Heinz Ziegler ist seit 90 Jahren in Wittendorf. Der Glaser repariert für Freunde noch immer Fenster.Foto: privat Foto: Schwarzwälder Bote

Porträt: Dorforiginal feiert Geburtstag / Amüsante und spannende Anekdoten aus anderen Zeiten / Arbeit prägt das Leben

Er ist ein Dorforiginal. Viele kennen ihn nur als den Glaser aus Wittendorf. Glaser ist Karl-Heinz Ziegler nur noch hobbymäßig. Für Freunde repariert er in seiner Werkstatt Fenster und Bilderrahmen. Und das, obwohl er an diesem Montag, 24. August, schon 90 Jahre alt wird.

Loßburg-Wittendorf. Der "trockene Stammtisch" von Karl-Heinz – besser bekannt als Heinz – Ziegler steht in seiner großen, urigen Werkstatt zwischen Werkzeugen, Maschinen und Regalen, über und über voll mit allem, was man als Glaser so braucht. In einer Ecke liegt ein Stapel Holzscheite, den er selbst eingeschlagen hat, an der Wand gegenüber hängen Bilder. Darunter ist eines, das ihn zeigt wie er leibt und lebt: mit grüner Arbeitsschürze an seiner langen Werkbank über ein Fenster gebeugt, an dem er arbeitet.

Die Werkbank bekam den Spitznamen "trockener Stammtisch" vor langer Zeit. Freunde und Bekannte aus dem Ort kommen regelmäßig vorbei und versammeln sich um den Holztisch herum, dann wird gewerkelt oder man tauscht sich einfach aus. "Die Leute kommen gerne auf ein Schwätzle hierher, weil es so heimelig ist", sagt Ziegler und schaut sich in seiner Werkstatt um, die noch echten Charakter hat. "Oder weil hier gut geheizt ist und sie es daheim nicht warm haben", scherzt der Mann.

Ursprünglich war dort einmal ein Stall, angebaut an das Haus, in dem Ziegler geboren wurde. Seine Familie betrieb Landwirtschaft, in die er von Kindesalter an eingebunden war. Als er sein Glasergeschäft eröffnete, baute er den Stall kurzerhand zur Werkstatt um.

"In den Beruf bin so hineingerutscht", erinnert sich der 90-Jährige. Etwa um das Jahr 1947 habe seine Familie an ihr Haus angebaut. "Man braucht Fenster, wenn man baut", habe sein Vater gesagt. Es habe damals aber keinen Glaser in Wittendorf gegeben, meint Ziegler. "So bin ich auf die Idee gekommen, eine Ausbildung zu machen." Die sei allerdings nicht sehr befriedigend gewesen. "Ich musste Heu holen und die Tiere vom Meister füttern. Obwohl ich Glaserlehrling war!" 15 D-Mark habe er mit seinen 20 Jahren bekommen – pro Monat. "Aber damals hat man dafür auch noch mehr bekommen."

Seine Meisterprüfung legte er in Reutlingen ab, dann war er auf Arbeitssuche. "Mit dem Motorrad bin ich bis nach Stuttgart gefahren, aber keiner wollte mich einstellen", sagt Ziegler. Eine Bekannte habe ihn dann an eine andere Glaserei in Sindelfingen vermittelt. Dort verbrachte er vier Jahre. "Da habe ich erst einmal richtig Glas schneiden gelernt und alles, was man als Glaser können muss." Zurück nach Wittendorf ging es für Ziegler, als seine Eltern krank wurden und seine Hilfe in der Landwirtschaft brauchten. "Ich habe drei Geschwister, aber die sind auch alle weg. Ich war der einzige, der in der Nähe war." Alles hing an ihm. Deswegen habe er sich Werkzeuge gekauft und eine Glaserei im Elternhaus eröffnet.

In den Hotels hat er heimlich die Fenster repariert

"Es gab Zeiten, in denen ich bis nachts um ein Uhr gearbeitet habe und um sechs Uhr wieder aufgestanden bin", meint Ziegler. Er habe hart geschuftet und das Geschäft sei gut gelaufen. "Trotzdem konnten wir nicht in Saus und Braus leben", aber er sei zufrieden gewesen. "Ich habe den Urlaub Lebtag nicht vermisst. Ein Tag ohne Arbeit ist ein verlorener Tag", findet er. Vor Jahren habe er einmal einen Bandscheibenvorfall gehabt. Der Arzt habe die Wirbel versteifen wollen, doch dann hätte Ziegler nicht mehr arbeiten können. "Ich habe die Operation nicht machen lassen. Ich habe mich drei Tage ins Bett gelegt und danach weitergearbeitet", meint er und zuckt mit den Schultern. "Es war schwer, überhaupt mit dem Arbeiten aufhören zu müssen, aber mit fast 90 geht es dann eben nicht mehr so."

Mit 35 Jahren habe er eine "geschickte Frau" gefunden, die ihm eine große Stütze war. Aus der Ehe ging Sohn Gunther hervor. "Sie hat sich um Kind und Haushalt gekümmert und um das Geschäft und die Buchhaltung. Sogar die Fensterrahmen hat sie gestrichen", erzählt der Mann. Seit seine Frau im Jahr 2013 verstarb, fehlt sie ihm sehr.

Das einzige Hobby von Karl-Heinz Ziegler war der Männergesangverein Wittendorf. Dort war er 50 Jahre lang aktiv. Die Ausflüge mit dem Verein waren sein Jahresurlaub. Und selbst dort konnte er die Arbeit nicht ganz beiseite lassen. Seine Freunde erzählen immer gerne schmunzelnd, wie der Glaser stets sein Werkzeug mit auf die Reisen genommen habe, um in den Hotelzimmern die kaputten Fenster zu reparieren. Ob die Hotels sich bedankt haben? "Wenn die das gemerkt haben, war ich immer schon wieder weg", sagt Ziegler und lacht.

"Bratwursthochzeit" war wie ein Volksfest mit dem ganzen Dorf

Die anderen großen Tage im Jahr waren die Hochzeiten. "Die waren offen für alle. Da hat sich immer das ganze Dorf getroffen", erklärt Ziegler die Gepflogenheiten von früher. "Das waren die einzigen wirklichen Events im Jahr." Nur eine Woche vor seiner Hochzeit haben Bekannte im Dorf ebenfalls geheiratet. Die Musikkapelle habe ihm so gut gefallen, dass er sie direkt für seine Hochzeit in der nächsten Woche bestellte. "Aber die Musiker waren teuer, und wir hatten kein Geld", meint Ziegler. "Die mussten warten bis nach der Hochzeit. Dann konnte ich den Großteil von dem Geld, das wir geschenkt bekommen haben, direkt an die Kapelle weiterreichen", erinnert er sich und lacht. Aber wenigstens sei die Hochzeit 1965 gelungen, mit guter Musik und Bratwürsten. Seine "Bratwursthochzeit", wie er sie nennt, die sei wie ein Volksfest gewesen. Mit Suppe, Kartoffelsalat, Würsten, Weckle und einem Schoppen Wein dazu. "Das war toll!" Nur geregnet habe es leider.

Verregnet war im übrigen nicht nur Zieglers Hochzeit, sondern auch seine Konfirmation, viele Jahre zuvor. "Ich hatte diesen Lumpensack an, und an den Schuhen haben die Zehen vorne raus geguckt", erzählt der Mann. "Bis ich zur Kirche gelaufen war, war ich völlig durchnässt."

Es sei hart gewesen, in und nach dem Krieg. "1937 ging die Schule für mich los, 1944 war sie zu Ende, weil es keine Lehrer mehr gab." Zu essen habe seine Familie meistens gehabt. Im Vorteil seien die gewesen, die Landwirtschaft betrieben. "Aber die Leute aus der Stadt sind zum Betteln gekommen. Es waren miserable Zeiten."

Von der Landwirtschaft der Familie sind bis heute einige Bäume und Felder übrig geblieben, auf denen Ziegler noch arbeitet, so gut es geht. Was er jedoch nie aufgeben will, ist seine Werkstatt und die Zeit am "trockenen Stammtisch". Wenn er sich dort mit seinen Freunden unterhält, ist er zufrieden. Und wenn er denen dann auch noch helfen kann, indem er an ihren kaputten Fenstern arbeitet, dann ist alles, wie es sein muss.