In der DRF-Werft in Rheinmünster arbeiten Spezialisten an Umrüstung und Wartung der Maschinen. Foto: Jürgen Bock

Die DRF Luftrettung wird 50 Jahre alt. Die Branche steht vor großen Herausforderungen. Damit die Flüge klappen, braucht es Piloten, Mediziner, Planer und Technikspezialisten.

Wind bläst ins Gesicht, ohrenbetäubender Lärm liegt in der Luft. Christoph 43 ist im Anflug. Der Rettungshubschrauber, der wie alle in Deutschland nach dem heiligen Christophorus benannt ist, setzt zur Landung an. Stationiert ist er am Baden-Airpark in Rheinmünster (Landkreis Rastatt). Pilot, Notarzt und Notfallsanitäter steigen aus. Gerade kommen sie von einem Einsatz im Schwarzwald zurück, haben einen Gestürzten geborgen und ins Krankenhaus geflogen.

„Gerade im ländlichen Gebiet spielen wir unseren Vorteil aus. Dort sind wir oft schneller als der Rettungsdienst am Boden“, erzählt Notfallsanitäter Sebastian Geißert. Er braucht für seine Arbeit eine Zusatzausbildung, denn er ist nicht nur medizinisch gefragt. Er muss im Team auch den Piloten unterstützen, sich in Navigation und Wetterkunde auskennen. Denn wenn ein Notruf eingeht, muss jeder Schritt sitzen. Oft geht es um Minuten, manchmal zählt jede Sekunde.

„Was wir machen, tut sonst keiner“, sagt Pilot Jens-Gerhard Kurschat. Denn einen planbaren Linienflugbetrieb gibt es hier nicht. Jeder Tag, jeder Einsatz ist anders. „Wir landen an Orten, die sonst niemand erreicht“, schildert der Mann, der früher bei der Bundeswehr war, die Herausforderung und Faszination zugleich. Unwegsames Gelände, schwer zugängliche Stellen, Patienten in unbekanntem Zustand. „Dafür muss unsere kleine Gemeinschaft von Spezialisten harmonieren“, sagt Kurschat.

Christoph 43 hebt unter dem Logo der DRF Luftrettung ab. Das Unternehmen mit Sitz in Filderstadt (Landkreis Esslingen) betreibt über ein Drittel der Stationen und Rettungshelikopter in Deutschland. Es gehört zu den Pionieren der Rettung aus der Luft und wird jetzt 50 Jahre alt. Gegründet worden ist es am 6. September 1972 in Leinfelden-Echterdingen. Damals trug es noch den Namen Deutsche Rettungsflugwacht e. V. German Air Rescue – abgekürzt DRF.

Differenzen mit der Steiger-Stiftung

Unter den sieben Gründungsmitgliedern fand sich auch Siegfried Steiger, der kurz zuvor in Winnenden die Björn-Steiger-Stiftung ins Leben gerufen hatte, um die Notfallrettung in Deutschland zu verbessern. 1973 hob der erste Hubschrauber in Stuttgart ab, heute liegt die Station in Leonberg. DRF und Steiger-Stiftung blieben in den folgenden Jahren eng verknüpft, die Stiftung trug die Kosten und leistete den Aufbau. Bis vor wenigen Jahren gab es auch noch personelle Anknüpfungspunkte. Heute allerdings gilt das Verhältnis zwischen beiden als schwierig, Zusammenarbeit gibt es nicht mehr. Die Steiger-Stiftung spielte zwischendurch sogar mit dem Gedanken, als Konkurrent in die Luftrettung einzusteigen.

Die DRF ist heute neben der ADAC Luftrettung der zweite große Akteur in Deutschland. Das Unternehmen betreibt 37 Stationen mit über 50 Hubschraubern in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz. In Baden-Württemberg ist es für die meisten Stationen verantwortlich. Die Retter fliegen pro Jahr rund 40 000 Einsätze, seit der Gründung sind es über eine Million. Sie helfen Unfallopfern, übernehmen Transporte zwischen Kliniken oder holen mit zwei Learjets schwer erkrankte oder verletzte Patienten aus dem Ausland zurück. Abgerechnet werden die Einsätze anhand der Flugminuten. Außerdem finanziert sich die DRF über Fördermitglieder und Spenden.

Bis zu fünf Wochen Wartung

Hinter den Einsätzen steckt eine gewaltige Logistik. Damit zu jeder Zeit an jeder Luftrettungsstation das entsprechende Fluggerät vorhanden ist, braucht es einen ausgeklügelten Plan. Umgesetzt wird er vor allem in Rheinmünster, gleich neben dem Standort von Christoph 43. Denn dort liegt auch die DRF-Werft, auf Neudeutsch Operation Center genannt. Dort werden neue Hubschrauber für medizinische Einsätze umgebaut und diejenigen, die im Einsatz sind, regelmäßig gewartet. Das ist je nach Typ alle 400 bis 500 Flugstunden der Fall. Dann rücken die Maschinen für bis zu fünf Wochen ein. 140 Experten kümmern sich um das Fluggerät.

An diesem Tag sind die elf Docks voll besetzt. Vor der Halle finden mit weiteren Hubschraubern Testflüge statt. „Wir müssen sehr genau disponieren“, sagt Marc Degelo. Der Maintenance Manager ist für den Instandhaltungsbetrieb zuständig und wie so viele hier absoluter Spezialist. „Seit ich 16 bin, habe ich beruflich mit Helikoptern zu tun, also mein ganzes Leben“, sagt er und schmunzelt. Die Motivation der Mitarbeiter stärke zudem den Zweck ihres Tuns: „Die Menschenrettung ist eine noble Aufgabe.“

Test von Nachtsichtgeräten

Und die ist extrem reguliert. „Der Gesetzgeber, aber auch wir selbst stellen höchste Ansprüche an unsere Arbeit. Hier darf nichts dem Zufall überlassen werden“, sagt Degelo. Dazu gehört, dass bei jeder Schraube und Mutter genau vermerkt wird, wer sie wann mit welchem Drehmoment angezogen hat. Das persönliche Werkzeug wird täglich kontrolliert. Und nebenan ist in einem separaten Gebäude ein schwarzes Innenzelt aufgebaut. Dort kann auch bei Tag totale Dunkelheit simuliert werden, um die Bedingungen beim Flug mit Nachtsichtgeräten nachzustellen. Denn die Technik entwickelt sich ständig weiter.

Die Luftrettung selbst gewinnt an Bedeutung und steht zugleich vor enormen Herausforderungen. In einem Büro des Werftgebäudes sitzt der DRF-Vorstandsvorsitzende Krystian Pracz und entwirft ein Zukunftsbild. „Viele Kliniken schließen, die Wege werden länger, auch für Intensivtransporte. Deshalb werden Hubschrauber gerade im ländlichen Bereich immer wichtiger“, sagt Pracz. Das bestätigt auch ein Gutachten des Landes, das derzeit für viel Aufruhr sorgt. Denn es empfiehlt nicht nur zusätzliche Standorte, sondern auch die Verlegung von vorhandenen.

Dagegen wehren sich diverse Kommunen, etwa Leonberg. „Es ist grundsätzlich richtig, dass das Gutachten gemacht wurde, um die Bedarfe zu ermitteln“, sagt Pracz. Das bringe allerdings die DRF und andere Anbieter in „keine einfache Situation“. Denn auch in der Branche herrsche durch die geplante Neuordnung Nervosität. „Das braucht niemand. Zumal wir davon ausgehen, dass wir hier von einem sehr langwierigen Prozess sprechen“, erklärt er. All das löse Unruhe aus.

Erste eigene Pilotenausbildung

Genauso wie manches andere. Zum Beispiel die Personalsituation. Denn gut ausgebildete Piloten, die früher oft von der Bundeswehr kamen, sind rar. Die DRF hat deshalb am 1. September in Rheinmünster den ersten eigenen Ausbildungsjahrgang begrüßt. 15 Männer und Frauen sollen sich jetzt und im März auf den Weg zum Rettungspiloten machen.

Und dann wären da noch Probleme wie Corona oder die derzeit explodierenden Energiepreise. Beides Unwägbarkeiten schon für die nächsten Monate. „Allein in diesem Jahr haben wir schon Mehrkosten in siebenstelliger Höhe für Kerosin“, sagt Pracz, „das ist eine enorme Herausforderung.“ Man verhandle zwar mit Politik und Kostenträgern, aber das brauche Zeit. Und auch Materialknappheit und Inflation sind Themen, die die Luftretter belasten.

Die Besatzung von Christoph 43 macht sich derweil klar für den nächsten Einsatz. Denn der Tag ist noch lang. Geflogen wird hier zwar nicht rund um die Uhr wie am DRF-Standort Villingen-Schwenningen, aber von 7 Uhr morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit. Im Sommer bedeutet das Schichten von bis zu 15,5 Stunden. „An manchen Tagen sind wir nur zu einem Einsatz unterwegs, an anderen dafür zu sieben“, sagt Notfallsanitäter Geißert. Man weiß eben vorher nie, was der Tag bringt. Und an welchen Orten man landet, die sonst keiner erreichen würde.