Das Experiment hat einmal mehr funktioniert: Wofür Holger Much sonst Tage braucht, das hat er während der Lesung von Robert Corvus in 45 Minuten geschafft – fast perfekt.
Albstadt-Ebingen - "Feind", "Knecht" und "Herr" – so heißen die Bände der Romantrilogie von Robert Corvus über "Die Schattenherren", einer düsteren Geschichte über böse Gestalten, den nichts schaden kann außer Silber, und die mit ihren schwarzen Herzen ein Land nach dem anderen in die Knechtschaft treiben. Aus seinem Fantasy-Werk hat Robert Corvus, der als Größe seiner Zunft gilt, am Donnerstagabend im Kunstmuseum gelesen. Genauer: In der Ausstellung "Storytelling".
Dort hängt auch ein Linolschnitt des Albstädter Künstlers Holger Much. Er zeigt "King Death", den König des Todes, und der hat gewisse Ähnlichkeit mit dem Kerl, den Much während der Lesung seines Freundes zeichnet. Das tut er mit einem elektronischen Stift auf einem iPad Pro, wirft das Bild an die Wand, während es entsteht, so dass die Zuschauer live verfolgen können, wie aus einem weißen Nichts eine düstere Landschaft wird, in der ein grimmiger alter Mann mit schwarzem Umhang und Zylinder seine knöchrigen Hände kreuzt und mit rot funkelnden Augen seine Betrachter fokussiert.
Das Gesicht ist finster – der Künstler nicht
Werkzeuge wie "zerlaufene Tusche" und "Copperhead", den Kupferkopf, wählt Much aus der Palette aus, zeichnet erst den Boden mit Raureif darauf, dann die Bergkette im Hintergrund, die langsam Kontur bekommt, ehe er sich an den Schattenherrn macht. "Was kommt jetzt?" mögen die Zuschauer denken, die konzentriert der ruhigen, einfühlsamen Stimme von Robert Corvus lauschen und dabei gebannt auf die Leinwand schauen, auf der ein finsteres Gesicht mit spitzem Kinn, höckriger Nase, tiefen Augenhöhlen und einem reich verzierten Hut – nur scheinbar langsam – Gestalt annimmt.
Angst vor der Leere
Holger Much habe den "Horror vacui", erklärt Direktor Kai Hohenfeld lachend im anschließenden Interview: Er sei bekannt für die Fülle von Ornamenten, die in diesem Fall den Zylinder zieren. "Unter fünf Tagen arbeite ich an einem solchen Bild sonst nicht", erklärt der Albstädter, im Brotberuf Journalist, "und schon an einer Nase kann ich einen ganzen Abend lang sitzen." Beim Live-Zeichnen müsse er "unglaublich viele Kompromisse machen" und habe dann "manchmal Schmerzen dabei". Dennoch ist das Bild für ihn nach 45 Minuten "fertig" – weil es einfach in den Kontext dieses Abends gehört, obwohl er "immer wieder auf die Uhr schauen" musste und noch ein paar Striche fehlten, als Corvus sein Buch zuklappte. Vielleicht ein bisschen will er noch daran schleifen und dann zehn Drucke anfertigen, sie signieren und dann verkaufen.
Einer der gefragtesten Illustratoren bundesweit
Fans, die Interesse haben, hat Holger Much reichlich, zählt in der Fantasy-Szene zu den gefragtesten Illustratoren bundesweit. Dasselbe gilt für Robert Corvus – wohl nicht zuletzt deshalb, weil er auch zum Stab der "Perry Rhodan"-Autoren gehört – eine Science-Fiction-Reihe, die er selbst an einem Drehständer entdeckt hat.
Wenn er schreibt, so verrät er im Gespräch mit dem Direktor des Kunstmuseums, dann hört er gerne Musik, "weil sie eine bestimmte Stimmung transportiert". Setzt er sich nach einer Pause dann wieder an die Tastatur, dann spielt er dieselbe Playliste wieder ab – und ist schwups wieder in dieser Stimmung. Doch wer meint, Corvus brauche zugezogene Vorhänge und Spinnennetze über schwachen Lämpchen, um seine gruseligen Welten zu erschaffen, der irrt: "Den dritten Band der Trilogie habe ich beim Pilgern auf dem Jakobsweg geschrieben", verrät er grinsend.
Der zweite Abend mit Much ist schon ausverkauft
Zu den Literaturtagen trägt Much mit einem zweiten Abend bei: "Märchen, Musik und ein wenig Malerei" ist "ein klangvoller Abend", eine musikalische Lesung mit Wolfgang Joops Tochter Florentine, die Much tatsächlich "im Internet kennengelernt" hat, und dem Gitarristen Panka Pfau. Er und die Kinderbuchillustratorin, Malerin und Autorin schreiben sich Briefe, erzählen sich darin ein Märchen. Das Ergebnis ist ein Briefroman, und dazu stellen Much und Joop eigene Bilder und Drucke aus. Die schlechte Nachricht für alle, die am Donnerstagabend zu Fans geworden sind: Der Abend des 16. November im Maschenmuseum Tailfingen ist bereits ausverkauft. Dafür aber nutzen die Zuhörer und -schauer nach der literarisch-künstlerischen Melange im Kunstmuseum noch die Chance, mit Much und Corvus zu plaudern – Gesprächsstoff bietet das Fantasy-Genre mehr als genug.