Das Spitzenduo der Linken für die kommende Landtagswahl sieht sich als echte Alternative.

Stuttgart - Das Spitzenduo der Linken für die Landtagswahl sieht sich nicht nur als Anti-Partei, sondern als echte Alternative.

Frau Aparicio, Herr Hamm, warum braucht die Linke eigentlich zwei Spitzenkandidaten?

Hamm: Weil es gute Tradition in unserer Partei ist und wir schon immer für Geschlechtergerechtigkeit gekämpft haben. In der Außenwirkung kann es außerdem kein Fehler sein, wenn eine symphatische, weltgewandte Frau und ein gestandener Gewerkschafter die Partei repräsentieren.

Aparicio: Ich denke auch, dass Frauenpolitik - ein Schwerpunkt unserer Arbeit - von Frauen gemacht werden sollte.

Mussten Sie lange überlegen?

Aparicio: Ich habe mich lange schwergetan mit der Entscheidung. Meine Bedenken sind auch als Migrantin, ob ich der Partei gerecht werden kann. Meine Genossen haben mich aber ermuntert, so dass ich als "alte Militante" nicht Nein sagen konnte (lacht).

Die Linke verharrt bei fünf Prozent. Wie erklären Sie sich das Ende Ihres Höhenflugs?

Hamm: Einen Höhenflug hatten wir nie wirklich. Wir sind eine junge Partei, und wenn man auf das Land schaut, haben wir uns kontinuierlich verbessert. Das Landesergebnis von 7,2 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 ist bei unseren Wählergruppen kein Maßstab für die Landtagswahl. Ich bin guter Dinge, dass wir in den Landtag kommen, aber es wird kein Selbstläufer.

Zwei zentrale Themen dieser Zeit - Atom und Stuttgart 21 - gehen völlig an Ihnen vorbei.

Hamm: Die öffentliche Wahrnehmung wird tatsächlich von den Grünen dominiert. Aber die sind im Landtag und haben die Bühne für sich. Wir werden diese Chance auch bekommen, wenn wir in den Landtag kommen. Was Stuttgart 21 angeht, werden wir über unsere Leute aus dem Landesvorstand und der SÖS-Die Linke-Gemeinderatsfraktion durchaus wahr- und ernstgenommen.

Aparicio: Es ist nicht so, dass wir den Zug verpasst hätten. Wir wurden nicht reingelassen. Die Grünen haben immer alles getan, um uns vom Bündnis gegen Stuttgart 21 auszuschließen. Ich kenne viele Stimmen von Protestseite, die sagen: Ihr müsst in den Landtag, ihr dürft den Grünen nicht das ganze Feld überlassen.

Welchen Kurs schlagen Sie gegen SPD und Grüne ein? Schmusekurs oder Konfrontation?

Hamm: Jede Partei hat ihre Positionen, die grenzen sich naturgemäß voneinander ab. Es gibt aber auch Schnittmengen. Deshalb macht es keinen Sinn, einen Gegenwahlkampf gegen SPD und Grüne zu führen. Natürlich stehen beide weiter für Hartz IV und Agenda 2010, aber ein Politikwechsel in Land und Bund ist nur möglich, wenn man auch auf die Schnittmengen schaut.

Bisher sind sie vor allem als Nein-Partei in Erscheinung getreten. Ist es nicht langsam an der Zeit für eigene Konzepte?

Hamm: Nein sagen ist wichtig; dort, wo man Grenzen setzen muss, etwa in der Frage der Umverteilung von oben nach unten. Aber wir sagen nicht nur Nein, sondern auch, was wir wollen: Die Wiedereinführung der Vermögensteuer beispielsweise für ein Fünf-Milliarden-Investitionsprogramm . . .

. . . Der gesamte Haushalt umfasst gerade mal 35 Milliarden.

Hamm: Das Programm ist durch die Vermögensteuer komplett gegenfinanziert. Die Steuer ist zwar Bundessache, kommt aber den Ländern zugute.

Wo ist ihr landespolitisches Alleinstellungsmerkmal?

Hamm: Was heißt Alleinstellungsmerkmal? Letztlich geht es immer um Verteilungsfragen. Eine zentrale Frage ist die nach der Finanzierung der Kommunen. Dort muss das Geld hin, und zwar beständig, denn dort findet Realpolitik, findet Kinderbetreuung statt. Die Gewerbesteuer muss konjunkturunabhängiger und zur Gemeindewirtschaftssteuer unter Einbeziehung aller Selbstständigen ausgebaut werden.

Aparicio: Da sich keine andere Partei ernsthaft um die Frühförderung von Migranten kümmert, betrachte ich auch das als Alleinstellungsmerkmal. 59 Prozent aller Grundschulkinder in Stuttgart sind ausländischer Herkunft. Dort muss man ansetzen. Doch die Kultusministerin werkelt lieber an der Werkrealschule herum.

Der Kurs der hiesigen Landesverbände von SPD und Grünen ist traditionell realpolitisch. Ist auch die Südwest-Linke weniger links als die Bundespartei?

Hamm: Sagen wir so: Hier wie da gibt es eine große Meinungspluralität. Ich selbst bin seit jeher Realpolitiker. Das hat sich auch durch meinen Parteiwechsel nicht geändert. Ich bin über Jahrzehnte in der innerbetrieblichen Auseinandersetzung und in der Kommunalpolitik geerdet. Da werden sie im Gespräch mit den Menschen immer in die Realität zurückgeholt - selbst wenn sie mal einen Ausflug machen sollten.

Aparicio: Ich glaube, dass ich eher die Visionärin bin. Es muss in diesem System, gerade in Baden-Württemberg, eine Umverteilung im Sinne einer gerechteren Welt geben. Die Kinder vom Hallschlag sollen die gleichen Chancen haben wie die Kinder vom Killesberg. Der Protest gegen Stuttgart 21 zeigt mir, dass man sehr wohl Einfluss auf die Politik nehmen kann - wenn man nur stark genug für die eigenen Belange kämpft.