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Zähes Untier: Lou Reed und Metallica haben zu Wedekinds „Lulu“ Bühnenmusik aufgenommen.

Berlin - Ein seltsames Paar findet in einem monströsen Opus zusammen: Lou Reed, Großvater des Punk und der Rock-Avantgarde, trifft auf die Thrash-Metal-Bestseller Metallica. Gemeinsam setzen sie ihrem Publikum ein schwer verdauliches Stück Bühnenmusik vor: eine Bearbeitung des "Lulu"-Stoffs.

Männerfantasie und Männerverschlingerin, Opfer und Täterin, kindliche Unschuld und Femme fatale. Die Lulu, die sich Frank Wedekind Ende des 19. Jahrhunderts ausgedacht hat, ist in ihrer sexuellen Abhängigkeit, ihrer Sinnlichkeit, Grausamkeit, Harmlosigkeit und Härte eine der verstörendsten Bühnenfiguren des Theaters des Fin de siècle. Wedekind erzählt in dem Fünfakter "Lulu", der nicht ohne stolz den Untertitel "Eine Monstretragödie" trägt, vom Scheitern des Versuchs, die junge Prostituierte Lulu mit den moralischen Werten der bürgerliche Gesellschaft zu domestizieren. Lulu wird zahlreiche Männer und Frauen in den Wahn oder den Tod reißen, bis sie am Ende selbst einem Lustmörder in die Hände fällt.

Frank Wedekinds expressive Groteske "Lulu", eine Zusammenfassung seiner Stücke "Erdgeist" und "Die Büchse der Pandora" ist voller Schockeffekte, eine radikale Abrechnung mit der bürgerlichen Moral und so etwas wie die literarische Vorformulierung, Vorwegnahme von Sigmund Freuds psychoanalytischer Theorie vom Gegen- und Miteinander des Todestriebs (Thanatos) und des Lebenstriebs (Eros).

Schwer verdaulich und zäh - aber völlig selbstverständlich

"Sex und Tod sind die einzigen Dinge, die erwachsene Menschen noch ernsthaft interessieren können", behauptet auch William Butler Yeats, der auf Hülle der "Lulu"-CD zitiert wird, die Lou Reed und Metallica gemeinsam eingespielt haben. Dass der Rock-Avantgardist und die Metalband gemeinsame Sache machen, wirkt auf den ersten Blick befremdlich. Lou Reed sieht das jedoch anders: "Eine abwegige Zusammenarbeit wäre, wenn Metallica und Cher gemeinsam ein Album machen würden. Das wäre wirklich seltsam", zitiert ihn seine Plattenfirma, "wir dagegen, Metallica und ich - das ist eine Kooperation, die doch auf der Hand liegt."

Reed hatte Anfang des Jahres für Robert Wilsons "Lulu"-Inszenierung, die im April am Berliner Ensemble mit Angela Winkler in der Rolle der Lulu Premiere feierte, Songs geschrieben. Diese dienten nun als Grundlage für das Album. Und auch wenn die anderthalb Stunden Musik, die Reed und Metallica ihren Zuhörern vorsetzen, mitunter schwer verdaulich, zäh klingen: Das Zusammenspielt wirkt völlig selbstverständlich.

Die Lou Reed/Metallica-Version von "Lulu" beginnt als Gothic Novel in Berlin. Lou Reed verwandelt sich in ein Mädchen aus einer Kleinstadt, das von verstörend-blutrünstigen Fantasien heimgesucht wird, als sie unter dem Brandenburg Tor hindurchgeht. Sie träumt von Boris Karloff und Kinski als Nosferatu, davon, sich die Beine und die Brüste abzuschneiden. Und sie will das Leben in sich aufsaugen, solange sie noch jung und hübsch ist: "I'm just a small town girl who wants to give it a whirl / While my looks still hold me straight", singt Lou Reed, die Gitarren von James Hetfield und Kirk Hammett dröhnen, Lars Ulrichs Bassdrum stampft schwer auf - und das Drama beginnt.

"Irgendein seltsames neues Tier"

Wie das Bühnenstück selbst gleicht auch die Musik einem verstörenden Trip durch eine von Obsessionen bestimmte Welt. In hypernervösen, immer wieder das Tempo wechselnden Nummern wie "Mistress Dread" entsteht eine unerträgliche Anspannung. Während die Gitarren bösartig fauchen, keine Luft zum Atmen lassen, verwandeln sich Lou Reeds Texte in Beschwörungen. "Cheat On Me" wird zum Eingeständnis der Unfähigkeit, die eigene Psychologie, die sexuelle Unersättlichkeit zu ergründen: "I have a passionate heart / It can tear us apart / I have the loves of many men / But I don't love any of them." Und auch wenn in "Little Dog" der von biestigen Riffs begleitete Ausbruch einmal ausbleibt, ist auch hier die vorgeführte ungeduldige Empfindlichkeit kaum mehr auszuhalten.

"Diese Platte ist definitiv kein Metallica-Album", hat Kirk Hammett in einem Interview gesagt, "ein Lou-Reed-Album ist sie aber auch nicht, sondern etwas ganz anderes: Irgendein ein seltsames neues Tier." Ein Untier, ein Monster, gefrässig und scheu, wild und verletztlich wie dieses Mädchen namens Lulu.

Lou Reed & Metallica: Lulu (Mercury/Universal)