Die Familie gerät unter Druck, von links Sebastian Schäfer, Carola Schwelien als Maria Bolz, Luca Zahn als Journalist, der die Tochter von Eugen Bolz, Mechthild Bolz (Linda Schlepps) befragt. Foto: Rapthel-Kieser

Er gab ihnen den kleinen Finger. Sie nahmen seine ganze Hand und schließlich sein Leben. Es ist die Lebensgeschichte von Eugen Bolz, des einstigen württembergischen Staatspräsidenten und späteren Widerständlers.

Burladingen-Melchingen - Das Theater Lindenhof Melchingen machte zusammen mit Autor Jeremias Heppeler daraus ein Theaterstück. Und dies hatte jetzt auch im heimischen Melchingen seine Premiere. Die Schauspieler – sie agieren, bis auf Bolz-Darsteller Sebastian Schäfer, allesamt in Mehrfach-Rollen – wurden beklatscht und vom begeisterten Publikum immer wieder vor den Vorhang gerufen.

Dabei ist der Stoff ein schwerer. So schwer, wie Eugen Bolz seine eigene Schuld empfunden haben mag. Während der Weimarer Republik war der konservative Zentrumspolitiker, tiefgläubige Katholik und bekennende Demokrat der Staatspräsident des Volksstaats Württemberg gewesen.

Zentrums-Fraktionszwang und Erosion der Demokratie

Trotzdem stimmte er im März 1933, hinweg über eigene innere Konflikte und wohl auch wegen des Fraktionszwanges im Zentrum, für das Ermächtigungsgesetz. Wenige Tage zuvor schon war Bolz von dem Nationalsozialisten Wilhelm Murr als Staatspräsident abgelöst worden, die Erosion der Demokratie war in vollem Gange.

"In mir schafft es fürchterlich", bekennt Bolz später. Er wird endgültig zum Widerständler, schließt sich dem Kreisauer Kreis um Schenk Graf von Stauffenberg an, wird nach Haft und Folter in Berlin Plötzensee hingerichtet.

Bolz – ein großer Sohn der Stadt Rottenburg

Den Auftrag diese Lebensgeschichte für die Bühne aufzuarbeiten, bekam das Theater Lindenhof von der Stadt Rottenburg. Denn hier kam Bolz zur Welt. Der Erinnerung an den großen Sohn der Stadt und gläubigen Katholiken schloss sich auch die Diözese Rottenburg-Stuttgart als Sponsor an.

Der Lindenhof wählte Jeremias Heppeler als Autor des Theaterstückes und stellte ihm mit dem Regisseur Christof Küster und der Bühnenbildnerin und Kostümentwerferin María Martínez Peña ein bewährtes Duo zur Seite. Das hatte schon das Brecht-Stück "Hans im Glück", oder die Komödie "Das Spiel von Liebe und Zerfall" von Pierre Carlet die Marivaux am Lindenhof fantasievoll aber mit wenig Mitteln gekonnt in Szene gesetzt.

Küster und Martínez Peña üben sich in Beschränkung, was den sechs Schauspielern Berthold Biesinger, Franz Xaver Ott, Linda Schlepps, Carola Schwelien, und Luca Zahn ihre schnellen Rollen- und die Szenenwechsel ohne viel Aufwand ermöglicht. Das Stück über den beabsichtigten Tyrannenmord und dem Satz von Bolz: "Bei offensichtlichem und dauerndem Missbrauch der Staatsgewalt besteht ein Notwehrrecht des Volkes", gibt den vielseitigen Lindenhöflern reichlich Gelegenheit, zu glänzen.

Etwa, wenn der SPD-Politiker Kurt Schumacher, gespielt von Franz Xaver Ott, und Sebastian Schäfer als Bolz, ein Streitgespräch über die Ermächtigungsabstimmung führen. Oder wenn Schäfer mit Berthold Biesinger als rot berocktem, bedrohlich wirkenden Nazi-Richter Freisler zusammentrifft der ihm entgegen geifert: "Es hat sich ausgebolzt". Auch der imaginäre Gedankenaustausch von Bolz mit der jüdischen Philosophin und Frauenrechtlerin Edith Stein (Linda Schlepps) im Kloster Beuron. Beide suchten Kontemplation und Ruhe im Kloster, sind sich aber wohl nie begegnet. Sie diskutiert mit Bolz während sie an den Papst schreibt, äußert ihre Bedenken über das Dritte Reich und erbittet Hilfe. Vergeblich. Bolz wird in Plötzensee hingerichtet, Edith Stein stirbt in Auschwitz.

Dem betroffenen Zuschauer bleibt trotz allem die Zuversicht und Hoffnung. Denn Bolz’ Satz vom "Notwehrrecht" fand später Einzug in das Grundgesetz. Dort heißt es über die Demokratie in Artikel 20, Absatz vier: "Gegen jeden, der es unternimmt diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist".