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Der Automobilstandort Baden-Württemberg werde auch künftig eine führende Rolle spielen, sagt Mahle-Chef Heinz Junker. Wir sprachen mit ihm über Kurzarbeit, neue Technologien und Märkte.

Stuttgart - Der Automobilstandort Baden-Württemberg werde auch künftig eine führende Rolle spielen, sagt Mahle-Chef Heinz Junker. Wir sprachen mit ihm über Kurzarbeit, neue Technologien und Märkte.

Bei Mahle droht im Inland der Abbau von 800 Arbeitsplätzen. Wie weit sind die Verhandlungen fortgeschritten?

Wir müssen davon ausgehen, dass auch in den Jahren 2010 und 2011 die Krise in unserer Branche nicht zu Ende sein wird. Deshalb müssen wir rechtzeitig reagieren, denn irgendwann ist das Instrument Kurzarbeit nicht mehr verfügbar.

Die Bundesregierung setzt auch 2010 auf Kurzarbeit. Was halten Sie davon?

Kurzarbeit wurde mal geschaffen, um kurzfristige Konjunkturschwankungen auszugleichen. Die jetzige Krise wird sich aber noch die nächsten vier bis fünf Jahre auswirken. Erst dann werden wir wieder das Niveau von 2007 oder 2008 erreichen. Kurzarbeit ist eine Valiumtablette, die keine Strukturprobleme löst. In Westeuropa und damit auch in Deutschland haben wir Kapazitätsüberhänge, die wir in den nächsten Jahren nicht brauchen und die wir auch nicht über Jahre durchschleppen können. Kurzarbeit bringt die Produktion gehörig durcheinander - das gilt für alle Unternehmen. Sie können manche Anlagen nicht einfach mal für ein paar Stunden oder Tage abschalten. Bestes Beispiel sind unsere Gießereien. Kurzarbeit hilft uns nicht, die Produktivitätssteigerungen, die wir in unserer Branche Jahr für Jahr brauchen, zu bringen. Bei Mahle sind fast 8000 Mitarbeiter in Kurzarbeit, teils haben wir sie zurückgefahren oder aufgehoben, an manchen Standorten müssen wir sie ausdehnen. Entscheidend wird sein, wie das erste Quartal 2010 läuft.

Bis Ende März 2010 gelten an deutschen Standorten noch Verträge zur Beschäftigungssicherung. Können Sie betriebsbedingte Kündigungen im nächsten Jahr ausschließen?

Das kann ich nicht präzise beantworten. Wir versuchen, den Personalabbau möglichst sozialverträglich hinzubekommen. An jedem Standort wird uns das wohl nicht gelingen. Zur Jahresmitte hatte Mahle noch mehr als 44.000 Beschäftigte, Ende 2009 werden es voraussichtlich 43.000 Mitarbeiter weltweit sein. Und ich gehe davon aus, dass die Zahl bis Ende 2010 noch weiter zurückgehen wird.

Mahle hat 2009 schon Stellen abgebaut und Werke geschlossen. Greifen die Maßnahmen?

Ja. Wir stehen deutlich besser da als zu Beginn des Jahres, als uns der Umsatz regelrecht weggebrochen ist. Das hat uns Probleme bereitet, weil wir auf Halde produziert haben und unsere Kunden geplante Stückzahlen nicht abgerufen haben. Mittlerweile haben wir unsere Kapazitäten der deutlich gesunkenen Nachfrage angepasst.

Wie stellt sich die wirtschaftliche Lage bei Mahle im November dar?

Das zweite Halbjahr ist erheblich besser gelaufen als das erste. Es reicht aber nicht aus, um die Verluste aus dem ersten Halbjahr zu kompensieren. Wir werden also wie angekündigt rote Zahlen schreiben. Der Umsatz wird 2009 auf etwa 3,8 Milliarden Euro sinken - das sind fast 25 Prozent weniger, womit der Rückgang etwas höher ausfällt als erwartet. Mahle macht etwa ein Drittel seines Geschäfts im Nutzfahrzeugbereich, und der war deutlich stärker von der Krise getroffen als der Pkw-Bereich. Zudem hat Mahle traditionell einen hohen Umsatzanteil in Europa bei Dieselfahrzeugen, die aber haben von der Abwrackprämie nicht profitiert. Im Gegenteil, es gab Marktverschiebungen hin zu Benzinern, weil die bei der Anschaffung billiger sind.

Es gibt Marktverschiebungen. Wie ist Mahle in Zukunftsmärkten wie Indien oder China aufgestellt?

Tatsache ist, dass sich die Triade-Märkte - also Westeuropa, Nordamerika und Japan - schwertun, wieder auf ihr historisches Niveau zu kommen. Auch wenn alle Welt davon redet, dass die Automobilbranche 2013 oder 2014 wieder das alte Produktionsvolumen von 75 Millionen Fahrzeugen pro Jahr erreichen dürfte, bin ich überzeugt, dass sich die Fahrzeugproduktion anders auf die Regionen verteilen wird. Es werden mehr produzierte Fahrzeuge aus Ländern wie China und Indien und weniger aus Europa, Japan und Nordamerika kommen. China und Indien können Sie nicht mit Exporten aus Deutschland bedienen. Wir sind dort gut aufgestellt. In beiden Ländern haben wir bereits 13 Werke.

Wollen Sie Ihre Kapazitäten dort ausbauen?

Es gibt keine Pläne für Neubauten, aber es wird sicherlich in den nächsten Jahren Kapazitätserweiterungen an den bestehenden Standorten geben. In Indien sind wir auch beim Tata Nano im Boot. Langfristig werden in Indien sicher auch höherwertige Fahrzeuge produziert. In China gibt es so gut wie keinen Hersteller, den wir nicht beliefern. Und der Markt ist auch dieses Jahr zweistellig gewachsen. China hat 2009 Japan als Produktionsmarkt überholt. Japan, bisher die Nummer zwei hinter den USA, ist von zehn Millionen auf unter acht Millionen produzierter Fahrzeuge zurückgefallen, während China bei über acht Millionen liegt. Es bedarf nicht viel Fantasie, dass China über kurz oder lang auch den nordamerikanischen Markt überholen wird.

"Kurzarbeit ist eine Valiumtablette"

Welche Rolle spielt der US-Markt künftig?

In Nordamerika wurden traditionell 16 bis 17 Millionen Einheiten pro Jahr produziert. Waren es mal 15 Millionen, war es ein schlechtes Jahr. Dieses Jahr sind es in etwa acht Millionen - also die Hälfte, was auch durch die Insolvenzen von GM und Chrysler geprägt war. Der Markt wird sich wieder deutlich erholen auf die Größenordnung 12 bis 14 Millionen.

Mahle ist stark auf Teile für den herkömmlichen Verbrennungsmotor fokussiert - wie etliche Zulieferer in Baden-Württemberg. Mit Blick aufs Elektroauto sagt Ministerpräsident Oettinger, man brauche dafür keine Kolben, Kühler und Getriebe mehr. Was sagen Sie dazu?

Mir ist keine einzige Studie bekannt, die davon ausgeht, dass das reine Elektrofahrzeug 2025 oder 2030 einen Marktanteil haben wird, der im zweistelligen Prozentbereich liegen wird. Wir haben im Moment einen Elektrohype, der ist einfach nicht nachvollziehbar. Ob man auf dem Weg zum Elektroauto jemals ans Ziel kommen wird und es als alltagstaugliches Fahrzeug für den Normalbetrieb verwenden kann, da möchte ich mal ein Fragezeichen setzen. Aber nehmen wir mal an, dass das reine Elektroauto 2025 oder 2030 zehn Prozent Marktanteil hat. Dann frage ich mich, warum es Unternehmen wie Mahle, ZF oder Eberspächer, Beru oder Mann und Hummel nicht mehr geben soll? Sie können davon ausgehen, dass wir uns auch mit Produktentwicklungen beschäftigen, die außerhalb des Verbrennungsmotors liegen. Ich will die Äußerungen der Landesregierung nicht kommentieren, doch ich halte sie für unglücklich. Wenn wir das Thema Hybrid nehmen, da sind wir dabei.

Können Sie Beispiele nennen?

Beim Hybrid ist neben dem Elektromotor auch ein Verbrennungsmotor an Bord, der in einigen Punkten anders aussehen wird. Aber er benötigt auch Kolben, Nockenwellen und viele unserer herkömmlichen Produkte - mal abgesehen von den Produkten, die wir gerade entwickeln. Die ganze Diskussion verunsichert die Käufer. Man sollte auch mal ehrlich miteinander umgehen. Und wenn wir über Elektrofahrzeuge reden im Sinne von CO2-Reduzierung, produziert ein Elektrofahrzeug eine ganze Menge CO2 - nicht im Fahrzeug, sondern im Kraftwerk, wo der Strom erzeugt wird. Wenn man auf dieser Front wirklich was erreichen will, sollte man sich nachhaltig darum kümmern, CO2-freien Strom zu erzeugen und nicht den zweiten Schritt vor dem ersten Schritt zu machen. Mit dieser Thematik beschäftigen wir uns eben auch. Wie kann man Strom erzeugen, der nicht CO2 belastet ist? Der Verbrennungsmotor birgt im Übrigen noch enormes Einsparpotenzial - mehr als 30 Prozent, als Hybrid sogar 40 Prozent. Dann sind wir beim CO2 da, wo auch das Elektroauto ist. Es sei denn, der Strommix ändert sich.

Wird Baden-Württemberg als Automobilstandort auch künftig eine führende Rolle spielen?

Ich sehe nicht, warum sich das ändern soll. Die Innovationskraft in den baden-württembergischen Firmen ist nach wie vor an der Weltspitze.

Mahle arbeitet bei Turboladern mit Bosch zusammen. Liegt das Joint Venture im Plan?

Ja. Die Produktionswerke stehen. Wir gehen Ende 2011 in Serie und werden in den ersten Jahren einen Hochlauf auf 1,5 bis 2 Millionen Turbolader haben. Die Aufträge sind schon im Haus.

Musste Mahle angesichts der Krise auch Lieferanten stützen?

Zum Teil schon. Einen Lieferanten haben wir übernommen. Aber nicht weil er in Schwierigkeiten war, sondern weil wir das Thema Thermomanagement als Zukunftsthema für Mahle sehen. Die Übernahme des österreichischen KTM-Kühlers war ein strategischer Schachzug. Thermomanagement ist ein Thema, das für alle Arten alternativer Antriebe eine Kerntechnologie ist - egal ob Hybrid, Elektrobatterie oder Brennstoffzelle.