Liliane Juchli ist Ordens- und Krankenschwester. Foto: Peter Petsch

In die weite Welt wollte Schwester Liliane Juchli reisen, um Entwicklungshilfe zu leisten. Stattdessen trat sie einem Orden bei, wurde Krankenschwester und schrieb ein Buch, das nicht nur ihr Leben verändern sollte.

In die weite Welt wollte Schwester Liliane Juchli reisen, um Entwicklungshilfe zu leisten. Stattdessen trat sie einem Orden bei, wurde Krankenschwester und schrieb ein Buch, das nicht nur ihr Leben verändern sollte.

Stuttgart - Der Terminkalender von Ordensschwester Liliane Juchli liest sich wie der einer jungen Karrierefrau. Nach dem Pressetermin in Stuttgart folgt ein Vortrag in Bad Mergentheim, einen Tag später geht es nach Kassel zu einem Kongress. In ihrer Zürcher Gemeinschaft wird sie sich erst zwei Wochen später wieder einfinden. Dabei ist die Ordensschwester mittlerweile 80 Jahre alt. Doch noch immer reist sie umher und ist als Botschafterin und Expertin in Sachen Krankenpflege unterwegs. „Ich merke das Alter schon, mit 80 springt man eben nicht mehr morgens aus dem Bett“, sagt die Ordensschwester. Dabei versprüht sie auf ihre ruhige Art so viel Energie, dass man ihr ihre Worte kaum glauben kann. „Das Alter muss aber nicht grau sein“, fügt sie hinzu. Diesen Satz kauft man ihr sofort ab.

Ihr bewegtes Leben hat die Ordensschwester vor allem einem Buch zu verdanken, das sie vor 40 Jahren im Stuttgarter Georg-Thieme-Verlag veröffentlichte. Das Pflegebuch erschien unter dem Titel „Allgemeine und spezielle Krankenpflege: Praxis und Theorie“, doch im Volksmund wurde es als „der Juchli“ bekannt. 30 Jahre lang gab es kein Buch über Krankenpflege, das dem Werk von Schwester Liliane Juchli Konkurrenz gemacht hätte. Im Stuttgarter Georg-Thieme-Verlag erscheint inzwischen die zwölfte Auflage unter dem Titel „Thiemes Pflege“. Bis zur achten Auflage im Jahr 2000 brachte Liliane Juchli selbst das Buch alle drei Jahre auf den neusten Stand.

Kindheit von Armut und harter Arbeit geprägt

Dabei hatte die Schwester des Ordens der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz Ingenbohl ursprünglich andere Pläne gehabt: „Ich wollte schon als Kind in die Missionen gehen, um so vielen Menschen wie möglich zu helfen.“ Die Kindheit von Liliane Juchli, die im Schweizer Nussbaumen als Klara Juchli geboren wurde, war durch Armut und harte Arbeit geprägt. Dennoch gab es bei ihr den Wunsch, anderen Menschen zu helfen – möglichst als Entwicklungshelferin. Da die Ingenbohler Schwestern auch in Missionsgebieten tätig waren, fasste sie als junge Frau den Beschluss, dem Orden beizutreten. Die Zeit bis zu ihrer Volljährigkeit überbrückte sie mit einer Ausbildung zur Krankenschwester. „Zur Mission habe ich es nie geschafft“, erzählt Liliane Juchli nun ohne Bedauern. „Nicht alle Visionen erfüllen sich, aber einige schon.“

Denn nach einigen Jahren in der Krankenpflege übernahm sie Aufgaben in der Pflegeschule und entdeckte ihr Talent, Wissen zu vermitteln. Dies war in den 1950er Jahren jedoch nicht ganz einfach. „Die Ausbildung zum Pflegeberuf geschah in dieser Zeit intuitiv, denn wir hatten keine Lehrbücher“, erinnert sie sich. Daher musste sie sich ihr Lehrmaterial selbst zusammenstellen. Daraus wurde ein 500-seitiges Manuskript, das sich auch Pflegeschulen aus Deutschland liehen. Der Georg-Thieme-Verlag erkannte schließlich die Marktlücke und veröffentlichte das erste Pflegebuch auf der Basis von Liliane Juchlis Manuskript. „Ich ahnte damals nicht, welche Aufgabe auf mich zukam, denn ich dachte, meine Arbeit wäre mit dem einen Buch getan.“ Weit gefehlt – denn da das Buch konkurrenzlos blieb, musste sie es ständig neu überarbeiten.

Erschöpfung führte zu einer Depression

Ein Bruch in ihrem persönlichen Leben führte nach der dritten Auflage in den 1970er Jahren auch zu einer Veränderung ihrer Sichtweise auf die Pflege. Erschöpfung führte zu einer Depression, von der sie sich aber wieder erholte. „Ausgebrannte Pflegende geben keine Wärme mehr“, weiß sie seitdem.

Die Veränderung ihrer Sichtweise spiegelte sich in der vierten Auflage wider. Von nun an plädierte sie für ein ganzheitliches Menschenbild und Denken – sowohl von den Pflegebedürftigen als auch der Pflegenden selbst. Der Orden sie schließlich als Botschafterin in Sachen Pflege frei. Fortan besuchte sie Schulen, entwickelte Kurse und arbeitete als Dozentin im In- und Ausland. Als Rednerin nahm sie an internationalen Kongressen teil und bereist die Welt – bis heute. Doch auch in ihrem Orden ist sie noch nicht in Rente gegangen. Sie bietet Lebenskurse an für ältere Ordensschwestern. „Das Alter ist keine Krankheit, und ich setze meine Kräfte ein, solange ich sie habe.“ Trotzdem sei es schön, dass im Alter mehr Ruhe einkehre. „Zumindest hoffe ich das“, sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln.

Zum 80. Geburtstag von Liliane Juchli erschien der Film „Leiden schafft Pflege – ein Leben für die Würde des Menschen“ unter der Regie von Marianne Pletscher und die Biografie „Liliane Juchli – ein Leben für die Pflege“ von Trudi von Fellenberg-Bitzi.