Es ist ein schwieriges Verhältnis: Postboten verletzen zwangsläufig fast täglich die Reviere von Hunden und werden mit Bissen „bestraft“. 18 Briefträger haben sich nun in Waiblingen Rat bei einem Experten der Polizei geholt.
Waiblingen - Hunde finanzieren als „Steuerzahler“ mit rund 275 Millionen Euro pro Jahr das Gemeinwesen in Baden-Württemberg mit. Doch das ist nur die eine Seite. „Die Letzten beißen die Hunde“, weiß der Volksmund – und verschweigt damit die Briefträger. Von Januar bis Juli 2013 wurden in der Region Stuttgart 16 Postboten von Hunden gebissen. Im Vorjahr waren es 21, und 2011 wurden 30 wegen Hundebissen behandelt.
Haben sich die Kieferzangen des Hundes erst um den Arm des Briefträgers geschlossen, ist guter Rat teuer: Gutes Zureden fasst das Tier als Lob auf, Schimpfen regt es auf, und wenn der Gebissene sich wehrt, wird der Köter erst richtig sauer. Irgendetwas läuft falsch in der Beziehung zwischen Briefträger und Hund. Die 18 Postboten aus der gesamten Region Stuttgart, die sich im Zustellstützpunkt Waiblingen versammelt haben, witzeln gallig: „Der Briefträger ist der natürliche Feind des Hundes.“ Deshalb haben sie einen Hundeausbilder bei der hessischen Polizei zum Vortrag eingeladen, denn die meisten von ihnen haben schlechte Erfahrungen mit Hunden.
Die 26-jährige Briefträgerin Susann Mager aus Leonberg sieht zum Anbeißen aus. Jedenfalls war ein Hund dieser Ansicht. „Durch die hohe Hecke sah ich nicht, dass er durch die Türe rannte. Er sprang an mir hoch und packte meine Handscannertasche. Dann biss er mich in den Oberschenkel“, erzählt sie. Sie versah weiterhin ihren Dienst, musste aber zweieinhalb Wochen auf Sport verzichten. Ihr Kollege, der 46-jährige Böblinger Axel Kufner, fiel zwei Wochen aus. „Ich sah eine Frau mit einem Hund im Hof. Der Mischling rannte direkt auf mich zu und biss in mein Schienbein.“
Hundegebiss voller Bakterien
Der Hundeausbilder differenziert nicht zwischen Hund und Kampfhund: „Auch ein Dackel ist gefährlich, denn sein Biss kann sich entzünden.“ Der Profi weiß, wovon er spricht: „Jeder Hundeführer wird am Anfang gebissen. Das ist normal.“ Aber auch riskant: „Das Hundegebiss steckt voller Bakterien. Eine Kollegin von mir lag nach einer Bissverletzung eine Zeit lang im Koma, weil ihr Körper vergiftet war. Die Ärzte haben erwogen, ihr den Arm abzunehmen, aber jetzt geht es ihr wieder besser.“ Deshalb müsse jeder Biss sofort behandelt werden. Vom Besitzer gelte es zu erfahren, ob der Hund gegen Tollwut geschützt sei.
Der Rat des Polizeihundeführers nützt nicht nur Postboten. Die Stadt Stuttgart führt keine Statistik über Hundebisse, doch beim Ordnungsamt gehen jährlich auf gleichbleibend hohem Niveau bis zu 1000 Meldungen über Zwischenfälle mit Hunden ein – von Beschwerden über Streuner, Raufereien unter Hunden bis zu Bissen und Klagen über gefährliche Tiere. Wie geht man also am besten mit Hunden um? Man muss ihre Körpersprache verstehen. Der Hundeausbilder dazu: „Die Redewendung ‚Bellende Hunde beißen nicht‘ ist Unsinn. Polizeihunde beispielsweise machen beides.“ Wedle der Hund mit dem Schwanz, heiße dies entgegen der verbreiteten Auffassung nicht, dass er gut gelaunt sei: „Das ist ein Zeichen, dass der Hund erregt ist, gute Laune ist dabei nicht programmiert.“ Wenn das Tier die Zähne fletscht und die Nackenhaare aufstellt, ist es sprungbereit. Dann heißt es Abstand halten. „Das Fixieren des Hundes mit den Augen ist unbedingt zu unterlassen, denn es ist eine Kampfansage“, sagt der Profi. Ebenso Drohgebärden, Anschreien und hektische Bewegungen. Stattdessen muss man für einen geordneten Rückzug sorgen – und dabei bloß nicht rennen, denn sonst sieht der Hund als typischer Hetzjäger im Menschen seine Beute. „Drehen Sie sich leicht vom Hund weg, wenden Sie den Blick ab und halten Sie den Kopf schräg. Versuchen Sie nicht, das Tier mit Leckerli zu bestechen.“
Der Hund, weiß der Polizist, glaubt sich im Recht, weil er sein Revier verteidigt. Er will zeigen, dass er der Chef ist. Man ignoriert ihn, weicht ihm mit gesenktem Blick und ruhiger Stimme aus. Greift der Hund trotzdem an, schützt möglicherweise eine Barriere vor dem Körper. Sie kann aus einer Tasche, einem Kleidungsstück oder dem Post-Bike bestehen. „Die allerletzte Maßnahme ist ein Hundeabwehrmittel. Man braucht aber das stärkste, und auch das nützt nur in den seltensten Fällen.“