Jan Uplegger als deutscher Demokrat Wilhelm Leuschner. Die Friedrich Ebert Stiftung schickt ihn derzeit mit den Musikerinnen Yumiko Tsubaki, Violine, und Maria Hinze Klavier und Akkordeon auf Deutschlandtour. Foto: Rapthel-Kieser

Hätte es Eintritt gekostet, man hätte sagen können, es sei ausverkauft. Denn die Lindenhöfler mussten Stühle schleppen und der Schauspieler und Autor von "Die Vermessung der Demokratie", Jan Upplegger, freute sich nach dem Stück, "dass sie trotz Schneesturm so zahlreich hergekommen sind".

Burladingen-Melchingen - Die vielen Menschen waren für ein Gastspiel da, mit dem die Friedrich-Ebert-Stiftung das Trio Jan Uplegger und seine Kolleginnen Yumiko Tsubaki, (Violine) und Maria Hinze (Klavier und Akkordeon) derzeit durch Deutschland touren lässt. Und dem Publikum jeweils die Eintrittskarten spendiert. Denn wenn es um Demokratie, Unbeugsamkeit, Toleranz, Humanität und Idealismus geht, ist Wilhelm Leuschners Leben und Wirken wohl aktueller und beispielhafter denn je. Und die genauere Erinnerung an ihn wieder nötig.

Tatsächlich hat die Ebert-Stiftung dafür drei hochkarätige Akteure verpflichtet. Jan Uplegger, freischaffender Schauspieler in Berlin und Leipzig, ist Sprecher für den Deutschlandfunk und hat schon zahlreiche Hörbücher gemacht. Das Leuschner-Leben hat er auch als Autor des Stückes "Die Vermessung der Demokratie" in Texte und die Dramaturgie mit zwei außergewöhnlich agierenden Musikerinnen gegossen.

Das Trio baute perfekte Spannung auf

Seine Musiker-Kollegin Yumiko Tsubaki spielt als Geigerin beim MDR-Sinfonieorchester, ist Akteurin in der Musikalischen Komödie Leipzig, der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz, sowie in verschiedenen Barockmusikensembles. Maria Hinze ist freischaffende Musikerin an der Oper Leipzig und wird öfter als musikalische Leiterin für Schauspielprojekte, wie etwa am Staatstheater Kassel, Theater Magdeburg oder Bremer Shakespeare Company verpflichtet.

Die drei bauten perfekt Spannung auf. Uplegger schlüpft während des Stückes in verschiedene Rollen, gibt aber vor allem den Leuschner, der Briefe schreibt, Reden hält und im Gefängnis ausharrt. Mit Musik aus der Zeit der 20er und 30er Jahre aber auch als Mitspielerinnen mit Gesang und ausgefeilter Sprechtechnik, nähern sich die drei jener Person, die das zivile Netzwerk um das Attentat des 20. Juli herum aufbaute. Sie beleuchten in dem 70-minütigen, hoch verdichteten Einakter, das Leben und die Leistung des bemerkenswerten Allrounders Leuschner der zeitlebens zu den bekanntesten Politkern Deutschlands zählte.

Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg, dessen Familie engen Bezug zum heutigen Albstadt hatte, hatte ihn als neuen Reichskanzler vorgesehen. Auch, weil er wusste und wollte, dass die neue Republik nach Hitler nicht nur vom Militär, sondern einer breiten bürgerlichen Basis und Gewerkschaften getragen werden muss. Es kam anders.

Autodidakt, Soldat, Politiker und Vollblutdemokrat

Leuschner wurde 1890 geboren und am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee von den Nazis hingerichtet. Der Widerständler aus dem Bürgertum war nicht nur Landtagsabgeordneter und später Innenminister in Hessen. Er war zeitlebens Lernender, bemerkenswerter Autodidakt, Künstler, Handwerker, Gewerkschaftsführer und am Ende der ausgetüftelt netzwerkende Widerständler.

Schon im Ersten Weltkrieg, wurde er in den Soldatenrat gewählt, lernte Englisch und Französisch, engagierte sich und damit begann seine politische Karriere. Zunächst 1919 als Stadtverordneter in Darmstadt, fünf Jahre später folgte die Wahl in den hessischen Landtag. 1928 wurde er Innenminister des "Volksstaates Hessen".

Eine Zeit, die in Deutschland geprägt war vom Aufkommen der nationalsozialistischen Bewegung und dem Fakt, dass die Kommunisten ganz offen dagegen zu halten versuchten. Es gab Auseinandersetzungen, auch mit demokratischen Kräften, zu denen Leuschner gehörte. Auf der Bühne im Lindenhof wird das von Uplegger eindringlich dargestellt, während Tsubaki und Hinze Geige und Akkordeon zu einer dramatisch anschwellenden Kakophonie werden lassen, die den Zuschauern und Zuhörern durch Mark und Bein geht und Unheilvolles ankündigt. Aber auch mit dem Swing der 20er in Berlin oder dem Klassenkampflied "Wir sind die Moorsoldaten" sorgt das Trio für Authentizität und jeweils an der richtigen Stelle für die entsprechenden Assoziationen im Publikum.

Leuschner hatte unter anderem in öffentlichen Reden im Landtag keinen Hehl daraus gemacht, dass er Nationalsozialisten für gefährlich und undemokratisch hält und ihre Aktivitäten konsequent verfolgen will. Mehrmals stand er deshalb vor Gericht, immer gab es milde Urteile. So auch, als Leuschner versuchte, die "Boxheimer Dokumente" zu leaken. Dem hessischen Innenminister waren 1931 Papiere einer Versammlung von NS-Landesgrößen zugespielt worden. Darin stand detailliert, was nach einer "Machtergreifung" mit politischen Gegnern passieren würde. Vor dem Reichsgericht wurden die Verfahren im Oktober 1932 zwar wegen "Mangels an Beweisen" eingestellt. Der Widerständler Leuschner aber galt seitdem unter den Nazis als Feind und stand unter noch schärferer Beobachtung.

Nach der Machtergreifung wurde er im Frühjahr 1933 verhaftet und mehr als ein Jahr lang in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten. Mit einfachsten Mitteln – der Schreibtisch wird auf den Kopf gestellt, sitzt Uplegger in seiner Inszenierung da beengt zwischen vier Tischbeinen und deklamiert aus seiner kleinen Zelle, Hinze lässt das Akkordeon nur atmen. Das Publikum ist mucksmäuschenstill. Nach seiner Freilassung ist der einstige Politiker Wilhelm Leuschner arbeitslos, zieht mit der Familie nach Berlin. Aber sein handwerkliches Geschick erlaubt ihm, eine Firma zu übernehmen, die Bierzapfhähne produziert und vertrieb.

Wilhelm Leuschner – Ohne digitale Möglichkeiten erfolgreich

In Zeiten, in denen Revolutionen und Aufstände von Menschenmassen ohne digitale Netzwerke, und verschlüsselte Chats nicht mehr denkbar sind, tarnte sich Leuschner, der Tüftler und Erfinder als Unternehmer und Handlungsreisender, den die Gestapo zwar verdächtigte, aber bis zum Attentat nie wirklich auf die Schliche kam. Er vertrieb in der ganzen Republik einen von ihm erfundenen Bierzapfhahn – mit deutschem Reichspatent und vorwiegend in einstigen SPD- oder Gewerkschaftslokalen. Weil er für den Zapfhahn Rohmaterial ordern musste, konnte er sogar getarnt verschiedene Metallbetriebe aufsuchen. Die Verbindungen, die sich dabei ergaben, reichten bis in Kreise der Wehrmacht. Seine Fabrik wurde 1939 als "kriegswichtig" eingestuft und er konnte in der Firma weitere NS-Gegner als Mitarbeiter um sich scharen. Dabei hieß Widerstand in der NS-Zeit für alle: Heimlichkeiten ohne Netz und doppelten Boden, immer in der Gefahr, entdeckt und hingerichtet zu werden.

Während Uplegger als Leuschner ein großes Werbeplakat hochhält, verteilen die Musikerinnen einen Flyer davon im Publikum. Der ist voll mit Anspielungen "Kontra. Deutsches Reichspatent. Das neue Rückschlagventil. Der Bierfänger. Vereinigt in einem Körper. Mit Abstellhahn". Dem Publikum dämmert, wie vorsichtig und mit welchen doppeldeutigen Stichworten Leuschner bei seinen Handelsreisen mit Gleichgesinnten ins Gespräch gekommen sein mag. Den Zeitpunkt des Attentats kannte er nicht, er hatte keinen Exit-Strategie und wähnte sich ob der eigenen Vorsicht in Sicherheit. Er war zeitlebens so vorsichtig, dass er kaum Schriftliches hinterließ. Was ein Grund sein mag, dass er etwas in Vergessenheit geriet. Es ist ein Verdienst der Ebert-Stiftung, ihn per Schauspiel so großartig wieder aus der Taufe zu heben. Die Podiumsdiskussion darüber, dass das in Zeiten von Kapitol_Erstürmungen und Nichtanerkennung demokratischer Wahlen wieder bitter nötig ist, wurde kurzerhand an die Tische der Lindenhof-Kneipe verlegt.

Info: Im Jahre 1964 benennt das Land Hessen die höchste Auszeichnung, die es zu vergeben hat: Wilhelm-Leuschner-Medaille. Der Nordabschnitt des einstigen Berliner Elisabethufers in Kreuzberg wurde bereits am 31. Juli 1947 in Leuschnerdamm umbenannt. Dort steht eine Gedenkstele mit der Büste des Widerständlers. 1998 wurde an der Marienkirche Rockenberg in der Justizvollzugsanstalt (ehemaliges Zuchthaus), wo Wilhelm Leuschner 1933 in Haft saß, das Wilhelm-Leuschner-Gedächtnis-Zimmer eingerichtet, das seine Person und sein Wirken würdigen soll. Die Gedenkstätte mit Dokumenten ist aber für die Öffentlichkeit nur schwer zugänglich, wegen der Jugendstrafanstalt dort. In Leuschners Bayreuther Geburtshaus befindet sich seit 2003 die Wilhelm-Leuschner-Gedenkstätte.