Sie setzen sich für Teilhabe und Integration ein (v.l.): Annette Windhausen, Sinad Gottschalk, Gudrun Schubert und Shakila Paynda Foto: Bernhard Konrad

Im Interview berichten Stiftungsgründerin Gudrun Schubert und die Mitarbeiterinnen Sinad Gottschalk, Shakila Paynda und Annette Windhausen über die vielfältigen Aufgaben.

Frau Schubert,  zu welchem Zweck haben Sie die Stiftung vor 20 Jahren gegründet?

 

GUDRUN SCHUBERT: Ich wollte  dazu  beitragen, dass muslimische Frauen und deren Kinder bei uns die  Chance einer guten Ausbildung bekommen.

Als Islamwissenschaftlerin habe ich fünf Jahre mit meinem Ehemann in Istanbul gelebt, phasenweise auch in anderen Ländern als der Türkei.  Auf diesen Reisen habe ich immer wieder wunderbare Frauen kennen gelernt. Viele hatten nicht die Bildungsmöglichkeiten, die wir haben, oder konnten sie nicht nutzen.

Da ich nicht wusste, ob mein Konzept trägt, wurde  die Schubert Durand Stiftung zunächst als Treuhand-Stiftung unter dem Dach der Lörracher Bürgerstiftung gegründet, 2011 ist sie dann selbstständig geworden, wobei die Zusammenarbeit nach wie vor sehr eng ist. 

Wie fördert die Schubert-Durand-Stiftung?

GUDRUN SCHUBERT: Anfangs, indem wir etwa in   Kindergärten vorgelesen haben. Diese Sprachförderung wird mittlerweile vom Landesprogramm „SprachFit“ über die Bürgerstiftung geleistet.   Sprachförderung an Grundschulen haben wir ebenfalls  angeboten.  An der Kinderbuchmesse haben wir uns schon früh beteiligt.  Einzelförderung  war von Beginn an Teil unseres Konzepts, etwa durch finanzielle Unterstützung: Meist werden zwei junge Frauen im Studium oder in einer Ausbildung gefördert. Ein weiteres Feld war Sozialberatung für Frauen – insbesondere aus der Türkei.  Später brauchten mehr und mehr   afghanische Familien unsere  Hilfe.

ANNETTE WINDHAUSEN: Wir arbeiten viel mit Frauen aus Afghanistan und unterstützen sie bei unterschiedlichen Fragestellungen und Herausforderungen, unter anderem mit Praktika oder Elternkursen.

SHAKILA PAYNDA:    Ich stamme selbst  aus Afghanistan und war  in unterschiedlichen Zusammenhängen Ansprechpartnerin für afghanische Frauen. 

Die Kulturen unterscheidet sich erheblich, im Alltag ergibt sich  die Notwendigkeit zahlreicher Hilfestellungen.

Sie fördern mittlerweile nicht ausschließlich Kinder und Jugendliche, sondern ganze  Familien. 

GUDRUN SCHUBERT: Es ist wichtig, dass wir bei unserer Arbeit  die gesamte Familie in Betracht ziehen und entsprechend berücksichtigen. Wir haben die Satzung zudem dahingehend geändert, dass auch die Förderung von Jungs möglich sein kann. 

Was sind die unterschiedlichen Bedarfe für Kinder und Jugendliche im Besonderen sowie  der Familie als Gesamtgebilde?

ANNETTE WINDHAUSEN: Im Februar  2024 haben wir ein neues Projekt begonnen, das von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert wird, bei dem es genau um diese Fragestellung geht:  Die Stärkung von Kindern und die Förderung der gesamten  Familie. 

Wir unterstützen die Kinder im schulischen Bereich, schauen nach ihren Talenten und möglichen Hobbies,  spielen und basteln aber auch mit ihnen.

Machen die Eltern mit?

SHAKILA PAYNDA: Das ist bei vielen Familien zunächst keine Selbstverständlichkeit. Man muss das in der Regel mit Telefonaten vorbereiten.  In Deutschland ist Pünktlichkeit sehr wichtig. In Afghanistan gibt es  keine organisiere Freizeit, wie wir sie kennen. Kinder bewegen sich meist in der Familie. Aber die richtige Freizeit, die Kinder wollen und auch benötigen, die gibt es in diesem Sinn in Afghanistan kaum.  Bei manchen Familien klappt die Teilnahme  an den Angeboten gut, bei anderen arbeiten  wir noch dran.

ANNETTE WINDHAUSEN: Unsere Kinder haben vielleicht auch nicht immer Lust,   am einen oder anderen Angebot mitzumachen, aber für diese Kinder ist es  wichtig –  allein schon, um die Sprache und Fähigkeiten des Miteinanders zu erlernen. 

Wie hoch ist aus Ihrer Sicht die generelle Integrationsbereitschaft der Familien?

SHAKILA PAYNDA: Bei manchen Familien kommen die Informationen, die wir kommunizieren, sehr schnell an, das merken wir.  Dann klappt das mit dem Kindergarten, der Schule, Freizeitangeboten und Terminabsprachen.  Bei anderen Familien ist es  schwieriger. Wir versuchen dann  deutlich zu machen, wie wichtig bestimmte Dinge sind und welche Chancen das Land bietet – wenn man sie nutzt.

Lassen Sie mich bitte noch einige Sätze zu den Menschen aus Afghanistan sagen: Wir dürfen ihre oft langjährigen Kriegserfahrungen nicht außer Acht lassen.  Fast alle Familien haben mehrere Tote zu beklagen. 40 Jahre Krieg hat die Menschen traumatisiert, zerrissen, manche haben nie richtig gelebt.  Viele Männer und Frauen – und auch die Kinder – haben ihre Träume vergessen. Wer seine Träume vergisst, dem fehlt  der Sinn, es geht nur ums Überleben. Sie beginnen hier  wirklich bei Null. Aber ich wollte diese Arbeit machen, die Familien ermutigen, sich  den Gepflogenheiten in Deutschland anzupassen, das Leben neu zu denken, die Möglichkeiten zu sehen. Aber dieser Prozess ist nicht leicht.

GUDRUN SCHUBERT: Es ist Kärrnerarbeit. Manchmal ist diese  mit Enttäuschungen verbunden, aber immer wieder auch mit großer  Freude über das Gelingen  unserer Anstrengungen. Sie müssen sich die Fluchterfahrungen dieser Familien vor Augen führen:  Es dauert seine Zeit, bis diese Menschen ankommen.

Eine zentrale Aufgabe der Stiftung ist  die Förderung junger Frauen. Nicht jede Anstrengung kann zum Erfolg führen. Aber Sie sehen, dass Ihr Engagement wirkt?

SINAD GOTTSCHALK:  Wir konnten dank der Unterstützung der „postecode Lotterie“ etliche  Frauen   bei der Ausbildung oder im Studium unterstützen. 

Und wir konnten  dabei helfen, dass einige junge Frauen in eine  Festanstellung übernommen  wurden. Was uns hilft, ist das große Netzwerk an Kooperationspartnern.

Wer sind Ihre wichtigsten Partner?

ANNETTE WINDHAUSEN: Zu nennen sind unter anderem der Werkraum Schöpflin, der SAK, das Dreiländermuseum, „direct help better future“,  Kirchen, die Frauenberatungsstelle sowie das  Integrationsmanagement von Stadt und Landkreis.

 

SINAD GOTTSCHALK: In der Stiftung selbst arbeiten wir mit fest angestellten Kolleginnen, frei schaffenden Experten und Honorarkräften sowie vielen ehrenamtlich engagierten Mitarbeitern. 

Wie nehmen Sie das Erstarken der AfD und  deren Vorstellungen – etwa zum Thema der so genannten Remigration – wahr?

SHAKILA PAYNDA: Ich selbst  habe bis heute keine schlechten Erfahrungen in  Deutschland gemacht. Lediglich einmal hat mich jemand gefragt, ob ich eine Islamistin sei. Das hat mich sehr getroffen. 

Begriffe wie „rechtsextrem“ und was damit verbunden ist,  stießen früher   auf breite Ablehnung. Rechtsextrem, das  war außerhalb der Gesellschaft.  Heute ist der Begriff fast Mainstream und zum Allerweltswort geworden. 

SINAD GOTTSCHALK: Es gibt schon Ängste. Mich hat ein siebenjähriges Mädchen mit Migrationshintergrund gefragt, ob sie und ihre Familie Deutschland verlassen müssen, wenn die AfD an die Regierung kommt. Wir merken, dass das Thema in den Familien arbeitet, bei Kindern verändern sich die gemalten Bilder. Selbst mein Vater, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, spricht heute davon, dass er nicht weiß, ob er hier bleiben kann – und das erschreckt mich. Die Verunsicherung und die Ängste sind größer geworden.  

Wenn Sie  auf die Arbeit ihrer Stiftung, insbesondere die Situation von Mädchen mit Migrationshintergrund schauen: Hat sich viel zum Positiven entwickelt?

GUDRUN SCHUBERT: Es hat sich viel getan. Aber: Es hat sich auch etliches rückwärts entwickelt.

Vor allem bei der dritten Generation mit Migrationshintergrund erleben wir hier und  da verstärkt einen Rückzug in fundamentalistische Kreise – insbesondere bei den Männern, aber   auch bei Frauen.  Ich bin mir  selbst noch nicht ganz klar darüber, ob dieser Impuls aus der Verunsicherung heraus kommt, dass sich die Leute in eine scheinbar durch Familie und Herkunft gesicherte Existenz zurückziehen wollen. Das ist eine Entwicklung, die mich bedrückt. 

Die Gleichzeitigkeit  ermutigender und zäher  Entwicklungen von Erfolgen und Rückschlägen  sind Teil der vergangenen 20 Jahre. Haben Sie sich das so vorgestellt, Frau Schubert? 

GUDRUN SCHUBERT: Wir haben erkannt, wie groß die Not ist und nach und nach unsere praktische Arbeit entlang der Bedürfnisse weiterentwickelt, denn wir wollten nicht nur Stipendien vergeben.  So sind wir und die Stiftung gewachsen.  Bis heute.