In Baden-Württemberg fließen bundesweit die geringsten Finanzmittel für Rettungskräfte / Hilfsfrist wird oft nicht eingehalten

Von Jürgen Bock

Stuttgart. In Stuttgart haben die Rettungskräfte über Jahre gesetzliche Vorgaben nicht erfüllt. Dort hat sich einiges gebessert. Doch es gibt in Baden-Württemberg ein Problem: In keinem Bundesland bezahlen Krankenkassen weniger für die Notfallrettung.

Im Stuttgarter Rathaus schrillen nicht länger die Alarmglocken. In der Landeshauptstadt hat die Notfallrettung nach Reformen zuletzt große Fortschritte gemacht. Das hat die Krankenkassen einiges an Geld gekostet. Zusätzliche Notärzte und neue Rettungswagen waren notwendig, um die Versorgung der Menschen zu sichern. Dagegen sieht es in vielen Landkreisen mau aus. Dort tun sich die Retter noch immer schwer. Eine Erhebung unserer Zeitung zeigt jetzt, dass die landesweiten Probleme auch an der Finanzierung liegen können.

Demnach hat die AOK, bei der fast jeder dritte Deutsche krankenversichert ist, im Jahr 2012 in den einzelnen Ländern äußerst große Unterschiede vorzuweisen. In Baden-Württemberg hat sie lediglich gut 29 Euro pro Versichertem in die Notärzte und Rettungswagen investiert. In allen anderen Ländern war es teils deutlich mehr. Die Spitzenreiter bringen es auf 60 bis 70 Euro pro Kopf. Fachleute kritisieren, dass damit auch Qualitätsunterschiede verbunden sein müssen.

Für die Beteiligten sind die Zahlen neu. Offenbar sind sie zuvor noch nie erhoben worden. "Eine Ländervergleichsstudie über die Ausgaben der gesetzlichen Kassen im Bereich des Rettungswesens ist dem Bundesministerium für Gesundheit nicht bekannt", heißt es dort hölzern. Auch beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen kennt man keinen anderen Vergleich. Allerdings weiß man, dass die Kassen zuletzt insgesamt gut zwei Milliarden Euro pro Jahr für Rettungswagen und Notärzte ausgegeben haben. Der Anteil der AOK ist mit gut einer Milliarde hoch. Experten gehen davon aus, dass die Unterschiede bei der AOK problemlos auch auf die anderen gesetzlichen Kassen übertragbar sind.

Bei der AOK betont man, die unterschiedlichen Ausgaben hätten "in keiner Weise mit der Qualität der Versorgung" zu tun. Der Hauptgrund sei, dass die Vorhaltekosten des Rettungsdienstes sich in strukturschwachen Regionen auf weniger Einsätze verteilten als in Ballungszentren, sagt eine Sprecherin. Diese These wird durch die Zahlen nicht gestützt. Sowohl im dicht besiedelten Hamburg als auch im ländlichen Brandenburg liegen die Ausgaben höher als im Südwesten.

Experten glauben deshalb, dass der Grund in unterschiedlichen Strukturen liegt. "In anderen Bundesländern haben die Kassen weniger Einfluss", sagt Eduard Kehrberger. Der Notarzt und Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte kritisiert, dass anderswo meist die Kommunen festlegen, was an Notärzten und Rettungswagen benötigt wird, während in Baden-Württemberg Rettungsorganisationen und Kassen direkt verhandeln. Weil beide dabei einen Stimmenanteil von 50 Prozent haben, sind Pattsituationen möglich. Der Fachmann fordert:  "Wenn man rasch vorankommen wollte, müsste man im Land diese Aufgabe kommunalisieren oder zumindest die Pattsituation auflösen."

Innenministerium sieht das Land im Vergleich vorne

Im Innenministerium Baden-Württemberg, das den Rettungsdienst vor zwei Jahren vom Sozialministerium übernommen hat, sieht man die Notfallrettung im Land trotz der geringeren Finanzmittel gut aufgestellt. "Die Tendenz überrascht uns aber nicht", sagt Referatsleiter und Landesbranddirektor Hermann Schröder. Er führt die niedrigere Summe ebenfalls auf das Selbstverwaltungsprinzip zurück. Weil die Rettungsorganisationen hier direkt mit den Kassen verhandelten, seien die Gremien "sehr wirtschaftlich orientiert". Unsicher sei der Rettungsdienst deshalb nicht: "Wir sehen uns im Ländervergleich eher vorn."

Gleichwohl gebe es Verbesserungsmöglichkeiten. Anhaltspunkte solle die zentrale Qualitätssicherungsstelle im Land liefern, die vor Kurzem ihre Arbeit aufgenommen hat. Nicht immer, betont Schröder, seien die finanziellen Mittel entscheidend: "Man kann auch vieles organisatorisch regeln." Zudem soll der Landesrettungsdienstplan, in dem Details der Notfallrettung geregelt werden, Anfang des nächsten Jahres überarbeitet werden. "Wir wollen, dass der Rettungsdienst weiter verbessert wird", sagt Schröder. Und, in Richtung der Kassen: "Die Zahlen zeigen, dass auch finanzieller Spielraum dafür besteht." Die Stadt Stuttgart hat es vorgemacht.