Spannend, vergnüglich, aber auch nachdenklich stimmend – Lucy Frickes Prosa deckt ein breites Spektrum ab. Im Rahmen der Albstädter Literaturtage las die Hamburger Autorin in der Ebinger Festhalle aus ihrem neuen Roman "Die Diplomatin".
Albstadt-Ebingen - Lucy Fricke hat 2020 mehrere Monate in der historischen Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Istanbul verbracht, und zwar als Stipendiatin der Kulturakademie Tarabya, die, unterstützt vom Deutschen Bundestag, den künstlerischen Austausch zwischen Deutschland und der Türkei fördert. Wie das Publikum von Frickes Lektor und Begleiter Matthias Teiting erfuhr, sammelte sie dort Erfahrungen und Eindrücke aus erster Hand über Leben und Alltag von Diplomaten – etwas, was sie schon immer interessiert hatte – , knüpfte Kontakte zu Diplomatinnen aus anderen Ländern und beschloss schließlich, ein Buch über eine Frau in diesem noch immer von Männer dominierten Metier zu schreiben. Immerhin, das Wort "Diplomatie" ist nicht von ungefähr weiblich.
Das war schon deshalb eine Herausforderung, weil Fricke selbst keine Diplomatin ist und mit ihrer Protagonistin – anders als mit denen früherer Werke – verhältnismäßig wenig gemein hat. "Umso lehrreicher, spannender und bereichernder" sei die Aufgabe gewesen: "Ich musste mich in diese Person hineinziehen lassen". Andererseits sei es auch interessant gewesen, sich einmal nicht mit sich selbst zu beschäftigen. Verlag und Lektor hätten das offenbar auch so gesehen: "Lass es ploppen wie Sau", soll Teiting gesagt haben – "super Arbeitsanweisung, nicht wahr?" – , und mit dieser Vorgabe machte sich Fricke an die Arbeit. Ihre Heldin ist eine deutsche Konsulin, die ins politisch aufgeheizte Istanbul versetzt wird und fortan einen regen Pendelverkehr zwischen Sommerresidenz und Justizpalast, Geheimdienst und deutsch-türkischer Zusammenarbeit, aber auch zwischen Einsamkeit und Affären unterhält. Ganz allmählich kommt ihr dabei der Glauben an die Diplomatie abhanden. "Sie stößt an die Grenzen der Freundschaft, der Rechtsstaatlichkeit und der europäischen Idee."
"Der Roman der Stunde"
Dem Publikum wurden die Hintergrundinformationen im Wechsel mit den gelesenen Kapiteln vermittelt, und zwar durch die unterhaltsamen Dialoge, die Teiting und Fricke miteinander führten. Dabei erfuhr das Publikum viel über die Entstehung dieses – so Teiting – "Romans der Stunde", die neunmonatige Recherche, den Aufenthalt der Autorin in Istanbul – unter anderem, dass ihr Domizil in unmittelbarer Nähe der Sommerresidenz des türkischen Präsidenten Erdogan liegt. Was Fricke zu der augenzwinkernden Mutmaßung veranlasste, Kollege Deniz Yücel, der zeitweise in der Türkei inhaftierte deutsch-türkische Journalist, der sich gleichfalls einige Wochen in der Deutschen Botschaft aufgehalten hatte, habe in dieser Zeit "Erdogans WLAN genutzt".
"Wie machen nur noch Haftbetreuung"
Mit dem Namen Yücel war freilich auch ein Thema angesprochen, das auch in der – so Fricke – "schönsten Stadt der Welt" und trotz der Gastfreundschaft der Einheimischen nie aus dem Blickfeld gerät, wenn man "Die Diplomatin" liest: das Gefühl der Machtlosigkeit, das einen als Vertreter der Bundesrepublik dort immer wieder überkommt, und die Frustration über die Abhängigkeit von der Türkei, beispielsweise beim Flüchtlingsdeal und im Zusammenhang mit der politischen Repression in der Türkei: "Wir machen hier nur noch Haftbetreuung!", habe sie von ihren Gesprächspartnern zu hören bekommen. Die Überwachung sei allgegenwärtig, wichtige Gespräche würden nur noch im Freien geführt, soziale Medien nicht genutzt und das Handy nur noch eingeschaltet, wenn es erforderlich sei. "Immer weniger Menschen können frei leben." Trotzdem hoffe sie, dass eines Tages auch in der Türkei wieder jedes Buch übersetzt und gelesen werden könne.