Anfang September protestierten in Belgrad Tausende gegen das geplante Bergwerk der Firma Rio Tinto. Foto: AP/ /Darko Vojinovic

In Serbien soll Europas größtes Lithium-Bergwerk entstehen – doch es mehrt sich der Widerstand von Anwohnern und Umweltschützern.

Belgrad - Gemächlich tuckert ein roter Traktor über die Hauptstraße im westserbischen Weiler Brezjak. Von der Anhöhe hinter dem Friedhof weist Momcilo Alimpic über die Felder der weiten Ebene des Jadar-Tals. Für das Bergwerk solle eine „der fruchtbarsten Regionen Serbiens zerstört werden“, sagt der bärtige Obstbauer und Vorsitzender der Bürgerbewegung. „Lasst uns Jadar und Radjevina schützen“, sagt er bitter, und : „Sie wollen uns wie Indianer und Aborigines ins Reservat sperren.“

2,4 Milliarden Dollar will der australisch-britische Bergbaukonzern Rio Tinto in das geplante Lithium-Bergwerk bei Loznica investieren. Ab 2026 soll das „Jadar“-Werk jährlich 58 000 Tonnen Lithiumcarbonat produzieren – und den Konzern in die Riege der zehn größten Lithium-Produzenten der Welt katapultieren. „Jadar könnte genug Lithium liefern, um jährlich über eine Million Elektrofahrzeuge anzutreiben“, frohlockt Konzernchef Jakob Stausholm.

Bei der „grünen Transformation“ Europas werde Serbien das „Zentrum für Lithium“ sein

Das Jadar-Projekt sei weder ausreichend untersucht noch transparent, warnen Professoren von Serbiens Akademie der Wissenschaften in einem offenen Brief an die Regierung vor „inakzeptablen Risiken“. Eine Gefahr sei der hohe Arsengehalt des Erzes, so der Chemieprofessor Bogdan Solaja: Bei einer Laufdauer von 40 Jahren könnten 6000 Tonnen Arsen auf den Abraumhalden landen. Ein weiteres Risiko sei „die große Wahrscheinlichkeit“, dass das Bergwerk die Grundwasserreserven „komplett zerstören“ werde: Im Fall eines Störfalls auf der Deponie sei die Trinkwasserversorgung in der Region und die von zahlreichen Städten entlang der Drina und Save bedroht. Zumindest der Unterstützung der Regierung kann sich Rio Tinto sicher sein. Bei der „grünen Transformation“ Europas werde Serbien das „Zentrum für Lithium“ sein, verkündete Regierungschefin Ana Brnabic hoffnungsfroh im letzten Jahr: „Gemeinsam mit Rio Tinto werden wir hier Potenzial für die Produktion von Batterien und Elektroautos entwickeln. Wir wollen aus dem Mineral für alle den größtmöglichen Nutzen ziehen – nicht nur in Loznica, sondern in ganz Serbien.“

Leere Fensterhöhlen und abgedeckte Dächer künden in Brezjak von der gelobten Zeitenwende. „Privatgrundstück, Zutritt verboten“, prangt auf den Schildern vor den unwohnbar gemachten Einfamilienhäusern. „Die Ruinen sollen diejenigen entmutigen, die ihre Liegenschaften nicht an Rio Tinto verkaufen wollen“, sagt die Französisch-Lehrerin Marija Alimpic. Der Konzern lasse einen Sicherheitsdienst in den Dörfern patrouillieren: „Sie wollen den Psychodruck auf die Leute erhöhen, die noch da sind.“

Die steigende Nachfrage nach Lithium sorgt für anziehende Preise - und Begehrlichkeiten. Serbien habe mit seinen Lithium-Vorkommen ein „hohes Gut“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihre Belgrader Abschiedsvisite im September: „Wenn sich die ganze Welt dafür interessiert, sind wir auch interessiert. Das ist klar.“ Deutschland verfüge selbst über größere Lithium-Vorkommen als Serbien, kommentierte die Zeitung „Nova“ spitz. Serbien habe aber etwas, „was viel mehr wert“ sei: „Es hat Bürger, die ihr Land nicht für einen Sack voller Lithium-Dollars zerstören wollen.“

Es existiere „keinerlei Vereinbarung“, beteuert die Energieministerin

„Leben ja, Bergwerk nein“, prangt am Ortseingang von Trsic ein grün-braunes Banner. Sollten die Konzernpläne verwirklicht werden, könnte er allein wegen der Lärmbelästigung das von ihm betriebene Altersheim gleich schließen, sagt Milan Starcevic. Der hagere Serbe spricht von einer „stillen Besatzung“: „Heute werden um Ressourcen keine Kriege mehr geführt: Sie werden einfach gekauft.“

Mehr als 30 Prozent der Serben sind laut einer Umfrage strikt gegen eine Konzession für Rio Tinto, mehr als 60 Prozent würden diese nur unter harten Umweltauflagen erteilen. Es ist der wachsende Widerstand von Serbiens erstarkter Umweltschutzbewegung, der Belgrad mit dem offiziellen grünen Licht noch zögern lässt. Im Sommer kündigte Staatschef Aleksandar Vucic ein nicht näher spezifiertes Referendum an.

Nach Kräften bemüht sich die Regierung derweil Presseberichte zu dementieren, wonach Vucic mit dem Segen der EU und der USA Rio Tinto die Betriebsgenehmigung bereits zugesagt habe – und die Bauarbeiten unmittelbar nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im April beginnen sollten. Es existiere „keinerlei Vereinbarung“, beteuert Energieministerin Zorana Mihajlovic: „Bevor die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht abgeschlossen ist, wird es keine Entscheidung über das Bergwerk geben.“

Erweisen sich die Lithium-Vorkommnisse im Jadar-Tal als Serbiens „weißes Gold“ oder Fluch? Mehr als 2000 Jobs bei den auf vier Jahre veranschlagten Bauarbeiten und langfristig 1000 Arbeitskräfte auf dem Bergwerk gelobt Rio Tinto. Doch dem stehen allein in der Region Loznica 19 000 Landwirte gegenüber. Die Regierung verspricht sich durch die erhoffte Ansiedlung von Batterie-Produzenten zwar einen industriellen Quantensprung. Doch die Region dort lebt eigentlich hauptsächlich von der Landwirtschaft – und dem Tourismus.

Zwar verspricht der Konzern „neue innovative Technologien“ für den Lithiumabbau. Doch es ist auch sein rabenschwarzer Ruf, der in Serbien auf Skepsis stößt. Ob in seinen Bergwerken in Australien, Papua Neuguinea, Indonesien, Madagaskar oder Mongolei: Auffällig oft hat der Konzern für heftige Kontroversen über verseuchte Flüsse, Korruption und die Zerstörung geschützter Kulturdenkmäler gesorgt.

Der bärtige Pope vor der Dorfkirche von Brezjak hat keine Zeit. Das Gotteshaus könne man fotografieren, für Aussagen über das Bergwerk stehe er nicht zur Verfügung, sagt er. „Unsere Popen haben den Kommunismus überstanden und nehmen nun Geld von einem Konzern, der die Leute vertreibt“, ärgert sich der Obstbauer Momcilo Ampilic: „Sie versuchen hier überall reinzukommen. Sie schmieren und kaufen mit ihren Spenden Schulen, Sportvereine, Kulturzentren – und auch die Kirche.“

„Um mit Elektro-Autos das Gewissen zu beruhigen, soll Natur zerstört werden“

Falls die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht das erwünschte Ergebnis liefere, werde die Regierung das Projekt per Referendum durchzusetzen versuchen, fürchtet Obstbauer Momcilo Alimpic: „Wir sollten uns keineswegs darauf einlassen.“

Über den Feldern von Brezjak krächzt ein Rabe. Von einer „grünen Agenda“ wie von der EU behauptet könne bei der „weltweiten Schaffung neuer Opferzonen“ keine Rede sein, sagt beim Abschied die Lehrerin Marija Alimpic: „Lithium ist keine Lösung. Um mit dem Komfort des Fahrens von Elektro-Autos das eigene Gewissen zu beruhigen, soll hier ein riesiges Gebiet unberührter Natur zerstört werden.“