Wer eine halbe Stunde am Tag liest, lebt länger. Das haben Forscher der Yale University herausgefunden. Foto: imago images/Maskot

In Zeiten von Krieg, Inflation und Energiekrise wächst der Wunsch, einfach mal in eine andere Welt abzutauchen. Wie das ohne Schnorchel und Neoprenanzug geht, verrät eine Stuttgarter Buchhändlerin.

„Erneut Luftangriffe auf Kiew“, „Tote bei Protesten im Iran“, „Steigende Coronazahlen in Kliniken“. Die Welt fühlt sich an wie ein Emmentaler Käse – löchrig. Es sind Schlagzeilen wie diese, die nicht mehr „erschlagen“, sondern alltäglich geworden sind. Liveblogs informieren im Akkord und füllen mit Push-Mitteilungen alle Informationslücken auf.

Dem Alltag und seinen Schlagzeilen zu entkommen ist in einer Zeit von Handy und Smartwatch kaum möglich. Was dagegen hilft? „Lesen“, findet Buchhändlerin Lina Dobrowitz und fügt hinzu: „Es ist einfach Eskapismus.“ Laut dem Lexikon der Oxford Universität beschreibt Eskapismus den Wunsch nach Ablenkung von der Realität.

Leichte Literatur gefragt

Diesen Wunsch konnte Dobrowitz an ihren Kunden beobachten; seit dem Beginn der Pandemie und des Ukrainekonflikts sei vor allem leichte Literatur gefragt. „Weg von allem was schlimm und schlecht ist, hin zur heilen schönen Welt an der Nordsee“, erzählt Sie. Andererseits sei auch ein wachsendes Interesse an den Konflikten zu beobachten, „Es werden viele ukrainische und aktuell auch iranische Autorinnen und Autoren gelesen, auch Sachbücher“, berichtet Dobrowitz.

Wir haben Dobrowitz nach Buchtipps gefragt, die uns in der aktuellen Zeit eine Trittleiter zum Eskapismus bieten. Das sind ihre Vorschläge:

„Kummer aller Art“ von Mariana Leky

Trotz Weltgeschehenherzschmerz und eventuellem Coronakopfweh kann man sich diese kurzen Texte voller Wärme und Augenzwinkern prima zu Gemüte führen. Ursprünglich als Kolumnen für das Magazin „Psychologie Heute“ erschienen, verzaubert Mariana Leky in diesem Bändchen mit Alltäglichkeiten – herrlich und heilend in Zeiten großer Ungewissheit.

„Kummer aller Art“, Mariana Leky, Dumont-Verlag, 176 Seiten, 22 Euro

„Ich föhne mir meine Wimpern“ von Sirka Elspaß

In Lyrik finden wir uns wieder, auch wenn vielleicht gar nicht von uns und unseren Problemen – von den großen, den politischen, den Weltproblemen – die Rede ist. Dieses Debüt von Sirka Elspaß ist eigentlich eine wilde „Comig-of-Age“ Geschichte, nur eben in Gedichtform. Darüber hinaus berührt sie die grundlegenden menschlichen Fragestellungen nach Sinn und Unsinn, Schmerz, Trost, Angst und bietet unter anderem die Antwort: „Niemand steht über den Dingen, wir stehen alle mittendrin“.

„Ich föhne mir meine Wimpern“, Sirka Elspaß, Suhrkamp, 80 Seiten, 20 Euro

„So tun, als ob es regnet“ von Iris Wolff

Fragmente der Geschichte von Siebenbürgen, erzählt durch die Augen von Familienmitgliedern über vier Generationen – ein schmaler Band Sprachglück, der lebensklug und poetisch von Identitätsfragen und dem „Hin-und Her-geworfen-werden“ erzählt. Das Buch erschien erstmals 2017 in gebundener Form und wurde nun als wunderschönes Taschenbuch neu aufgelegt.

„So tun, als ob es regnet“, Iris Wolff, Klett-Cotta, 176 Seiten, 12 Euro

„Bergland“ von Jarka Kubsova

Eine Südtiroler Familiengeschichte über drei Generationen hinweg, die uns mitnimmt in die Natur der Alpen und in eine sich stetig verändernde Realität des Bergbauertums. Wunderschön, berührend und lehrreich.

„Bergland“, Jarka Kubsova, Goldmann, 288 Seiten, 20 Euro

„The Girl Who Fell Beneath the Sea“ von Axie Oh

Eskapismus pur: Das bietet der Fantasy Roman von Axie Oh. Und wie schön wäre es doch, wenn sich die Katastrophen unserer Zeit durch einen zu befreienden verfluchten Meeresgott wieder besänftigen ließen?! Wunderbar farbenfroh, mystisch und wirklich eine ganz andere Welt als die düstere unsrige. Bisher nur auf Englisch verfügbar.

„The Girl Who Fell Beneath the Sea“, Axie Oh, Hodder And Stoughton, 336 Seiten, 14,99 Euro

„Pokko und die Trommel“ von Matthew Forsythe

Ein fabelhaft lustiges Bilderbuch über Pokko und ihre Trommel, die wirklich der bisher größte Fehler als Geschenk war, den ihre Eltern Pokko gemacht haben (schlimmer noch als das Lama!). Die großartigen Illustrationen runden dieses perfekte Schmunzelbuch ab - nicht nur die Kleinsten werden sich hier prima ablenken lassen.

„Pokko und die Trommel“, Matthew Forsythe, Rotopol, 64 Seiten, 18 Euro