Andrea Rothfuss freut sich über ihre Paralympics-Goldmedaille, auf die sie acht Jahre lang hinarbeitete. Foto: Stratenschulte

Andrea Rothfuss macht Traum wahr: Aus Rennsportgruppe des Skiclubs Loßburg mit 24 Jahren zur Paralympics-Siegerin gereift.

Sotschi/Loßburg - Im dritten Anlauf hat es geklappt. Nach zwei Ausfällen im Abfahrtslauf und Super-G der Paralympics im Skigebiet Rosa Khutor hat Andrea Rothfuss gestern die Nerven behalten und ausgerechnet im Slalom ihre ersehnte erste Goldmedaille bei Paralympics gewonnen.

Damit hat die alpine Behinderten-Skirennläuferin aus Loßburg (Kreis Freudenstadt) ihr Ziel bei den Winterspielen der Behinderten in Sotschi bereits vor ihren letzten beiden Einsätzen erreicht. Nach ihrem zweiten Platz im Kombinations-Slalom winkt der 24-Jährigen morgen das zweite Edelmetall. In ihrer Lieblingsdisziplin Riesenslalom will sie dann zum Abschluss der Wettbewerbe noch einmal zuschlagen.

Bürgermeister Christoph Enderle ist stolz

Riesengroß ist natürlich die Begeisterung in der Heimat, wie Loßburgs Bürgermeister Christoph Enderle stolz erklärte: "Wir freuen uns sehr darüber, nach einem Goldjungen bei Paralympics (Tobias Graf, d.Red.) jetzt auch ein Goldmädchen aus unserer Gemeinde zu haben; das kann nicht jeder vorweisen." Sie habe auf diesen größten möglichen Erfolg lange gewartet "und ihn auch verdient", berichtet Enderle, der bereits einen großen Empfang nach der Rückkehr vorbereitet, "den Termin müssen wir mit ihr aber noch abklären."

Acht Jahre musste Rothfus, die in Innsbruck ("da habe ich die Berge zum Trainieren direkt vor der Haustür") Soziologie studiert, auf den ganz großen Triumph warten, der eigentlich im allerersten paralympischen Rennen schon greifbar gewesen war. Im Riesenslalom der Paralympics von Turin hatte die Newcomerin 2006 bereits Nervenstärke bewiesen, als ihr nach dem ersten Durchgang aus technischen Gründen die Disqualifikation drohte. Im zweiten Lauf drehte sie dennoch voll auf und wurde zunächst auch als Siegerin aufgerufen, ehe die Zeit ihrer Konkurrentin noch einmal korrigiert und Lauren Woolstencroft die Goldmedaille entgegennehmen durfte. Die Kanadierin war es dann auch, die bei den folgenden Paralympics in Vancouver 2010 mit fünf Siegen in allen alpinen Disziplinen der stehenden Frauenklasse einen möglichen Sieg der Einstockläuferin aus dem Nordschwarzwald verhinderte, der seit ihrer Geburt die linke Hand fehlt.

In einer sportbegeisterten Familie ließ sie sich bereits in jungen Jahren nicht von körperlicher Betätigung abbringen, kletterte wie der aus dem gleichen Ort stammende Rad-Paralympicsieger von London 2012, Tobias Graf, auf alle erreichbaren Bäume und war im Winter mit dem Skiclub Loßburg auf den Pisten der Umgebung und mit der 1997 gegründeten Vereinsrenngruppe bei Rennen von nichtbehinderten Läuferinnen unterwegs. Auch heute noch hält Andrea Rothfuss bei ihren Besuchen in der Heimat engen Kontakt, berichtet der Skiclub-Vorsitzende Martin Benzing, gestern einer der ersten Gratulanten per E-Mail: "Wir haben alle im Verein die letzten Tage bereits mit ihr mitgefiebert. Der Sieg ist phänomenal und die Krönung ihrer Laufbahn", so Benzing, "der ganze Skiclub gönnt es ihr von Herzen, zumal sie trotz aller Erfolge nie abgehoben ist und auch heute noch mithilft, wenn es ihr irgendwie möglich ist."

Katja Seizinger als Vorbild

Die Entscheidung, es tatsächlich ernsthaft mit dem alpinen Skirennsport zu versuchen, ist bei der Loßburgerin mit den Fernsehübertragungen der Rennen von Katja Seizinger gefallen. "Ich wollte immer diesen Zebra-Rennanzug und fand auch die gebogenen Stöcke voll cool", erinnert sich Andrea Rothfuss, die nach den Paralympics 1998 in Nagano Kontakt mit dem deutschen Paralympics-Skiteam alpin aufnahm.

Dort erkannte der ehemalige Aktive und heutige Abteilungsleiter Michael Hipp schnell das Talent des selbst erklärten "Schwarzwaldmädels", das auch nach seinem studienbedingten Wechsel nach Österreich der Heimat in vielfältiger Weise verbunden geblieben ist. Nach ersten Ausflügen zum Schwimmen und in die Leichtathletik stieg das Bewegungstalent auf zwei Skiern schnell in den Kadern des Deutschen Behindertensportverbandes auf.

"Erster ganz großer Höhepunkt ihrer Karriere war die Wahl zur deutschen Behindertensportlerin des Jahres 2009, nachdem sie im gleichen Jahr erstmals Weltmeisterin geworden war. Weitere WM-Titel in Abfahrt und Slalom folgten in Sestriere 2011, danach kam der rasante Aufstieg der jungen Marie Bochet, die vor allem bei der letzten Weltmeisterschaft in La Molina zum Titelhamster wurde und in allen fünf Rennen triumphierte.

Auch in Sotschi schien die Französin unschlagbar zu sein, gewann nacheinander Abfahrt und Super-G sowie die Wertung des Kombinations-Slaloms. Ausgerechnet im gestrigen Spezialslalom aber schied der anscheinend personifizierte sportliche Alptraum von Andrea Rothfuss bereits im ersten Durchgang zu ihrer eigenen großen Enttäuschung aus: "Wenn man stürzt, kann man auch nicht gewinnen." Der Weg war frei für die mit einem großen Vorsprung siegende Andrea Rothfuss. Die 24-Jährige machte damit ihren großen Traum mit etwas Verzögerung wahr.

Bereits in den schnellen Disziplinen hatte die Fahnenträgerin der deutschen Mannschaft bei der Eröffnungsfeier zu den Favoritinnen gezählt und sich selbst große Hoffnungen gemacht ("ich kenne die Strecke aus dem Vorjahr, und sie liegt mir"). Sie war aber an dem großen Erwartungsdruck und den schwierigen Bedingungen erst einmal gescheitert, was sogar kritische Worte von Bundestrainer Justus Wolf ("sie muss sich jetzt konzentrieren") nach sich zog.

Ein Paralympics-Sieg im Slalom aber lässt alles vergessen. "Ich will unbedingt eine Goldmedaille, dafür fahre ich nach Sotschi, anderes Edelmetall habe ich schon genug", hatte Andrea Rothfuss bereits vor ihrem Abflug in Frankfurt erklärt. An Motivation für die weiteren Rennen und einen Start bei den nächsten Paralympics 2018 in Südkorea wird es dennoch nicht fehlen.