthanasie"-Morde ums Leben kamen, ins Buch aufgenommen. Später wurden vier Angehörige der jüdischen Familie Eppstein im "Buch der Erinnerung" verewigt.

Seit 2009 hält die Initiative "27. Januar" jedes Jahr am Mahnmal eine Gedenkveranstaltung ab. Es gibt Redebeiträge, Zeitzeugen berichten von ihren Erfahrungen, Blumen und Kerzen werden niedergelegt. Bis zu 80 Bürger kamen zusammen, um gemeinsam die Vergangenheit in Erinnerung zu halten.

Zeitzeuge berichtet

In den vergangenen beiden Jahren musste die Gedenkveranstaltung wegen der Pandemie ausfallen. Am kommenden Gedenktag am Freitag wird man sich erstmals wieder um 16.30 Uhr am Mahnmal versammeln.

Bei der Initiative handle es sich um keinen klassischen Verein, wie Andreas Kussmann-Hochhalter und Klaus Otto Müller erklären. Vielmehr sei es ein loser Zusammenschluss von geschichtsinteressierten Bürgern, die die Erinnerungskultur in Oberndorf am Leben halten wollen. Das geschieht durch Aktionen wie dem gemeinsamen Gedenken am "Buch der Erinnerung".

Auch dieses Jahr wird ein Zeitzeuge, der als kleiner Junge unweit des Altoberndorfer Lagers "Linde" aufgewachsen ist, über seine Erfahrungen berichten. Im Lager "Linde" stammten die Zwangsarbeiter überwiegend aus der Sowjetunion. Die nationalsozialistische Rassenideologie schlug sich auch im Umgang mit den Zwangsarbeitern nieder. Gefangene aus Polen oder der Sowjetunion mussten besonderes schwere Bedingungen ertragen, wie der ehemalige Stadtarchivar Kussmann-Hochhalter erklärt.

In der Rüstungsindustrie eingesetzt

Die meisten Zwangsarbeiter mussten in der Rüstungsindustrie arbeiten. Doch auch beim Bau der Stollen, die bei Luftangriffen den Bürgern als Rückzugsort dienten, kamen sie zum Einsatz. Sie selbst durften sich dort keinen Schutz suchen – obwohl es für die meisten wohl genug Platz gegeben hätte, wie Müller erklärt.

Die Initiative "27. Januar" will im neuen Jahr nun weitere Pläne verfolgen, die während Corona auf Eis gelegt werden mussten. Seit 1992 hängt an einem Wohnhaus gegenüber vom Bahnhof eine Gedenktafel, die an die jüdische Familie Eppstein erinnert. 1942 wurden die verbliebenen Angehörigen der Familie nach Polen deportiert. Wenn es nach der Initiative geht, soll an dem Gebäude, das der letzte Wohnort war, eine größere Gedenktafel, ähnlich wie die vor der St.-Michael-Kirche, errichtet werden. Passanten sollen mehr über die Familie erfahren können und so die Geschichte in Erinnerung gehalten werden.