Dieses Jahr noch gemeinsam, nächstes Jahr vielleicht schon jeder für sich: Paolo und Natalie mit ihrem Betreuer Jochen Blank während der Weihnachtsferien in der betreuten Jugendwohngruppe. Foto: Eberhardt

Weihnachten und Silvester in der betreuten Jugendwohngruppe im Kinderheim Rodt: Natalie und Paolo erzählen.

Loßburg - Familie, Friede, Wärme – und was macht man zwischen den Jahren, wenn das alles fehlt? Man steht die Gegenwart durch und richtet den Blick fest in die Zukunft. Vor allem dann, wenn man dieser als junger Mensch alleine entgegen treten muss.

An der Küchentür der betreuten Jugendwohngruppe im Kinderheim Loßburg-Rodt erinnert eine kleine Schiefertafel noch an die Weihnachtsfeier, die vor einer Woche stattgefunden hat. Die Feiertage sind vorbei, es ist ruhig auf dem Stockwerk. Viele der Bewohner sind über die Ferienzeit in der WG geblieben, doch nur wenige haben Lust zu erzählen, wie das ist, wenn man diese besonderen Tage im Jahr, in denen alles von Harmonie, Wärme und Miteinander spricht, in einem Heim verbringt. Auch Natalie und Paolo tun sich zunächst etwas schwer damit, obwohl sie sich – dem gedeckten Kaffeetisch nach zu schließen – durchaus auf den neugierigen Besucher gefreut haben, der für einen kurzen Nachmittag in ihre Welt eintaucht.

Doch wer im betreuten Jugendwohnen lebt, hat meist keine idyllischen Erinnerungen an die besinnliche Jahreszeit. Natalies erste Reaktion auf die Frage, wie man sich die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester im Heim denn so gestaltet, wirkt daher noch etwas spröde: Chillen, Haushalt, etwas zocken mit den Jungs, Langeweile. "Ich hoffe, dass die Tage bald vorbei sind." Natalie wohnt erst seit Kurzem in Loßburg, ist sehr höflich, aber ebenso zurückhaltend und sagt lieber zwei Worte weniger als eines zu viel. Dass der 18-Jährigen noch manches durch den Kopf geht, ist zu ahnen. "Es war eher angeschlagen", meint sie mit Blick auf das vergangene Jahr. Weihnachten hat sie gemeinsam mit ihrem Mitbewohner Paolo, einem Freund und einem Betreuer verbracht. Paolo ist 19 Jahre alt und stammt von den Philippinen. Vor drei Jahren ist er seiner Mutter nach Deutschland gefolgt. Als diese ihn mit 18 vor die Tür setzte, kam er nach Loßburg. Es sind seine zweiten Weihnachtsferien hier, aber er weiß noch gut, wie sich das beim ersten Mal angefühlt hat: "Letztes Jahr war es schlimm, als ich anfing alleine zu sein." Ihre Angehörigen vermissen beide. Holen einen in diesen ruhigen Tagen dann manchmal auch die Gedanken ein? "Ja", geben Natalie und Paolo unisono zu. Wenn es Paolo ganz niederdrückt, greift er manchmal zur Spielkonsole.

"Zu viel grübeln ist ungesund"

"Ich bin ein Junge. Wir zocken halt", meint er mit einem warmen Grinsen. Natalies Ablenk-Strategie lautet lernen: "Zu viel grübeln ist ungesund – vor allem seelisch." Das gilt anscheinend auch fürs darüber reden. Ermuntert von Wohngruppenleiter Jochen Blank, der für die Jugendlichen Betreuer und Bezugsperson in einem ist, lockert sich die reservierte Freundlichkeit der beiden aber langsam. Vor allem, als das Gespräch auf Silvester kommt. Ein paar ruhige Weihnachtstage in der betreuten WG – okay. Silvester? Nein. Warum? "Weil ein neues Jahr beginnt", erklärt Natalie mit einer Entschlossenheit in der Stimme, als ob sie gerade den Karton mit Altlasten für den Sperrmüll zugeklebt hätte. "Ich will vieles zurücklassen." Den Jahreswechsel wird sie bei ihrem Freund feiern, gemeinsam mit ihrer Mutter. Jene ist ihr sehr wichtig, trotz Heim-WG. "Ich hoffe, dass es dieses Jahr besser ist", sagt Natalie mit Blick auf Silvester. Paolo wird den Jahreswechsel mit einem Freund und dessen Familie feiern. "Ich gehöre jetzt dazu, das ist schön." An Silvester schmiedet man zudem Pläne für die Zukunft. Was wünscht man sich denn da, wenn die Vergangenheit herb war?

Natalie und Paolo kreuzen nachdenkliche Blicke. Die beiden wirken, als ob der Gedanke an sich und die eigenen Wünsche bislang eher Luxus gewesen ist. Doch wie sich zeigt, sind die Ziele für das anstehende Jahr im Kopf fest gesteckt: Schulabschluss machen und eine Ausbildung beginnen. Natalie als Rettungssanitäterin, Paolo als Hotelfachmann. Es klingt erwachsen, wenn sie davon erzählen. Vor allem aber, als ob sie wüssten, dass die Chance, ein klares Ziel verfolgen zu können, keine Selbstverständlichkeit ist. Betreuer Jochen Blank wird denn auch kurz etwas soft: "Sie wissen, wohin sie wollen, und wir dürfen sie begleiten. So was tut uns auch mal ganz gut." Den nächsten Jahreswechsel werden seine beiden Schützlinge wohl schon woanders feiern. Dann sind sie dem WG-Alter entwachsen und dürfen ihre eigene Wohnung beziehen.