In den Wohngruppen des Kinderheims gab es bisher noch kein Corona. Foto: Fuchs Foto: Schwarzwälder Bote

Soziales: Für die 50 Bewohner des Kinderheims Rodt hat sich der Alltag verändert / Zeitweise kein Besuch zu Hause möglich

Treffen mit Familie und Freunden fehlen momentan den meisten. Ganz besonders bleiben jedoch diejenigen auf der Strecke, die gerade kein stabiles familiäres Umfeld haben. Ein Einblick in den Alltag im Kinderheim Loßburg-Rodt.

Loßburg-Rodt. Im Kinderheim leben knapp 50 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 20 Jahren, verteilt auf sechs Wohngruppen. Bei Ehlenbogen gibt es noch eine Intensiv-Wohngruppe für Kinder, die aufgrund traumatischer Erlebnisse besondere Fürsorge brauchen. Jeder Gruppe sind drei bis vier Erzieher zugeordnet, die die Kinder im Wechsel Tag und Nacht betreuen, meistens im Allein-Dienst. Die Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter ist durch die Corona-Situation stark gestiegen. Hatten sie bisher vormittags frei, wenn die Kinder in der Schule waren, so sind sie jetzt rund um die Uhr gefordert.

"Vielen unserer Kinder fällt es zudem schwer, sich schulisch selbst zu organisieren. Sie brauchen da etwas mehr Unterstützung", erklärt Kinderheim-Gesamtleiter Edwin Benner. Zum Glück gebe es 80 weitere Mitarbeiter, die ambulant unterwegs seien. Das bedeute, sie gehen in die Familien oder arbeiten als Schulbegleiter. Diese helfen nun verstärkt vor Ort im Heim mit, wenn es um die Betreuung beim Fern-Unterricht gehe. "Das ist eine große Entlastung", sagt Benner. Die Kinder gehen alle auf verschiedene Schulen und haben verschiedene Bildungsstände, denen man gerecht werden müsse. "Wir kriegen da die ganze Bandbreite mit: Viele Lehrer sind sehr motiviert und gestalten den Fernunterricht wirklich gut, andere wiederum tauchen ab."

Mangel an Geräten für den Fernunterricht

Momentan rüstet das Kinderheim auf, was die Ausstattung mit digitalen Endgeräten angeht. "Wir haben Spenden bekommen, mit denen wir jetzt Tablets für den Heimunterricht anschaffen können", so Benner. Im ersten Lockdown habe es da einen großen Mangel gegeben. "Und dann sind die Preise für die technischen Geräte auch noch gestiegen. Umso glücklicher sind wir jetzt über die Spenden."

Im ersten Lockdown habe es noch an Erfahrung gemangelt, erinnert sich Cornelia Müssigmann, Leiterin des stationären Bereichs. Zur Vorsicht habe man damals entschieden, die Kinder zwischen März und Pfingsten nicht mehr nach Hause zu schicken. Normalerweise dürfen die ihre Familien jedes dritte Wochenende besuchen. "Das war für beide Seiten hart", meint Benner.

Das Ziel sei, dass die Kinder irgendwann in ihre Familien zurückkommen. Je jünger diese seien, umso größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass das funktioniere. Für Fälle, in denen das keine Option sei, wolle man den Kontakt zu den Eltern dennoch so gut wie möglich erhalten.

Bisher kein Corona in den Wohngruppen

Das Frühjahr war jedoch nicht nur für die Heimkinder und deren Familien hart. In den Wohngruppen habe das Mehr an Betreuungszeit auch abgedeckt werden müssen.

Jetzt, im zweiten Lockdown, laufe alles etwas routinierter. Die Kinder dürfen ihre Eltern wieder besuchen. Diese müssen dann berichten, wie es um den Gesundheitszustand der Kinder steht und zu wem sie Kontakt hatten. Wenn der Verdacht auf Corona bestehe, werde auch mal ein Schnelltest gemacht.

"Bisher hatten wir zum Glück noch keinen Coronafall im Heim", erklärt Müssigmann. "Jedenfalls keinen, von dem wir wussten." Sollte das einmal vorkommen, dann ist die Heimleitung gerüstet. Jeden Montag gebe es ein Treffen, bei dem die Verantwortlichen die neuen Regelungen besprechen. Es geht darum, wie diese umgesetzt werden, ohne Kinder und Mitarbeiter zu sehr einzuschränken, aber doch hart genug, um für Sicherheit zu sorgen. Eine Gratwanderung also. Auch sei ein Notfallplan ausgearbeitet worden. Finde das Virus den Weg ins Kinderheim, dann müsse die ganze betroffeneWohngruppe in Quarantäne. Für die Betreuuer gelte dann "Tunnelquarantäne". Sie dürfen dann nur noch nach Hause oder zur Arbeit. Auf der Autofahrt dazwischen dürfe nicht einmal angehalten und ausgestiegen werden.

Benner und Müssigmann sind froh, dass die Betreuer so gut mitarbeiten. "Sie machen viel mehr, als eigentlich ihr Job wäre, um für die Kinder da zu sein", lobt Müssigmann. "Noch dazu müssen sie mit dem Risiko umgehen und ihre eigenen Kontakte im privaten Bereich reduzieren."

Eine besondere Herausforderung bestehe, weil das Kinderheim Rodt die Inobhutnahmestelle für die Kreise Freudenstadt und Calw sei. Es ist also die erste Anlaufstelle für das Jugendamt, wenn ein Kind in einer Notsituation schnell untergebracht werden muss. "Das kommt etwa 50 Mal pro Jahr vor", erklärt Benner. Es sei also keine Ausnahme, dass Kinder von außen in die Wohngruppen kommen, über die man wenig wisse. Sie bleiben Tage bis Wochen, bis klar sei, wie es weitergeht. Nicht selten werden sie dann auch langfristig im Kinderheim aufgenommen.

Abgesehen von der vorherrschenden Unsicherheit sei der Alltag innerhalb der Wohngruppen relativ normal. "Natürlich gelten die Wohngruppen jeweils als Haushalt, es muss also niemand Maske tragen", sagt Müssigmann. "Und auch die Feste, Heiligabend und Silvester, haben wir für die Kinder, die nicht zu Hause waren, so schön gestaltet wie immer. Es gab eine Weihnachtsfeier im kleinen Kreis mit Festtagsessen." Nur die Freizeitangebote, von Backen über Basteln bis hin zum Sport, die bisher gruppenübergreifend angeboten worden seien, können jetzt nur noch intern stattfinden.

Langfristigen Einfluss auf die Entwicklung?

Vor allem die Jugendlichen vermissen den Kontakt zu ihren Freunden. "Es ist ja auch wichtig für ihre Entwicklung, sich mit Gleichaltrigen zu treffen", erklärt Müssigmann. Vor allem Kinder mit schwererer Vergangenheit seien sensibler, was sich verändernde Routinen angehe. "Und im Moment brechen durch Corona ja viele Strukturen weg." Es sei wichtig, den Kindern immer wieder zu erklären, warum die Dinge sind, wie sie sind. Und dass es nicht "mal wieder der Erzieher ist, der sie einschränkt." Für die Kinder und Jugendlichen sei das gerade im ersten Lockdown schwer zu verstehen gewesen. "Es lässt sich nicht alles über Verbote regeln", findet Müssigmann. "Sie sollen auch begreifen, warum diese Regeln so wichtig sind." Sie ist davon überzeugt, dass sich die Situation langfristig negativ auf die Entwicklung von Kindern auswirkt. Und nicht nur auf die von Heimkindern. "Alles, was Bildung und Soziales angeht, bricht weg. Mit der Aufarbeitung davon werden wir noch ein paar Jahre über die Corona-Krise hinaus zu tun haben." Heimleitung und Mitarbeiter können nur versuchen, möglichst viel aufzufangen.

"Es wird so viel über die Folgen für die Wirtschaft geredet", meint Müssigmann. "Aber die Folgen für die Gesellschaft werden ebenso gravierend sein. Ängste werden zunehmen." Das gehe auch der Heimleitung so. "Wir müssen nach bestem Gewissen Entscheidungen treffen, können aber nie ganz sicher sein, ob es letztendlich auch die richtigen waren."